«RT Doc», der Dokumentarfilme-Kanal des russischen Regierungssenders RT (ehemals Russia Today), hat trotz der Sanktionen der Europäischen Union eine gross angelegte Werbekampagne mit rund zwanzig Plakatwänden in Rom, Mailand und Bologna lanciert. Reporter ohne Grenzen (RSF) hat diese Kommunikationskampagne des Kremls in Italien untersucht.

Von Rom über Bologna bis nach Mailand bekamen in letzter Zeit italienische Autofahrer entlang mehrerer Hauptverkehrsachsen eine Werbung zu sehen, die anders war als alle anderen: ein halb verdecktes Gesicht mit durchdringenden blauen Augen, begleitet von derselben Botschaft auf Italienisch: «Loro vietano la verità! No la mostriamo. Trova le proiezioni dei documentari di RT nella tua città» («Sie verbieten die Wahrheit! Wir zeigen sie. Finden Sie die Dokumentarfilme von RT in Ihrer Stadt»). «RT Doc», der Dokumentarfilmzweig des russischen Medienunternehmens RT, das vom Kreml finanziert und mit Sanktionen der EU 2022 belegt ist, präsentiert sich mit diesem Slogan auf etwa zwanzig grossformatigen Werbetafeln.

Unter dem Deckmantel der «Wahrheit» verbreitet «RT Doc» Dokumentarfilme, deren Inhalte mit der Linie der russischen Regierung übereinstimmen. So verschleiert die Dokumentation «Donbass orphans find adoptive parents amid war and loss» («Waisenkinder aus dem Donbass finden inmitten von Krieg und Verlust Adoptiveltern») die Deportation ukrainischer Kinder nach Russland als humanitäre Aktion. Diese Aktion führte 2023 zu einem internationalen Haftbefehl gegen Wladimir Putin. Der Film «Donbass, that’s why I’m here» («Donbass, deshalb bin ich hier») zeichnet ein schmeichelhaftes Porträt des italienischen Propagandisten Vittorio Nicola Rangeloni, der in die besetzten Gebiete der Ukraine reist, wo lokale Medienschaffende systematisch unterdrückt und verhaftet werden. Die Journalistin Victoria Roshchyna hat dort ihre letzte Reportage gedreht, bevor sie verhaftet wurde und nach Folterungen in russischer Gefangenschaft starb.

Eine undurchsichtige Werbekampagne

Wie lässt sich erklären, dass eine solche Plattform trotz der europäischen Sanktionen, die ihre Verbreitung verbieten sollte, in mehreren italienischen Grossstädten von einer solchen Werbung profitieren konnte? Auf der Plattform X gratulierte Margarita Simonian, Chefredakteurin der RT-Gruppe, ihrem Team zu dieser Trotzreaktion. Die Identifizierung des Auftrag- und Geldgebers dieser italienischen Kampagne ist jedoch komplexer. Laut dem Journalisten Massimiliano Coccia ähnelt die Vorgehensweise derjenigen einer anderen Kampagne zur Unterstützung Russlands im Jahr 2024, über die er für das Medium Linkiesta recherchiert hat: Die Initiative geht von Privatpersonen aus, die den pro-Putin-Netzwerken nahestehen und einen Vertrag mit einer italienischen Agentur abschliessen. «Über Bürger statt über eine Organisation zu gehen, ist eine Technik, um Kontrollen der Finanzierung zu umgehen», sagt Coccia.

Die besagte Agentur kümmert sich dann mittels anderen Unternehmen um die Verbreitung der Inhalte. Tatsächlich sind vom Auftraggeber bis zum Verbreiter zahlreiche Werbeagenturen als Vermittler beteiligt, ohne unbedingt in direktem Kontakt mit dem ursprünglichen Kunden zu stehen. Allein für die Stadt Bologna hat RSF mindestens drei Agenturen ausfindig gemacht, die an dem Prozess vor der Plakatierung beteiligt waren.

