Ein Schweizer Gericht hat einen ehemaligen gambischen Spitzenbeamten wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gesprochen und ihn zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Reporter ohne Grenzen (RSF) begrüsst diese Entscheidung und erinnert daran, dass der ehemalige Präsident Yahya Jammeh, der Hauptverantwortliche für die gegen Journalisten begangenen Verbrechen, sich nicht länger der Justiz entziehen können sollte.

Das Bundesstrafgericht in Bellinzona, Schweiz, hat Ousman Sonko, den ehemaligen Innenminister von Gambia, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig befunden. RSF begrüsst den Ausgang dieses wichtigen Prozesses als einen weiteren Erfolg in Gambias Streben nach Rechenschaft für die zahlreichen Verbrechen, die während der Jammeh-Ära begangen wurden. Als Gambias ehemaliger Präsident hatte Yahya Jammeh alle vermeintlichen Gegner, darunter auch viele kritische Journalisten, grausam verfolgt. Sein damaliger mächtiger Innenminister Ousman Sonko wurde nun für schuldig befunden; das Bundesstrafgericht hat gegen ihn eine Freiheitsstrafe von 20 Jahren verhängt.

«Nach Deutschland ist die Schweiz nun der zweite Staat, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Gambia während der Jammeh-Ära untersucht hat. Ousman Sonko und Bai L. wurden wegen ihrer Beteiligung an Verbrechen gegen jene Gambier verurteilt, die der Diktator Yahya Jammeh als Bedrohung für seine Macht ansah, darunter viele Medienschaffende. Diese Prozesse nach dem Prinzip der universellen Gerichtsbarkeit, die weit weg von Gambia und den meisten Opfern geführt wurden, zeigen, dass eine Rechenschaftspflicht möglich ist. Und sie weisen auf die nächsten wichtigen Schritte hin: die Fortsetzung der Suche nach Gerechtigkeit innerhalb von Gambia und die Rechenschaftspflicht von Jammeh selbst.»
Sadibou Marong, Direktor von RSF für Subsahara-Afrika

Von 1996 bis 2017 hatte Yahya Jammeh sein grausames Regime in dem westafrikanischen Staat durchgesetzt. Um jede Bedrohung seiner Macht auszuschalten, ordnete er aussergerichtliche Tötungen von vermeintlichen Gegnern an, darunter viele kritische Journalisten. Deyda Hydara, Madi Ceesay und Musa Saidykhan gehören zu den Journalisten, deren Fälle vor den Gerichten in Celle (Deutschland) und Bellinzona (Schweiz) untersucht wurden. Am Ende des Prozesses gegen Ousman Sonko haben die Richter in Bellinzona festgestellt, dass Madi Ceesay, damals Journalist und heute Mitglied des gambischen Parlaments, und Musa Saidykhan, Chefredaktor von The Independent, einer der wichtigsten Zeitungen in Gambia, nach der Veröffentlichung von Artikeln in The Independent verhaftet und während der wochenlangen Haft von den gambischen Behörden – damals unter der Kontrolle des Innenministers – gefoltert wurden. Viele Kolleginnen und Kollegen der beiden Journalisten litten unter dieser Verfolgung, ganze Medienhäuser wurden geschlossen, ihre Gebäude Ziel von Brandstiftung. In Gambia unter Jammeh ein kritischer Journalist zu sein, bedeutete, ständig in Gefahr zu sein.

«Über 100 Journalistinnen und Journalisten flohen aus dem Land und lebten im Exil, darunter auch ich. Viele andere verliessen das Land für immer, was sich negativ, wenn nicht sogar tödlich auf den unabhängigen Journalismus auswirkte. Bis heute haben wir uns von diesem Verlust noch nicht erholt, was zu einer Schwächung des unabhängigen Journalismus im Land geführt hat», sagt die unabhängige Journalistin Sanna Camara, die 2017 nach drei Jahren im Exil in ihre Heimat zurückkehrte, um in der Hauptstadt Banjul weiterzuarbeiten.

Während sich die Pressefreiheit in Gambia nach der Ära Jammeh deutlich verbessert hat, sind gambische Medienschaffende bei der Berichterstattung über die Prozesse in Deutschland und der Schweiz auf grosse Hindernisse gestossen. Die Anhörungen, Schlussplädoyers und die Urteilsverkündung in Bellinzona wurden fast ausschliesslich in deutscher Sprache abgehalten. Es wurde nur dort übersetzt, wo es für das Verständnis des Gerichts notwendig war, ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Opfer und Journalisten. Nur wenige gambische Medienschaffende machten sich auf den Weg nach Bellinzona, trotz hoher Kosten, schwieriger Visaverfahren und sprachlicher Barrieren. Mariam Sankanu und Sanna Camara haben den Prozess von den ersten Anhörungen an verfolgt.

«Dass gambische Journalisten diesen Prozess verfolgen konnten, hat den Menschen Informationen nähergebracht, auf die es wirklich ankommt: dem gambischen Volk, einschliesslich der Opfer. Vor diesem Prozess haben die Gambier nicht viel über Sonko gehört. Aber die Berichterstattung der gambischen Journalisten hat sie aufgeweckt, würde ich sagen, und ihr Interesse geweckt. Jetzt waren alle gespannt auf das Urteil. Alle waren neugierig. Denn sie haben es verfolgt», sagt die gambische Enthüllungsjournalistin Mariam Sankanu. Mit Unterstützung von RSF hatten sich Sankanu und Camara erneut auf den Weg von Banjul nach Bellinzona gemacht, um über den Richterspruch zu berichten.

RSF Schweiz bedauert jedoch, dass das Gericht die Besonderheiten eines Prozesses, der in der Schweiz auf der Grundlage der universellen Gerichtsbarkeit geführt wird, nicht ausreichend berücksichtigt hat. «Damit ein solcher Prozess seine Ziele wirklich erreichen kann, hätte er unter Bedingungen geführt werden müssen, die es den aus Gambia angereisten Parteien, Zeugen sowie Vertretern der Öffentlichkeit und der Medien ermöglichen, den Prozess mit einer vollständigen Simultanübersetzung ins Englische zu verfolgen, die vom Schweizer Gericht selbst sichergestellt wird. Das war nicht der Fall. Dies ist zu bedauern und es ist zu hoffen, dass das Bundesstrafgericht in Zukunft die Lehren daraus ziehen wird», sagt Denis Masmejan, Generalsekretär von RSF Schweiz.

Anlässlich des Urteils wiederholt RSF die Forderung, Jammeh an Gambia auszuliefern, wo die Wahrheits-, Versöhnungs- und Wiedergutmachungskommission (TRRC) den Weg zur Rechenschaft für die Menschenrechtsverletzungen unter seinem Regime bereitet hat und die Zivilgesellschaft ihre Regierung auffordert, die Empfehlungen der TRRC umzusetzen. Jammeh selbst vor Gericht zu stellen, wäre ein weiterer entscheidender Schritt auf dem Weg zur Rechenschaftspflicht und würde die Pressefreiheit in Gambia weiter stärken.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit 2024 von RSF liegt Gambia auf Platz 58 von 180.

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