Reporter ohne Grenzen (RSF) hat die Programme und Sendungen der französischen Nachrichtensender unter die Lupe genommen – und zwar unter Berücksichtigung der neuen Kriterien zur Messung des Pluralismus in den Medien, die von der Regulierungsbehörde für audiovisuelle und digitale Kommunikation (Arcom) festgelegt wurden. Die Ergebnisse sind eindeutig: Auch wenn es stellenweise einige Ungleichgewichte gibt, weicht nur der Sender CNews, der zur Canal+ Gruppe des Milliardärs Vincent Bolloré gehört, offensichtlich und systematisch von den Vorgaben zur Wahrung des Pluralismus ab. Der Privatsender geht sogar so weit, die Medienaufsichtsbehörde zu verhöhnen: Er bringt ein Banner an, das die Einhaltung dieser Regeln verkündet, die jedoch im untersuchten Monat weitgehend missachtet wurden.

Im März 2025 erscheint auf dem prominenten Banner von CNews folgende Meldung: «Gemäss den gesetzlichen Bestimmungen respektiert CNews den Pluralismus und die Redezeit.» Um dieses Banner mit der Erklärung der vermeintlichen eigenen Tugendhaftigkeit zu sehen, muss man aber spätabends noch wach sein. Denn der Sender der Canal+ Gruppe, der dem Milliardär Vincent Bolloré gehört, sendet sie vor allem nachts. Eine Provokation gegenüber der Regulierungsbehörde, da der Sender, wie unsere Untersuchung zeigt, am weitesten von den geltenden Vorschriften in diesem Bereich entfernt zu sein scheint.

«Nächtliche Nachholaktionen bei den Sendezeiten, einseitige Behandlung kontroverser Themen, umfangreiche Berichterstattung über eine Handvoll Themen… Die von RSF durchgeführte Vergleichsstudie über alle französischen Nachrichtensender ermöglicht es, auf der Grundlage klarer Zahlen und einer transparenten Methodik einen möglichst objektiven Blick auf die Einhaltung des Pluralismus zu werfen. Sie zeigt eindeutig, dass CNews der einzige Sender ist, der so weit von den von der Arcom festgelegten Kriterien zur Einhaltung des Pluralismus in der Berichterstattung abweicht. Diese massive Umgehung des Gesetzes und der festgelegten Regeln geschieht völlig ungestraft.»
Arnaud Froger
Leiter des Untersuchungsbüros von RSF

In Frankreich ist Pluralismus in den Nachrichtensendern nicht nur eine Option. Es ist ein verfassungsmässiges Prinzip, «eine der Voraussetzungen für Demokratie», so der Staatsrat des Landes. Seine Einhaltung soll nämlich sicherstellen, dass alle «Denkschulen und Meinungen» zu Wort kommen und ausgewogene Debatten geführt werden. Auf Antrag von RSF hatte der Staatsrat im Februar 2024 die Regulierungsbehörde für audiovisuelle und digitale Kommunikation (Arcom) angewiesen, dieses wesentliche Prinzip durchzusetzen. Einige Monate später, im Juli, legte die unabhängige Verwaltungsbehörde neue Kriterien fest, um eine Kontrolle des Pluralismus zu gewährleisten, die sich nicht mehr wie bisher nur auf die faire Behandlung der politischen Kräfte im Fernsehen beschränkt. Die französische Medienaufsichtsbehörde soll nun die Vielfalt der Gesprächsteilnehmer, der Themen sowie die Art und Weise, wie diese im Fernsehen präsentiert werden, überprüfen. Mehr als ein Jahr später wurden in dieser Angelegenheit noch keine Sanktionen gegen die Nachrichtensender verhängt. Ist das festgestellte Problem verschwunden?

Um dies zu überprüfen, hat RSF eine Untersuchung durchgeführt. In Zusammenarbeit mit dem unabhängigen Journalisten Antoine Schirer entwickelten wir ein Tool, mit dem alle zehn Sekunden ein Screenshot der vier französischen Nachrichtensender (BFMTV, CNews, France Info, LCI) gemacht werden kann. Vom 1. bis 31. März 2025 wurden so mehr als eine Million Screenshots automatisch und unterschiedslos erstellt. Insgesamt wurden fast 700.000 Lauftexte analysiert. Auch wenn die darin enthaltenen Informationen keine sekundengenaue Angabe der Sendezeit jedes einzelnen Redners ermöglichen, liefern die gesammelte Datenmenge und ihre Häufigkeit ein Bild davon, wer spricht und worüber gesprochen wird.

