Am heutigen 20. Januar, dem Tag, an dem Donald Trump für seine zweite Amtszeit als Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt wird, steht dem amerikanischen Journalismus eine beispiellose Phase der Unsicherheit bevor. Zur bereits vorliegenden Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage, zur wachsenden Kluft zwischen der Öffentlichkeit und den Medien sowie zum Journalismus ungünstigen digitalen Informationsökosystem könnten nun auch direkte und regelmässige Drohungen aus dem Wissen Haus hinzukommen. Reporter ohne Grenzen (RSF) ist mehr denn je von der elementaren Rolle des Journalismus bei der Aufrechterhaltung der Demokratie überzeugt. Deshalb werden wir uns auch weiterhin für die Sicherheit, die Unabhängigkeit und den Pluralismus der Medien und des Journalismus in den USA einsetzen.
Donald Trump hat einen zweiten Wahlsieg errungen – mit einem Wahlkampf, in dem er zahlreiche Drohungen gegen Medienschaffende sowie gegen das gesamte Medienökosystem ausgesprochen und teils auch in die Tat umgesetzt hat. Heute, wo Donald Trump wieder ins Weisse Haus einzieht, fragen sich die Amerikanerinnen und Amerikaner, was die Zukunft für den Journalismus in ihrem Lang bringen wird. Was die von der Regierung selbst ausgehenden Bedrohungen betrifft, ist die Antwort nicht ganz klar. Niemand kann mit Sicherheit sagen, welche Drohungen Präsident Trump auch umsetzen wird und ob die Institutionen, die die Macht des Präsidenten beschränken und die amerikanischen Freiheiten schützen sollen, auch weiterhin bestehen werden.
«Der Ausdruck ‚beispiellos‘ ist banal, wenn es um Donald Trump geht, aber wir leben in einer neuen Welt – vor allem, was das Ausmass und die Intensität der Bedrohungen für die amerikanische Pressefreiheit betrifft. Die Angriffe eines amtierenden Präsidenten werden die Probleme, mit denen der Journalismus hierzulande konfrontiert ist, verschärfen. Dazu zählen die bereits bestehende Wirtschaftskrise sowie die Vertrauenskrise zwischen der Öffentlichkeit und den Medien. Journalismus und der Zugang zu verlässlichen Informationen sind ein integraler Bestandteil der Demokratie. Ein Angriff auf das eine ist zwangsläufig ein Angriff auf das andere.»
Clayton Weimers
Geschäftsführender Direktor, RSF USA
Bedrohungen von beispiellosem Ausmass
RSF hält fest fest, dass die Bandbreite der von der künftigen Trump-Regierung vorgebrachten Bedrohungen in der modernen Geschichte der Vereinigten Staaten beispiellos ist. Donald Trump hat etwa bereits :
- mindestens 15 Aufrufe gestartet, um im Rahmen der politischen Vergeltung die Lizenzen von TV-Stationen zu widerrufen
- angekündigt, gegen Medien, die ihn kritisieren, zu ermitteln
- Journalistinnen und Journalisten im Laufe seines Wahlkampfes hunderte Male beleidigt oder bedroht
- eine Allianz mit dem Technologiemagnaten Elon Musk geschmiedet, welcher sich gegen den Journalismus positioniert
- dem CEO von Meta, Mark Zuckerberg, in einem scheinbar erfolgreichen Versuch, Zugeständnisse bei der Moderation von Inhalten zu erreichen, mit einer Gefängnisstrafe gedroht
- zahlreiche Medien wegen kritischer Artikel über seine Person verklagt.
Als Präsident könnte Donald Trump diese Drohungen wahr machen und sie auf neue Höhen treiben. Diese Situation hat bereits jetzt eine Atmosphäre der Unsicherheit und der Sorge für den Journalismus in den USA geschaffen. Die Drohungen kommen darüber hinaus zu einer Zeit, in der die USA auf der RSF-Weltrangliste der Pressefreiheit den niedrigsten Rang in ihrer Geschichte einnehmen, nämlich Platz 55 von 180 erfassten Ländern.
Rechtliche und politische Vergeltungsmassnahmen könnten der Branche einen schweren Schlag versetzen. Sie hat bereits mit jahrelangen Einkommenseinbussen, Entlassungen, der Schliessung hunderter lokaler Medien sowie der offenen Feindseligkeit der Social-Networking-Plattformen zu kämpfen. Die Medien sind insbesondere von deren Online-Traffic abhängig. Ähnliche Drohungen könnten indirekt auch von Verbündeten und Anhängern Donald Trumps kommen, in einer von Trump geschürten medienfeindlichen Stimmung.
Donald Trumps medienfeindliche Rhetorik beschränkt sich jedoch nicht auf die USA: Sie findet auch in Europa Widerhall, wo sie insbesondere von rechtsextremen Parteien aufgegriffen wird. Während die EU in ihrer letzten Legislatur gesetzliche Rahmenbedingungen (Digital Service Act, Digital Media Act, European Media Freedom Act) zum Schutz der Medien verabschiedet hat, ist deren effektive Umsetzung nun dringender denn je.
Mark Zuckerbergs jüngste Entscheidung, den Faktencheck auf Meta einzustellen, unterstreicht darüber hinaus die Bedeutung von Initiativen wie der von RSF initiierten Journalism Trust Initiative, um das Recht auf zuverlässige Informationen für alle zu fördern. Die Rolle der Schweizer und der internationalen Medien muss nun dieses neue Mandat aufgreifen, um sich als echte Garanten für einen ethischen und vertrauenswürdigen Journalismus zu positionieren, der auf Grundprinzipien wie Transparenz und Unabhängigkeit beruht.
Glaube an die freie Presse kann die Bürgerinnen und Bürger vereinen
RSF wird sich weiterhin für die Werte des Journalismus einsetzen, ungeachtet der zahlreichen Bedrohungen. Medien und einzelne Journalistinnen und Journalisten müssen sich auch darauf einstellen, sich stark gegen ungerechtfertigte staatliche Einmischungen zu schützen. Medienschaffende sollten die Gelegenheit auch nutzen, um die Standard-Sicherheitsprotokolle für ihre physische und digitale Sicherheit zu überprüfen.
Während die Vereinigten Staaten in vielen grundlegenden politischen und sozialen Fragen nach wie vor tief gespalten sind, kann die Pressefreiheit immer noch ein Wert sein, der die Bürgerinnen und Bürger vereint. Das Ziel des Journalismus ist es nach wie vor, zu informieren und Rechenschaftspflicht zu gewährleisten – eine Aufgabe, die allen Bürgerinnen und Bürgern zugutekommt, unabhängig von ihrer politischen Zugehörigkeit. Eine grosse (überparteiliche) Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner ist sich einig, dass der Journalismus eine wichtige Leitplanke gegenüber der politischen Führung darstellt.
Selbst wenn Donald Trump also weiterhin Journalisten spöttisch behandelt, ist die Pressefreiheit in der amerikanischen Politik keine parteipolitische Frage. Und sie darf es auch nicht werden. Der Journalismus ist eine grundlegende Säule der Demokratie, die es den US-Bürgerinnen und -Bürgern ermöglicht, fundierte Entscheidungen über ihr tägliches Leben zu treffen.