Aus einem Vorstoss zum Schutz der Informationsfreiheit wird ein Vorstoss, der ein grosses negatives Potential für die Informationsfreiheit hat. Geschehen in der Schweiz im Dezember 2023.

Eigentlich ging es darum, eine nachträgliche Verbesserung eines Artikels des Bankengesetzes zu erreichen, da dieser neu auch Journalistinnen und Journalisten mit einer Freiheitsstrafe bedrohte, wenn sie geleakte Daten veröffentlichen. Doch zum Schluss der Wintersession des Parlaments liegt nun ein Vorstoss vor, der möglicherweise zur Folge hat, dass die Veröffentlichung geleakter Daten allgemein strafbar wird – eine Bedrohung des investigativen Journalismus. 

Die Geschichte beginnt 2015. Damals trat das revidierte Bankengesetz in Kraft, und es enthielt einen ebenfalls revidierten Artikel, der die Informationsfreiheit tangiert. Durch eine Änderung von Artikel 47 zum Bankgeheimnis galt nämlich neu: Nicht nur in Banken tätiges Personal, sondern jede Person, die geleakte Bankdaten weitergibt, kann sich der Verletzung des Bankgeheimnisses schuldig machen. Es drohen dann eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe. Auch Journalistinnen und Journalisten, die solche Daten veröffentlichen, können bestraft werden.

Was dieses Gesetz wirklich bedeutet, zeigte sich Anfang 2022. Damals wurden die «Suisse Secrets» veröffentlicht, Recherchen eines internationalen Konsortiums investigativer Journalistinnen und Journalisten. Sie zeigten aufgrund von geleakten Daten der Credit Suisse, dass es geheime Konten von Kriminellen, umstrittenen Politikerinnen, Potentaten und korrupten Unternehmern gab (Foto Keystone/Michael Buholzer). Schweizer Journalistinnen und Journalisten konnten sich an dieser Recherche nicht beteiligen – ihnen drohte Strafe nach Artikel 47 des Bankengesetzes.

In der Folge forderten verschiedene Organisationen und Verbände, darunter auch RSF Schweiz, dass Artikel 47 angepasst wird. Auch internationale Medien berichteten nun über die Recherchen verhindernde Schweizer Gesetzgebung. Und Irene Khan, die UNO-Berichterstatterin Meinungsäusserungsfreiheit wandte sich in einem Schreiben an Aussenminister und Bundespräsident Ignazio Cassis, in dem sie sich besorgt über den Schweizer Umgang mit der Informationsfreiheit ausdrückte, wenn es um Bankdaten geht.

Es gab auch verschiedene Vorstösse zum Thema im Schweizer Parlament. Manche scheiterten, doch im November 2022 kam in der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats (WAK-N) eine Motion zu Stande, die den Bundesrat aufforderte, zu prüfen, ob «die aktuelle Gesetzgebung geändert werden soll, um die Pressefreiheit in Finanzplatzfragen zu gewährleisten» und gegebenenfalls eine Änderung der einschlägigen Gesetze vorzuschlagen. In der darauffolgenden Debatte im Nationalrat im Februar dieses Jahres unterstütze Bundesrätin Karin Keller-Sutter die Motion: Der Bundesrat sei bereit, eine entsprechende Prüfung vorzunehmen und «beim Vorliegen von Handlungsbedarf eine Vorlage für eine Anpassung des Finanzmarktrechts zu erarbeiten». Der Nationalrat nahm die Motion mit 113 Ja- zu 78-Nein-Stimmen bei einer Enthaltung an.

Alles schien auf gutem Weg. Doch dann befasste sich die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerats (WAK-S) mit dem Thema. Sie beantragte im Oktober dieses Jahres, der Ständerat solle die Motion ablehnen. Dies tat der Rat denn auch am 14. Dezember, 32 Ständeräte und Ständerätinnen stimmten gegen die Motion, 10 dafür, und zwei enthielten sich der Stimme. Damit ist der Vorstoss vom Tisch.

«RSF Schweiz bedauert diese Entscheidung», kommentiert Denis Masmejan, Generalsekretär von RSF Schweiz, das Abstimmungsresultat. Es handle sich um eine verpasste Gelegenheit: «Der Text verpflichtete inhaltlich zu nichts, hatte aber den Vorteil, dass er den Bundesrat gezwungen hätte, das Dossier dieses unglücklichen Artikels 47 des Bankengesetzes wieder zu öffnen.» RSF Schweiz habe gehofft, dass sich danach die Vernunft durchsetzen und das Parlament schliesslich anerkennen würde, dass man nicht denjenigen, der Bankdaten stehle, mit dem Medium in einen Topf werfen könne, das punktuell gestohlene Bankdaten nutze, um unter Einhaltung der journalistischen Berufsregeln wahrheitsgetreue Informationen von allgemeinem Interesse zu veröffentlichen: «Ich glaube, die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist diesbezüglich sehr klar.»

