Die Razzia der Zürcher Staatsanwaltschaft in der Redaktion von «Inside Paradeplatz» sowie bei dessen Betreiber Lukas Hässig zuhause hat die Medienlandschaft in der Schweiz schockiert. Erstmals wurde Art. 47 Bankengesetz – der «Maulkorb»-Artikel, der investigative Recherchen mit geleakten Bankdaten unter hohe Strafe stellt – gegen die Medien angewendet. Ein Präzedenzfall, der beunruhigende Folgen haben könnte. RSF appelliert vor diesem Hintergrund mit Vehemenz an das Parlament: Art. 47 muss dringend angepasst werden, sodass Medienschaffende nicht weiter in ihrer Arbeit behindert werden.

Strafrechtliche Verfahren, horrende Bussen von bis zu 250’000 Franken, oder gar bis zu drei Jahren Haft: Medienschaffende, die in der Schweiz mit geleakten Bankdaten arbeiten und Artikel dazu veröffentlichen, riskieren einen hohen Preis für ihre journalistische Arbeit. Selbst dann, wenn die Offenlegung dieser Recherchen im öffentlichen Interesse liegt und etwa Compliance-Probleme auf Seiten der Bank oder intransparente Bankgeschäfte von ausländischen Oligarchen, hiesigen CEOs oder anderen Potentaten aufdeckt.

Der Grund dafür liegt in Art. 47 Bankengesetz. Wer geheime Bankdaten, die er von einem Whistleblower erhalten hat, weitergibt, macht sich strafbar – ebenso, wer diese Bankdaten veröffentlicht. Davon sind nicht nur Whistleblower, sondern auch Medienschaffende direkt betroffen. Das in Art. 47 verbriefte Bankgeheimnis bedroht die Arbeit der Medien in der Schweiz akut und ist eine nicht hinnehmbare Einschränkung der Pressefreiheit.

Unerwartete Brisanz

Anfang Juni erreichte die Thematik eine neue, besorgniserregende Relevanz. Der Zürcher Blogger und Journalist Lukas Hässig berichtete, die Räumlichkeiten seines Online-Portals «Inside Paradeplatz» seien von der Zürcher Staatsanwaltschaft und der Polizei durchsucht worden – auf Basis einer vermuteten Verletzung des Bankgeheimnisses nach Art. 47. Es handelte sich dabei um die erste Razzia in einer Schweizer Redaktion seit Dezember 1994. Diese sei zwar friedlich verlaufen, gab Hässig im Nachhinein bekannt. Dennoch wirft der Fall ein Schlaglicht auf eines der grössten Defizite hinsichtlich der Pressefreiheit in der Schweiz.

Dieses Defizit ist derweil nicht neu. Bereits 2022 wurde publik, dass sich die Tamedia-Redaktionen nicht an einer internationalen Recherche zur Credit Suisse beteiligen konnten, da das Risiko einer Strafverfolgung auf Basis von Art. 47 zu gross war. Das rief damals die UNO-Sonderberichterstatterin Irène Khan auf den Plan, die ihrerseits den Bundesrat kritisierte. Am 3. März 2022 schrieb sie an den Bundesrat: : «[Art. 47] hat eine lähmende Wirkung auf […] die Medienfreiheit und behindert darüber hinaus den freien Informationsfluss. Meine Bedenken werden durch die Schwere der Freiheitsstrafen, die gegen Whistleblower und Journalisten verhängt werden können, noch verstärkt.»

Spürbarer «Chilling Effect»

Oliver Zihlmann, Investigativjournalist am Recherchedesk bei Tamedia, sagt heute zu RSF Schweiz: «Das Gesetz behinderte unsere damalige Arbeit stark. Es schützt die Interessen mächtiger Oligarchen, über die wir nicht berichten konnten, und lässt uns noch heute mit gebundenen Händen dastehen.» Der Gesetzgeber hingegen argumentiert, dass das Gesetz die Interessen vieler Bankkundinnen und -kunden schützen würde. «Wir Journalistinnen und Journalisten haben aber kein Interesse daran, unterschiedslos Bankdaten aus der Bevölkerung zu publizieren. Zumal normale Apotheker, Busfahrerinnen sowie Privatpersonen wie unsere Nachbarn oder Ladenmitarbeiter bereits durch das Persönlichkeitsrecht geschützt sind.»

Bankdaten von namentlich genannten Personen lassen sich nur in seltenen Fällen überhaupt veröffentlichen – nämlich dann, wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse besteht. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um Konten von politisch exponierten Personen aus Autokratien oder Diktaturen, beispielsweise aus Russland, sagt Zihlmann. «Es sind dann diese Personen, die mit unserem Bankgesetz geschützt werden.»

Das Gesetz, das in seiner heutigen Form seit 2015 existiert, nimmt aber keinen Bezug auf ein solches öffentliches Interesse. Eine Recherche von Tamedia im April dieses Jahres zur Genfer Privatbank Reyl hatte darum auch juristische Folgen für die Redaktion, sagt Zihlmann. «Die Bank drohte mit einer Strafanzeige.» Gleichzeitig wollte sie ein Publikationsverbot gegen die Artikel verhängen – wie im Fall Hässig auf Basis einer vermuteten Verletzung des Bankgeheimnisses. «Das Genfer Gericht gab uns allerdings Recht und wir konnten den Artikel dennoch publizieren», sagt Zihlmann. Dennoch hat die Bank nach eigenen Angaben nun eine Strafanzeige eingereicht.

Der Druck zugunsten der Pressefreiheit steigt

Dass nun in der Zwischenzeit wegen dieses Gesetzes ein anderes Medium, «Inside Paradeplatz» (neun Jahre nach der Publikation von Bankdaten) strafrechtlich verfolgt werde, habe alle überrascht, sagt Zihlmann. «Vor allem, weil es, soweit wir wissen, auf Seiten der Justiz nur um eine vermutete Verletzung des Bankgeheimnisses geht.» Wenn nun bereits eine Vermutung reiche für eine Razzia, dann verschärfe sich das Problem nur weiter.

Zihlmann hofft, dass durch die aktuelle Diskussion und die dramatische Eskalation rund um den Fall von Lukas Hässig und «Inside Paradeplatz» etwas Bewegung in die Sache kommt. Nebst dem öffentlichen Aufschrei blickt er gespannt auf die Diskussion, die nach wie vor in der Politik hängig ist. «Ein Postulat des Ständerats lässt gar eine Verschärfung der Gesetze prüfen, sodass sie nicht mehr nur auf geleakte Daten aus dem Bankenbereich anwendbar wären, sondern grundsätzlich auf geleakte Daten, unabhängig vom Thema.» Das wäre das Ende des investigativen Journalismus in der Schweiz, sagt Zihlmann. Er hofft aber, dass es nicht so weit kommen wird – auch, weil die Diskussion nun wieder an Fahrt gewonnen habe, und der Druck auf eine Gesetzesanpassung zugunsten der Pressefreiheit steige.

Valentin Rubin, Policy & Advocacy Manager RSF Schweiz

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