Erste Feststellung: Die von RSF beobachtete Verteilung des politischen Angebots in den Sendungen entspricht in etwa der von den Sendern selbst gegenüber der Arcom angegebenen Verteilung. Auf den ersten Blick scheint sich kein Sender allzu sehr von der festgelegten Regel zu entfernen: Ein Drittel der Sendezeit für die Exekutive, die anderen zwei Drittel gleichmässig verteilt auf alle politischen Kräfte entsprechend ihrem Wahlgewicht, den Meinungsumfragen und ihrem Beitrag zum politischen Leben. Dieser Rahmen lässt jedem Sender einen kleinen Spielraum, um nicht in kleinliche Berechnungen zu verfallen. Weder unsere Zählung noch die der französischen Medienaufsichtsbehörde lassen ein grösseres Ungleichgewicht erkennen. Keine politische Kraft scheint offensichtlich bevorzugt oder benachteiligt zu werden.

Bei CNews ist der politische Pluralismus nur Schein

Ein Ergebnis sorgt jedoch für Irritation. Bei CNews scheint die Linke – La France insoumise (LFI), die Kommunistische Partei (PCF), die Sozialistische Partei (PS) und die Grünen (EELV) – deutlich stärker vertreten zu sein als die extreme Rechte. Angesichts des Sendeprofils von CNews macht das stutzig. Wie lässt sich das erklären? Bei genauerer Betrachtung der Daten nach Tageszeiten haben wir festgestellt, dass CNews, weit davon entfernt, den Pluralismus in seinen Sendungen zu respektieren, betrügt. Beim Vergleich des politischen Angebots in der Nacht mit den Hauptsendezeiten (7–10 Uhr und 18–21 Uhr in unserer Untersuchung) haben wir völlig umgekehrte Tendenzen festgestellt.

In der Nacht, während die Französinnen und Franzosen schlafen, ist die politische Linke deutlich prominenter vertreten. Die extreme Rechte aber nimmt zu den Hauptsendezeiten mit Abstand den ersten Platz ein. Der Unterschied ist deutlich. Im Laufe des untersuchten Monats gab es keinen anderen Sender, der einen solchen Unterschied in der Berichterstattung machte. BFMTV variiert sein politisches Angebot nicht je nach Tageszeit; die wenigen Unterschiede, die bei LCI zu beobachten sind, führen zu keiner ausgeprägten Diskriminierung, und France Info wechselt nachts zu France 24. Diese «nächtlichen Nachholsendungen» geben den politischen Kräften, denen tagsüber keine Sendezeit eingeräumt wurde, künstlich Redezeit und ermöglichen es, monatliche Gesamtergebnisse zu präsentieren, die die Illusion von politischem Pluralismus vermitteln. Aber sie sind theoretisch verboten. CNews wurde bereits abgemahnt wegen ähnlicher Vorfälle im Jahr 2021 – eine Entscheidung, die zwei Jahre später vom französischen Staatsrat bestätigt wurde.

Das Vorgehen ist ebenso plump wie wirksam. Interviews oder ganze Konferenzen des ehemaligen sozialistischen Präsidenten François Hollande, des Vorsitzenden von La France insoumise (LFI), oder von Jean-Luc Mélenchon oder seines Koordinators Manuel Bompard werden sehr spätabends, nachts oder frühmorgens ausgestrahlt. Manchmal geschieht dies gar in eklatantem Widerspruch zu den aktuellen Ereignissen, um die Bilanz auszugleichen und der Arcom eine saubere Bilanz zu liefern. Ein trügerischer Pluralismus und eine offensichtliche Umgehung des Geistes des Gesetzes. Im März, ohne dass es besondere aktuelle Ereignisse gab, erscheint François Hollande nach unserer Zählung unter den ersten politischen Persönlichkeiten, die auf CNews ausgestrahlt werden, direkt nach dem damaligen Premierminister François Bayrou (MoDem) und Präsident Emmanuel Macron.

Ein weiteres Beispiel: Am 27. März 2025 um 23:00 Uhr wird die Umgehungsstrategie so grotesk, dass Moderator Gauthier Le Bret sich ein Lächeln nicht verkneifen kann, als er am Ende seiner Sendung «ein Treffen mit François Hollande» ankündigt. Es folgt eine Rede des ehemaligen Staatschefs von zwei Tagen zuvor, die 1 Stunde und 20 Minuten lang ohne Unterbrechung übertragen wird. Entsprechend tickt die Uhr. Wer diese Rede nicht mitverfolgen konnte, hatte drei Tage später nochmals die Möglichkeit dazu. Diesmal musste man allerdings früh aufstehen, nämlich um 5:30 Uhr am Sonntag, dem 30. März.