Vor der Entscheidung des Ständerats hatte Investigativ.ch in einem offenen Brief mit dem Titel «Kein Maulkorb für den Investigativjournalismus!», den unter anderen auch RSF Schweiz unterzeichnet hatte*, den Ständerat aufgefordert, die Motion anzunehmen. Ausserdem baten die Unterzeichnenden den Ständerat, das Kommissionspostulat der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerats (WAK-S) abzulehnen. Denn die WAK-S hatte sich nicht nur für die Ablehnung der Motion ausgesprochen, sondern ihr ein «Kommissionspostulat» unter dem Titel «Handhabung der weiteren Verwendung illegal erworbener Daten» entgegengestellt.

Es gebe, so die WAK-S, «viel grundsätzlicheren Klärungsbedarf bezüglich der Handhabung der weiteren Verwendung, insbesondere der Veröffentlichung, illegal erworbener Daten». Diese Problematik werde sich nach Ansicht der Kommission aufgrund der steigenden Cyberkriminalität in Zukunft verschärfen: «Die Kommission wünscht deshalb, dass die Diskussion rund um die Problematik der Strafbarkeit der Veröffentlichung illegal erworbener Daten ausgeweitet wird, bevor allenfalls spezifische Bestimmungen für den Finanzsektor erlassen werden.»

In ihrem Postulat forderte die WAK-S, der Bundesrat solle in einem Bericht aufzeigen, wie der gesetzliche Schutz sensibler persönlicher Daten vor Veröffentlichungen durch soziale und private Medien verbessert werden könne und gleichzeitig einem legitimen öffentlichen Interesse der Aufklärung von systematischen Gesetzesverletzungen Rechnung getragen werden könne. Der Bundesrat solle prüfen, ob die Strafbarkeit der Veröffentlichung von rechtswidrig erhaltenen oder erworbenen Personen- oder anderen sensiblen Daten eingeführt werden solle: «Eine solche Regelung soll die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden weiterhin ermöglichen, sie soll aber auch die zu schützenden Personen vor Vorverurteilungen der Öffentlichkeit und generell in ihren Persönlichkeitsrechten schützen.»

Der Vorstoss schreckte Medien und Medienschaffende auf: Nun stand plötzlich im Raum, dass allgemein die Veröffentlichung rechtswidrig erhobener Daten unter Strafe gestellt werden könnte. Das würde investigativen Journalismus – nicht nur im Bankenbereich – verunmöglichen. So würde etwa die Veröffentlichung von Daten, die eine Ungerechtigkeit belegten und von einem Whistleblower weitergegeben wurden, strafbar. Journalistinnen und Journalisten dürften künftig nur noch mit Daten arbeiten, die vom «Dateninhaber» freigegeben würden – und wer gibt Daten frei, die belegen, dass man selbst zum Beispiel schmutzige Geschäfte betrieben hat? Oder die belegen, dass in einer Verwaltung schwere Fehler geschehen sind?

Der Bundesrat hatte das «Kommissionspostulat» der WAK-S zur Ablehnung empfohlen: Die geltende materielle Rechtslage sei grundsätzlich ausreichend, um eine weitere Verwendung illegal erworbener Daten zu erfassen, schrieb er in seiner Stellungnahme. Und er erkenne «angesichts der bestehenden Rechtslage» in einer Berichterstattung zu den Fragen der Kriminalisierung der Verwendung von illegal erlangten Daten sowie der Zulässigkeit einer Veröffentlichung aus übergeordneten Interessen «keinen erheblichen Mehrwert».

Trotz allem stimmte der Ständerat am 20. Dezember dem Postulat zu, mit 28 Ja- gegen 12 Nein-Stimmen bei 2 Enthaltungen. Der Bundesrat wird nun den verlangten Bericht erstellen müssen. Was dann? Der Status quo mit einem Artikel 47, der die Informationsfreiheit einschränkt? Neue Einschränkungen der Pressefreiheit?

«Es ist schwierig, den Ausgang dieses Prozesses vorherzusagen, weil unklar ist, worauf das Postulat eigentlich abzielt», sagt Denis Masmejan von RSF Schweiz. Wörtlich genommen fordere der Text eine Ausweitung der Fälle, in denen die Veröffentlichung von Personendaten aus illegaler Quelle unter Strafe gestellt werden soll, ohne Rücksicht auf den Informationsauftrag der Medien. Der Berichterstatter der Kommission, Ständerat Thierry Burkart (FDP/AG), habe jedoch einige Nuancen ins Spiel gebracht, «sodass man nicht mehr genau weiss, was man glauben soll», so Masmejan. «Unsere Forderung bleibt dieselbe: Das Gesetz muss eine Klausel enthalten, die die Medien ausnimmt, wenn die von ihnen veröffentlichten Informationen wahrheitsgemäss und von allgemeinem Interesse sind.»

Bettina Büsser, Koordinatorin Deutschschweiz von RSF Schweiz 

*Unterstützende Organisationen und Verbände: SRG SSR, Schweizer Medien (Verband), verband medien mit zukunft, Radios Régionales Romandes, syndicom, impressum, Schweizer Syndikat Medienschaffender (ssm), lobbywatch.ch, RSF Schweiz, maz, Öffentlichkeitsgesetz.ch, Centre de Formation au Journalisme et aux Médias (CFJM), investigativ.ch, Schweizer Presserat.

 

 

 

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