Als Luzia Tschirky im Jahr 2022 Korrespondentin für das Schweizer Fernsehen in der Ukraine war, sei es stets ihr Ziel gewesen, nicht im von Russland begonnenen Krieg getötet zu werden. «Ich habe versucht, alles zu tun, damit meinem Kameramann und mir nichts passiert», sagt sie heute, drei Jahre nach dem Beginn der russischen Grossoffensive, zu RSF Schweiz. «Für Medienschaffende bestand und besteht zu jeder Zeit und überall ein Risiko – genauso wie für die Zivilbevölkerung.»

Tschirky, die damals unversehens zur Kriegsreporterin wurde, wusste mit dem Einschlag der ersten Bomben in Kyjiw, dass die russische Invasion eine Zäsur darstelle – für die Ukraine, für Russland, und für sie selbst. In ihr Büro in Moskau, von wo aus sie zuvor das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion abgedeckt hatte, konnte sie nicht mehr zurück. «Ich habe damals versucht, alles möglich zu machen, was möglich war», sagt Tschirky. Über alle Ereignisse zu berichten, die relevant waren. Das Schicksal der Menschen zu beleuchten, deren Leben entwurzelt wurde. «Die konstante Belastung stellte für mich damals die grösste Herausforderung dar. Immer unterwegs zu sein, keine Wohnung mehr zu haben, Beiträge unterwegs zu schneiden und zu vertonen, und dabei ständig von Kriegsschauplatz zu Kriegsschauplatz zu fahren, zehrte an meinen Kräften.»

Alle Medienschaffenden sind unmittelbar vom Krieg betroffen

Um einen Rückzugsort nahe zur ukrainischen Grenze zu haben, richtete sich Tschirky im Frühling 2022 ihr neues Zuhause in Warschau ein. «Ich versuchte, nie länger als drei Wochen am Stück aus der Ukraine zu berichten», sagt sie. Ein Privileg, das vielen ukrainischen Medienschaffenden verwehrt geblieben sei. «Die sich hinziehenden Kriegsjahre sind für die lokalen Journalistinnen und Journalisten enorm belastend. Alle sind unmittelbar vom Krieg betroffen. Viele haben Familienmitglieder verloren, wurden von der russischen Armee angegriffen und verletzt, und wurden dabei traumatisiert. Trotzdem berichten sie weiter.»

Depression sei ein grosses Thema unter Medienschaffenden in der Ukraine. Seit Kriegsbeginn würden einige von Tschirkys Bekannten vermehrt Alkohol oder Drogen konsumieren – als Reaktion auf den Stress und das Erlebte. «Für manche gibt es schlicht keinen anderen Weg, den Kopf abzuschalten», sagt Tschirky.

Keine Perspektiven zugunsten der Ukraine

«Viele Journalistinnen und Journalisten versuchten in den ersten Kriegsmonaten, über möglichst viele Aspekte des Krieges zu berichten – auch in der Hoffnung, die Aufmerksamkeit könne die Geschehnisse positiv beeinflussen. Nach drei Jahren sind diese Erwartungen aber vielerorts verschwunden.» Nicht zuletzt, weil es kaum Perspektiven zugunsten der Ukraine gebe.

Viele Medienschaffende haben zudem seit dem 24. Februar 2022 ihren Job verloren. Gemäss Zahlen von RSF mussten mindestens 329 Medienhäuser den Betrieb einstellen. Fernseh- und Radiotürme wurden von der russischen Armee beschossen. «Viele dieser eingestellten Medien waren auf Werbegelder angewiesen. Im Krieg zahlt aber kaum jemand für Werbung», sagt Tschirky. Journalistinnen und Journalisten, die ihren Job verloren, das Land aber nicht verlassen haben, mussten sich seither etwa als Taxifahrer durchgeschlagen. Oder sie arbeiten punktuell mit ausländischen Medien zusammen und helfen diesen durch die Vermittlung von Kontakten oder Übersetzungsarbeiten.

«Das sind aber keine strukturellen Hilfen», sagt Tschirky. Mit dem global schwindenden Interesse an der Berichterstattung aus der Ukraine verlören auch diese «local producer» ihre Einnahmequellen. Die Lage vieler Medien und Medienschaffender verschärfe sich in den nächsten Jahren daher wohl weiter.

Es geht ums längerfristige Überleben der Ukraine – und ihrer Medien

RSF hat im letzten Herbst darum einen speziellen Fonds zum Wiederaufbau der ukrainischen Medien gefordert. Nebst der bereits bestehenden Hilfe, die RSF in der Ukraine leistet – psychologische Betreuung, der Bereitstellung von Erste-Hilfe-Sets sowie von Strom- und Sicherheitsequipment, aber auch Schulungen für Notfallsituationen – soll dadurch das Überleben der ukrainischen Medien sichergestellt werden.

Angesichts der unvorstellbaren Schwierigkeiten, die der russische Angriff auf die Ukraine mit sich brachte, ist Luzia Tschirky wichtig zu betonen, dass es sich lohnt, sich auf das Machbare zu fokussieren: «Jeder und jede kann dort helfen, wo er oder sie Einflussmöglichkeiten hat. In der Schweiz können das auch scheinbar kleine Sachen sein.» An Veranstaltungen zu gehen, die ukrainische Filme zeigen, an Demonstrationen für die Ukraine teilzunehmen und sich weiterhin für das Land und die Menschen zu interessieren. «Es ist Teil der russischen Strategie, dass sich der Krieg in die Länge zieht und das Interesse daran abebbt.» Man dürfe die Ukraine aber nicht vergessen. «Deswegen ist es auch für Medienschaffende wichtig, dass sie weiterhin vor Ort berichten können.»

 

Valentin Rubin
Policy & Advocacy Manager RSF Schweiz

 

Partagez cet article !