Von RSF befragt, erklärte ein Verantwortlicher einer der Werbeagenturen, der anonym bleiben wollte, er sei «von einer italienischen Agentur kontaktiert worden», die ihn gebeten habe, Plakatflächen in Bologna, Rom und Mailand zu finden, und dass er «keine Ahnung vom Inhalt der Kampagne hatte und auch nicht wusste, dass RT dahintersteckte», bis er das Bildmaterial nur wenige Stunden vor der Veröffentlichung erhielt. Als er den Propagandasender erkannte, versicherte er, die Agentur, die ihn beauftragt hatte, sowie die lokalen Wiederverkäufer alarmiert zu haben. Da diese keine Massnahmen ergriffen, liess er die Kampagne ihren Lauf nehmen.

Welche Rolle spielen die Gemeinden bei der Regulierung dieser Einrichtungen? Tatsächlich verwalten italienische Agenturen Werbetafeln im öffentlichen Raum auf der Grundlage von Konzessionsverträgen mit den lokalen Rathäusern für die Anbringung von Werbung. Von RSF kontaktiert, rechtfertigten sich Mailand und Bologna damit, dass diese Plakate in die Zuständigkeit des privaten Betreibers der Werbetafeln fielen und sie nicht verpflichtet seien, die Inhalte zu überprüfen. «Aber sobald die ersten Meldungen eingegangen waren, wurden alle Botschaften innerhalb von 48 Stunden entfernt, nachdem dem Betreiber eine formelle Aufforderung zugestellt worden war», erklärt die Stadtverwaltung von Mailand. Ein ähnliches Verfahren wurde in Bologna eingeführt. Die Behörden gaben allerdings nicht an, wie sie verhindern wollen, dass sich solche Veröffentlichungen im öffentlichen Raum wiederholen. Die Stadtverwaltung von Rom hat auf unsere Interviewanfragen nicht reagiert.

Die Bilder auf den Werbetafeln blieben dennoch mehrere Tage lang hängen. In Bologna gibt die zuständige Werbeagentur an, dass sie am 18. Juni angebracht und eine Woche später, am 25. Juni, entfernt wurden, obwohl der Vertrag bis zum 29. Juni lief. Ein von RSF befragter Verantwortlicher des Unternehmens gab an, RT nicht erkannt zu haben und sofort «zurückrudern» gewollt zu haben, sobald er von den städtischen Behörden darauf hingewiesen worden sei.

Dieselbe Person gibt an, dass allein in Bologna diese Werbeplakate 2’000 Euro gekostet haben. Da die marktüblichen Preise für Rom und Mailand bekannt sind, schätzt er die Kosten dieser Kampagne in den beiden Städten auf etwa 5’000 bis 8’000 Euro. Insgesamt wurden 13 Plakatwände in Rom, fünf in Bologna und vier in Mailand entlang mehrerer Verkehrsachsen angebracht, von denen einige ironischerweise die Namen russischer Städte und Persönlichkeiten tragen, wie Gagarin oder Stalingrad.

Über hundert Veranstaltungen zur Förderung von RT

Obwohl der Auftraggeber dieser Kampagne nicht eindeutig identifiziert werden konnte, taucht der Name Vincenzo Lorusso in den Untersuchungen von RSF regelmässig auf. Dabei handelt es sich um einen in Russland lebenden, kremlfreundlichen Italiener, der für RT arbeitet und aktiv Beiträge für die Desinformationswebsite International Reporters verfasst. Im staatlichen Fernsehsender Rossiya 24 stellt die Produzentin von «RT Doc», Ekaterina Yakovleva, ihn als Organisator dieser Werbekampagne vor. Von RSF zu ihrer Beteiligung befragt, antwortete sie, ohne dies zu dementieren: «Wir sind überrascht, dass Sie diese Kampagne erst jetzt bemerken; in 18 Monaten gab es 110 Vorführungen in 40 italienischen Städten. Machen Sie sich weiter Sorgen.» 