Insgesamt hat RSF gut 20 solcher Sequenzen identifiziert – politische Reden von mehr als fünfzehn Minuten Länge, die während der Nacht ununterbrochen ausgestrahlt wurden. Das entspricht zehn Stunden Sendezeit im gesamten Monat März. Diese Sendezeiten sind jedoch überwiegend «rot» oder «rosa», da 80 % der Zeit von Vertretern der Linken eingenommen werden. Eine Strategie, die die Gesamtbilanz erheblich prägt. Die nächtlichen Nachholsendungen trugen im März 2025 zu 39 % der gesamten Sendezeit bei, die diesem Teil des politischen Spektrums auf CNews zugeteilt wurde. Die Praxis scheint systematisch zu sein. In den folgenden Monaten, von April bis September 2025, haben wir mindestens 33 weitere Sequenzen dieser Art auf dem Sender identifiziert.

Da die Vielfalt der Meinungen nicht nur durch Politikerinnen und Politiker gemessen werden kann, hat sich RSF auch Medienschaffende in Fernsehsendungen (Gäste sowie gelegentliche oder regelmässige Kommentatoren) untersucht, da diese insbesondere in Diskussionssendungen eine wichtige Rolle spielen. BFMTV und France Info bieten eine recht breite Palette von Teilnehmenden aus verschiedenen Medien. Der gleiche Trend ist bei LCI zu beobachten, mit Ausnahme von Le Figaro, dessen Medienschaffende allein ein Drittel der in dieser Kategorie im Laufe des Monats erfassten Auftritte ausmachen. Bei CNews ist das Ungleichgewicht hingegen stark ausgeprägt. Die überwiegende Mehrheit, mehr als 70 % der Medienschaffenden, stammt aus Medien, deren redaktionelle Ausrichtung rechts oder gar rechtsextrem ist.

Gesundheit, Bildung, Ökologie, Kaufkraft: grosse Abwesende in den Medien

Was die Vielfalt der behandelten Themen betrifft (alle Daten finden Sie in unserer interaktiven Grafik hier), ist der Krieg in der Ukraine im März 2025 das Hauptthema für BFMTV, France Info und LCI. Damals war die Diskussion stark von Verhandlungen um einen möglichen Waffenstillstand geprägt. LCI widmet diesem Thema darum mehr als 43 % seiner Nachrichtensendungen, was einer ganzen Woche Sendezeit entspricht. BFMTV widmet mehr als 12 % seiner Nachrichtensendungen dem Fall Émile, einem zweijährigen Jungen, der 2023 in Frankreich verschwand und dessen Gebeine ein Jahr später gefunden wurden.

Bei CNews hingegen ist die Unsicherheit in Frankreich das mit Abstand am meisten diskutierte Thema. Im März berichtete der Sender über mehr als hundert Gewalttaten, doppelt so viele wie alle drei Konkurrenten zusammen. Der Sender zeichnet sich zudem durch eine deutlich intensivere Behanldung gewisster Theen aus. Debatten über Islamismus, Identitätsfragen und Einwanderung sind siebenmal häufiger zu sehen als auf anderen Sendern, und das Thema Unsicherheit wird bis zu viermal häufiger behandelt. Diese Ergebnisse bestätigen die Ergebnisse Ergebnisse früherer Umfragen, darunter die des Kollektivs Sleeping Giants, die im April veröffentlicht wurde.

Die redaktionelle Freiheit ist ein untrennbarer Bestandteil der Pressefreiheit, aber die umfangreiche Berichterstattung über eine sehr begrenzte Anzahl von Themen wirft Fragen hinsichtlich der Fähigkeit auf, eine grosse Vielfalt von Themen abzudecken. Dies umso mehr, als die gesammelten Daten deutlich blinde Flecken in der Berichterstattung aufzeigen. Insgesamt nehmen Themen wie Gesundheit, Ökologie, Kaufkraft oder Bildung, die regelmässig zu den wichtigsten Anliegen der französischen Bevölkerung zählen, weniger als 4 % der Sendezeit aller Sender ein.

Verurteilung von Marine Le Pen: Einseitige Berichterstattung auf CNews

Ein Thema hat am 31. März ausnahmslos alle vier Sender beschäftigt: die Verurteilung von Marine Le Pen, Abgeordnete des Rassemblement National (RN) und mehrfache Kandidatin für die Präsidentschaftswahlen. Sie wurde damals zu vier Jahren Haft und fünf Jahren Unwählbarkeit mit sofortiger Wirkung verurteilt, wegen Veruntreuung von mehreren Millionen Euro in der Affäre um die europäischen Parlamentsassistenten. Wie wurde darüber berichtet? Wurden die verschiedenen Standpunkte ausgewogen dargestellt?

