Die Unterdrückung der Medienschaffenden in Ostjerusalem und im Westjordanland hatte sich bereits wieder verschärft, bevor der Waffenstillstand im Gazastreifen im Februar zu Ende ging. Medienschaffende gerieten unter Beschuss der israelischen Streitkräfte, wurden willkürlich verhaftet und in ihrer Bewegung eingeschränkt. Auch die palästinensischen Behörden griffen in die Arbeit der Medien ein und verhafteten Mitarbeitende von Al Jazeera. RSF warnt in diesem Kontext vor einer zunehmenden Unterdrückung der Medien.
«Die Angriffe der israelischen Besatzer im Westjordanland und in Ostjerusalem auf Medienschaffende haben in den letzten Monaten zugenommen und sind zur Normalität geworden. Sie müssen aufhören. Die palästinensische Autonomiebehörde hat ihrerseits wiederholt Journalistinnen und Journalisten festgenommen und verhört, die mit dem katarischen Sender Al Jazeera in Verbindung stehen, und trägt damit ebenfalls zur Unterdrückung der palästinensischen Presse bei. Wir sind besorgt über die Intensivierung dieser Gewalt und deren Auswirkungen auf das Recht auf Information. Dies ist umso alarmierender vor dem Hintergrund der Wiederaufnahme der israelischen Angriffe auf Gaza, bei denen seit 2023 fast 200 Journalisten getötet wurden, darunter mindestens 42 bei der Ausübung ihrer Tätigkeit.»
Jonathan Dagher
Leiter des Nahost-Büros von RSF
Die Fahrt von Ramallah nach Tulkarem sollte 90 Minuten dauern, aber seit dem 7. Oktober 2023 muss man sieben militärische Kontrollpunkte passieren und benötigt Stunden, um dorthin zu gelangen. «Die Situation hat sich seit dem Waffenstillstand in Gaza verschlechtert», sagt Aziza Nofal, RSF-Korrespondentin im Westjordanland. Zusätzlich zu den oft geschlossenen Strassensperren hat die israelische Armee seit Januar 2024 Dutzende von Metallbarrieren auf den Strassen errichtet. «Manchmal ist alles blockiert und es ist unmöglich, sich fortzubewegen», beklagt sie.
Diese Behinderungen der Bewegung von Medienschaffenden hindern Nofal daran, über die von den israelischen Streitkräften im besetzten Westjordanland begangenen Gewalttaten zu berichten. Wie in den Städten Jenin und Nablus gibt es auch in Tulkarem Flüchtlingslager, die seit fast zwei Monaten Ziel von Überfällen der israelischen Armee sind, die dort eine «Anti-Terror-Operation» durchführen. RSF hat seit Anfang 2025 mindestens 20 Angriffe auf Medienschaffende in der Umgebung dieser Lager gezählt.
Gezielte Angriffe und Einschüchterungen durch israelische Streitkräfte
Als der freiberufliche Fotojournalist Mohammad Atiq im Auftrag der Agence France-Presse (AFP) nach Qabatiya im Süden von Jenin reiste, um über einen Überfall auf ein Flüchtlingslager zu berichten, näherte sich laut seinen Aussagen ein Militärfahrzeug ihm und neun Kollegen, die alle als Journalisten identifizierbar waren. Trotzdem feuerte das Fahrzeug Gummigeschosse und Tränengasgranaten ab. Einige Stunden später wurden in der Nähe desselben Lagers vier weitere unabhängige Medienschaffende Opfer von Einschüchterungsversuchen. «Eine Militäreinheit hatte uns Zugang zum Gebiet gewährt, aber eine andere zwang uns zu gehen», berichtet der unabhängige Journalist Naser Ishtayeh gegenüber RSF. «Als wir den Ort verliessen, hielten uns etwa 25 Soldaten auf, beschimpften uns und durchsuchten unsere Telefone. Sie beschlagnahmten unsere Festplatten und forderten uns auf zu gehen. Bis heute hält sie die Armee fest.»
Die unabhängige Journalistin Nagham al-Zayet war am 29. Januar dabei, einen Überfall in Tulkarem zu filmen, als ein Soldat auf einen Stahlpfosten schoss, nur wenige Zentimeter von ihr entfernt. Sie sagt, der Angriff diente dazu, sie zu erschrecken. Die vom Aufprall weggeschleuderten Metallsplitter verletzten sie dabei an der Hand. Fünf Tage später kam es auf der Strasse nach Jenin zu einem weiteren gezielten Angriff: Drei Militärjeeps rasten auf den unabhängigen Journalisten Obadah Tahayneh zu. Aus Angst, überfahren zu werden, liess der Journalist seine Kamera und sein Übertragungsgerät fallen, um sich in Sicherheit zu bringen. Die Fahrzeuge fuhren dann über seine Ausrüstung und zerstörten diese, wie er gegenüber RSF berichtet.
In der Umgebung dieser palästinensischen Flüchtlingslager werden Medienschaffende regelmässig durchsucht, verhört und sogar inhaftiert. Nach Angaben von RSF befinden sich mindestens 17 Reporterinnen und Reporter, die nach dem 7. Oktober 2023 aufgrund ihrer journalistischen Arbeit im Westjordanland festgenommen wurden, noch immer in israelischen Gefängnissen. Zuletzt wurden etwa zehn Medienschaffende vorübergehend von israelischen Streitkräften festgenommen. Sie hatten zuvor über den Besuch palästinensischer Gläubiger in der Al-Aqsa-Moschee in Jerusalem während des Ramadan berichtet.
Palästinensische Sicherheitskräfte befragen Journalisten
Unabhängig von den Überfällen der israelischen Besatzung haben die palästinensischen Sicherheitskräfte in den letzten Wochen ebenfalls eine Einschüchterungskampagne durchgeführt. Neun Medienschaffende wurden gemäss Informationen von RSF seit Januar vorgeladen oder vorübergehend festgenommen. Alle wurden zu ihren Verbindungen zum Sender Al Jazeera befragt, der seit dem 1. Januar von der Palästinensischen Autonomiebehörde gesperrt ist.
Das Medienunternehmen, das ebenfalls im Visier der israelischen Repression steht, wird beschuldigt, «aufwieglerische» und «aufrührerische» Inhalte zu verbreiten, «Desinformation» zu betreiben und sich «in die inneren Angelegenheiten der Palästinenser einzumischen». So wurde Salah al-Din Abu al-Hassan am 8. Januar vorgeladen und zu seiner Berichterstattung über die Schliessung der Büros von Al Jazeera befragt. Gleiches widerfuhr dem Journalisten Mohammed Samarin. Am nächsten Tag wurde auch der Al Jazeera-Korrespondent Laith Jaar vorgeladen und gezwungen, eine Verpflichtung zu unterzeichnen, nicht mehr im Sender aufzutreten, solange das Verbot in Kraft bleibt.
Palästina belegte in der RSF-Rangliste der Pressefreiheit im Jahr 2024 Platz 157 von 180 Ländern und Gebieten. Israel lag auf Platz 101.