Die politische Vereinigung Europa Radicale hat ihrerseits mindestens 139 Veranstaltungen von RT in Italien gezählt, die zwischen dem Frühjahr 2024 und Juni 2025 gegen die europäischen Sanktionen verstiessen.

Vincenzo Lorusso koordiniert regelmässig solche Veranstaltungen. Er ist der Organisator eines Filmfestivals, bei dem am 30. und 31. Mai in Gorizia, einer italienischen Stadt an der Grenze zu Slowenien, Dokumentarfilme von RT gezeigt wurden. Am 27. Juli organisierte er einen «Tag gegen Russophobie» – ein Begriff, den die russischen Behörden und ihre Sprachrohre, allen voran Wladimir Putin, verwenden, um jede aggressive Handlung zu rechtfertigen. An diesem Tag wurden zudem 200 Flyer mit dem gleichen Bildmaterial wie die Plakatkampagne in einigen italienischen Städten verteilt. Sie trugen alle die Aufschrift: «Sie verbieten Kunst, sie verbieten Kultur, sie verbieten die Wahrheit. Wir zeigen sie.» Von RSF kontaktiert, begrüsste Vincenzo Lorusso diese europäische Kampagne, die «zusammen mit zahlreichen italienischen Vereinigungen organisiert» wurde, und versprach «weitere Vorführungen im Herbst». Auf Fragen von RSF zur Finanzierung und zu den vertraglichen Modalitäten dieser Aktionen antwortete er nicht.

Die Kunst, europäische Sanktionen zu umgehen

Die RT-Kampagne in Italien blieb nicht unbemerkt und löste Reaktionen bis hin zum Europäischen Parlament aus. Dessen Vizepräsidentin Pina Picierno von der Demokratischen Partei verurteilte diese Aktion öffentlich und kündigte ihre Absicht an, Klage einzureichen. Zudem forderte sie die EU-Kommission auf, Vergeltungsmassnahmen zu ergreifen. In Italien forderte die Abgeordnete Federica Onori von der Partei Azione einige Tage später vom Innenminister Erklärungen zu den geplanten Massnahmen, um die Gemeinden bei der Umsetzung der europäischen Sanktionen zu unterstützen.

Über die italienische Gesellschaft hinaus ist «RT Doc» auch im europäischen digitalen Raum präsent. Eine 2024 eingerichtete gesepiegelte Website von «RT Doc» ist ohne VPN aus mehreren EU-Ländern, darunter Frankreich, Italien und Portugal, weiterhin zugänglich. Es ist nicht das erste Mal, dass RSF auf die Zugänglichkeit von RT aus der EU trotz europäischer Sanktionen hinweist. Diese Sanktionen verbieten die Ausstrahlung aller RT-Kanäle eigentlich und belegen deren Muttergesellschaft ANO TV-Novosti mit Sanktionen. Theoretisch ist somit das gesamte RT-Netzwerk in der EU verboten, auch im Online-Bereich. Von RSF dazu befragt, verweist die EU-Kommission die Verantwortung an die Internetprovider und die Mitgliedstaaten, die zur Umsetzung der Vorschriften verpflichtet sind.

«Obwohl «RT Doc» in der EU verboten ist, taucht es weiterhin in der Öffentlichkeit auf, wie diese aktuelle Werbekampagne zeigt, und ist online leicht zugänglich. Diese Situation verdeutlicht die Grenzen der europäischen Sanktionen gegen diese Kreml-Agentur. RSF fordert die nationalen Behörden und Unternehmen auf, wachsam zu sein, um eine Wiederholung solcher Werbekampagnen zu verhindern, und fordert die EU sowie die Regulierungsbehörden nachdrücklich auf, die Kontrollen zu verstärken, um zu verhindern, dass russische Propagandamedien wie «RT Doc» die Vorschriften umgehen und weiterhin die europäische Öffentlichkeit erreichen.»
Haïfa Mzalouat und Pauline Maufrais
Investigativjournalistin und Referentin für die Ukraine bei RSF

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