Um die Einhaltung des dritten Kriteriums in Bezug auf Pluralismus – die Darstellung einer Vielzahl von Standpunkten – zu bewerten, haben wir nach dieser Gerichtsentscheidung das Programm der Sender über 24 Stunden lang analysiert, wobei wir uns auf sechs Stunden pro Sender konzentriert haben. Die Äusserungen aller Beteiligten – Medienschaffende, Gäste, Politiker oder andere – wurden nach mehreren Kategorien klassifiziert: Verteidigung oder Kritik der Entscheidung, Auswirkungen auf das politische Leben, Erinnerung an die Tatsachen.

Die Daten zeigen eine ausgewogene Berichterstattung bei BFMTV und France Info, wo ebenso viele Stimmen für die Entscheidung wie gegen sie zu hören waren. Bei LCI gab es doppelt so viele kritische Stimmen. Bei CNews ist das Ungleichgewicht erheblich. Der Sender behandelte dieses Thema völlig einseitig und widmete der Kritik an der Entscheidung dreizehnmal mehr Sendezeit als ihrer Verteidigung oder Erläuterung in der untersuchten Stichprobe.

Mindestens drei Faktoren haben dazu geführt, dass eine einseitige Berichterstattung und eine sehr parteiische Interpretation dieser aktuellen Ereignisse entstanden sind. Von den sechs analysierten Sendestunden jedes Senders machen die grundlegenden Elemente des Falls, auf denen die Verurteilung basiert, bei CNews nur wenige Minuten aus. Die zu diesem Anlass zusammengestellten Gesprächsrunden kritisieren diese Entscheidung einstimmig. Bei der Analyse einer Sendung zum Thema auf jedem Sender wird sehr deutlich, dass die Moderatoren und Moderatorinnen bei BFMTV, France Info und LCI eine entscheidende Rolle bei der Moderation der Diskussionen und der Darstellung der verschiedenen Standpunkte spielen. So, wie sie dies in ihrer Rolle auch tun sollten. Bei CNews hingegen beteiligen sie sich direkt an der redaktionellen Bearbeitung und inhaltlichen Diskussion. Der Kontrast ist frappierend. Benjamin Duhamel auf BFMTV, Sonia Chironi auf France Info und David Pujadas auf LCI äussern fast nie persönliche Kommentare oder Meinungen zu diesem Thema, während Pascal Praud auf Cnews 60 % seiner Beiträge darauf verwendet. Seine persönlichen, einseitigen Meinungen zu diesem Thema, das er während der Sendung pauschal als «Unsinn» bezeichnet, nehmen mehr als ein Viertel der Sendung ein, die er am Abend des 31. März moderiert.

Auch wenn die Voreingenommenheit bei dieser Gelegenheit im März 2025 bei CNews zweifellos ihren Höhepunkt erreichte, gab die Arcom im Juli lediglich einen Aufruf zur Wachsamkeit des Herausgebers hinsichtlich der Behandlung dieser Nachricht heraus. Eine angesichts des Ausmasses der Verstösse lächerliche Massnahme.

Nach Abschluss unserer Untersuchung ist CNews der einzige Nachrichtensender, der sich offensichtlich von allen von der unabhängigen Verwaltungsbehörde festgelegten Kriterien entfernt. RSF behält sich das Recht vor, die Arcom aufzufordern, sich wegen wiederholter, struktureller und vorsätzlicher Verstösse gegen die in der Sendervereinbarung und der im Gesetz von 1986 verankerten Verpflichtung zur Pluralität mit CNews zu befassen.

CNews reagierte zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels nicht auf unsere Anfragen.

«Heute scheint sich die Regulierung des audiovisuellen Bereichs trotz der gesetzlichen Bestimmungen darauf zu konzentrieren, auf «Vorfälle in der Sendung» zu reagieren, ohne die wiederholten, absichtlichen strukturellen Ungleichgewichte zu beseitigen. Mit dieser Untersuchung zeigt RSF, dass es nicht nur möglich, sondern auch notwendig ist, Instrumente zur Messung des Pluralismus einzuführen. Die Infragestellung des internen Pluralismus könnte ebenso schwerwiegend sein wie die Abschaffung der Fairness-Doktrin durch Ronald Reagan, die den Niedergang des amerikanischen Journalismus einleitete und zehn Jahre später das Entstehen von Fox News ermöglichte. Der interne Pluralismus ist eine Frage der Regulierung und nicht nur eine technische Frage. Er muss angesichts der Schwierigkeit, in einer extrem polarisierten digitalen Landschaft, einen externen Pluralismus zu bewahren, verteidigt werden. Vor allem, weil in der Diskussion unabhängige Informationen nur schwer Gehör finden.»
Thibaut Bruttin
Generaldirektor von RSF

Arnaud Froger und Antoine Schirer

Die Recherche ist auch als Video verfügbar: 

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