Es werde in der Schweiz keine Massenüberwachung geben, versprach der Bundesrat, als 2016 über ein neues Nachrichtendienstgesetz abgestimmt wurde. Eine Recherche der «Republik»-Journalistin Adrienne Fichter belegt aber, dass der Internetverkehr in der Schweiz massenhaft mitgelesen wird. Was bedeutet das für den Quellenschutz der Medienschaffenden?

Im September 2016 nahm das Schweizer Stimmvolk das «Bundesgesetz über den Nachrichtendienst» (NDG) mit 65.5 Prozent Ja an; das NDG trat 2017 in Kraft. Im Vorfeld der Abstimmung hatte es viele kritische Stimmen gegeben, unter anderem von der Digitalen Gesellschaft, einem Verein für Bürger- und Konsumenten­schutz im digitalen Zeitalter. Sie und andere hatten davor gewarnt, dass dieses Nachrichtendienstgesetz eine «anlasslose Massenüberwachung» ermögliche. Auch Medienschaffende und ihre Organisationen wie etwa Syndicom, SSM und Impressum engagierten sich gegen das NDG; sie befürchteten, dass mithilfe des neuen Gesetzes der Quellenschutz ausgehebelt werden könnte.

Die Befürworter des Gesetzes hingegen, unter anderem der Bundesrat, betonten, es sei keine Massenüberwachung vorgesehen, sondern ein gezieltes Vorgehen zur Prävention von Terror und Spionage. Ausserdem betreffe die im NDG verankerte Kabelaufklärung, die den Datenverkehr erfasst und so eine Überwachung ermöglicht, Schweizerinnen und Schweizer nicht. Überwacht würden nämlich nur die Kabel, die die Schweiz mit dem Ausland verbinden.

Der Internetverkehr wird massenhaft mitgelesen

Doch eine Recherche der «Republik»-Journalistin Adrienne Fichter Anfang dieses Jahres hat gezeigt, dass diese Versprechen nicht zutreffen. Gestützt auf amtliche Korrespondenz, interne Quellen und Gerichtsdokumente der Digitalen Gesellschaft, die seit 2017 eine Beschwerde gegen die Kabelaufklärung führt, kommt Fichter zu folgendem Schluss: «Seit Inkrafttreten des Gesetzes 2017 wird der Internet­verkehr von Schweizerinnen und Schweizern massenhaft mitgelesen. In gerichtlichen Dokumenten räumt das Verteidigungs­departement ein, dass die ‘inländische’ Kommunikation inhaltlich gelesen und ausgewertet werde. Und: Sämtliche Daten werden für spätere Auftrags­suchen gespeichert.»

Die meiste Internet-Kommunikation der Schweizer Bevölkerung führt über ausländische Server und Netzwerke. «Dass Schweizerinnen und Schweizer nicht von der Kabelaufklärung betroffen sind, weil nur grenzüberschreitende Kommunikation erfasst werde, ist ein Ammenmärchen», sagt Fichter gegenüber RSF Schweiz: «Denn diese Trennung ist technisch nicht möglich.» Der Nachrichtendienst habe denn auch eingeräumt, dass die Kommunikation zwischen einem Sender und einer Empfängerin in der Schweiz, die über das Ausland läuft, bei der Kabel­aufklärung erfasst werde.

«Wir sind alle davon betroffen»

Bei der Überwachung, so Fichter, wird die Kommunikation nach bestimmten Suchbegriffen, die vorgegeben sind, durchsucht. «Das sind riesige Datenmengen, die dann ins Zentrum elektronische Operationen (ZEO) des Verteidigungs­departements in Zimmerwald umgeleitet werden.» Dort würden die Signale in Kommunikationsdaten umgewandelt, die Daten würden circa drei Monate lang gespeichert, ausgewertet und sortiert. «Man sucht quasi die Nadel im Heuhaufen, aber man begutachtet eigentlich jeden einzelnen Heustrang. Kabelaufklärung ist also nicht ein Instrument, das nur gezielt eingesetzt wird, wie es versprochen wurde. Wir sind alle davon betroffen.»

«Wir Journalistinnen und Journalisten können den Quellenschutz unter diesen Umständen nicht gewährleisten», so Fichter, «denn wir sind als Berufsgattung nicht ausgenommen, und es gibt keine Absichten, das zu verbessern.» Es sei eine «missliche» Lage. Deshalb müssten die Medienschaffenden sich selbst helfen und selber technische Vorkehrungen für den Quellenschutz treffen (siehe Tipps weiter unten).

Es braucht «eine Art Journalismus-Lobby»

Die Medienbranche, so Fichter weiter, müsse in dieser Frage mehr zusammenhalten. Denn es gebe vermehrt Schwächungsversuche beim Quellenschutz. Die EU zum Beispiel wolle die End-to-End-Verschlüsselung von Messenger-Apps wie Threema und Signal aufheben. Und was in der Schweiz die geplante Revision des NDG bringen werde, sei noch nicht klar: «Wenn dann zum Beispiel die Legalisierung von Trojanern drin ist, haben wir ein Problem.»

Für Fichter braucht es deshalb «eine Art Journalismus-Lobby», die sich gegen diese Trends wehrt und dabei mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften zusammenspannt, denn: «Ohne Quellenschutz können wir unseren Job nicht mehr machen, vor allem nicht investigativen Journalismus.»

Bettina Büsser, Koordinatorin Deutschschweiz von RSF Schweiz

Tipps von Adrienne Fichter:

Als Journalistin/Journalist kannst du dich nicht vor der Kabelaufklärung schützen. Aber du kannst schauen, dass die Daten, die erfasst werden, möglichst nicht brauchbar sind. Verschlüssle also die Nachrichten und nutze Messenger-Apps wie Threema und Signal, die End-to-End verschlüsselt sind.

Verschicke heikle Mails über einen externen E-Mail-Provider mit einem Programm wie Thunderbird und der Verschlüsselungsmethode PGP. Doch auch dann gilt: E-Mail ist weniger sicher als ein Messenger.

Triffst du eine Quelle, schalte dein Telefon aus oder nimm es gar nicht mit. Mach dir von Hand Notizen auf Papier.


Ratgeber der Digitalen Gesellschaft:

Die Digitale Gesellschaft bietet einen Ratgeber an, eine «Kurzanleitung zur digitalen Selbstverteidigung» mit praktischen Tipps zum Schutz vor Überwachung.


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