Die öffentlich-rechtlichen Medien in Europa befinden sich in vielen Ländern in einer multiplen Krise. Ein neuer Bericht von RSF nimmt deswegen die Lage der öffentlichen Medien in den 27 Ländern der EU sowie im Vereinigten Königreich und in der Schweiz unter die Lupe. Die vergleichende Analyse der Lage der öffentlich-rechtlichen Medien in Europa macht deutlich, was bei der Aufrechterhaltung oder Schwächung ihrer Finanzierung auf dem Spiel steht. Es geht um die Existenz einer starken Medienlandschaft, die auf den Werten Pluralismus, Zuverlässigkeit und redaktioneller Unabhängigkeit basiert.
Hier den umfassenden Bericht (auf englisch) lesen.
Es ist unbestreitbar: Die öffentlich-rechtlichen Medien in Europa befinden sich in vielen Ländern in einer multiplen Krise:
- Eine Wirtschaftskrise: Ihre Finanzierung über Rundfunkgebühren, Steuerabgaben oder Haushaltsmittel wird regelmässig in Frage gestellt. So auch in der Schweiz, wo wir voraussichtlich im Jahr 2026 über eine drastische Senkung der Rundfunkgebühr abstimmen werden.
- Eine technologische Krise: Die öffentlich-rechtlichen Sender müssen die Auswirkungen digitaler Plattformen auf den Umgang mit vertrauenswürdigen Informationen sowie deren Markt- und Meinungsmacht berücksichtigen, um auch in Zukunft bestehen zu können.
- Eine (geo-)politische Krise: Öffentlich-rechtliche Medien können leicht zum Sprachrohr der Regierung werden, wie dies etwa in Italien zu beobachten ist. Und in Ländern wie Ungarn werden sie richtiggehend zur Propagandamaschine der Machthaber.
- Und schliesslich eine Vertrauenskrise, die in einigen europäischen Ländern mit ihrer mangelnden Unabhängigkeit sowie ihrer vermeintlichen Voreingenommenheit einhergeht.
Auf europäischer Ebene soll dieser Krise mit dem European Media Freedom Act (EMFA) entgegengewirkt werden – vor allem mit Art. 5, welcher Garantien für die unabhängige Funktionsweise öffentlich-rechtlicher Medienanbieter vorsieht. Das Gesetz tritt am 8. August 2025 in Kraft. Der EMFA legt den EU-Mitgliedstaaten Verpflichtungen hinsichtlich der redaktionellen und funktionalen Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien auf – eine Massnahme, die die Relevanz von öffentlich-rechtlichen Medien einerseits unterstreichen und diese gleichzeitig auch absichern soll.
«Im Dienste der Öffentlichkeit oder der Partei? Das ist eine der grössten Herausforderungen, vor denen öffentlichen Medien heute in vielen Ländern Europas stehen, da die Gefahr ihrer Instrumentalisierung so gross ist. In diesem Zusammenhang verteidigt RSF die Idee eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der ehrliche, pluralistische und unabhängige Informationen für ein breites Publikum bereitstellt.»
Thibaut Bruttin
Generaldirektor von RSF
Ein europäischer Bericht
Der Bericht von RSF nimmt die Lage der öffentlichen Medien in den 27 Ländern der EU sowie im Vereinigten Königreich und in der Schweiz unter die Lupe. Entsprechend nimmt RSF – auch angesichts der Offensive gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf dem gesamten Kontinent – eine europäische Perspektive ein: Wir skizzieren darin Szenarien, erstellen eine Bestandsaufnahme der europäischen Medienlandschaft und geben Empfehlungen ab.
Einige begrüssenswerte Praktiken – wie die Erhöhung der Rundfunkgebühren in Tschechien – werden darin hervorgehoben. Andere, verhängnisvollere – wie die Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Liechtenstein im April dieses Jahres – werden angeprangert.
RSF ist der Ansicht, dass ein europäischer Aufbruch notwendig ist, um dem öffentlich-rechtlichen Informationsdienst von morgen den Weg zu ebnen.
Schweiz: Ein Vorbild im europäischen Vergleich, das nun bedroht ist
Noch 2018 lehnten in der Schweiz 71,6 % der Stimmbevölkerung die «No-Billag»-Initiative ab. Damit stellt das Land ein bemerkenswertes Beispiel in Europa dar, das zeigt, dass eine starke Mobilisierung der Bürgerinnen und Bürger den öffentlich-rechtlichen Rundfunk retten kann. Trotz eines übergreifenden Vertrauensverlustes in die Medien (2015 vertrauten 50% der Bevölkerung der Medien, 2024 waren es nur noch 41%) geniessen die journalistischen Angebote der SRG in der Schweizer Bevölkerung weiterhin hohes Ansehen – höher als sämtliche andere Medienangebote, wie das Jahrbuch Qualität der Medien 2024 feststellte.
Das im europäischen Vergleich robuste Modell der öffentlich-rechtlichen Medien ist heute allerdings durch die Initiative «200 Franken sind genug!» bedroht. Die Stimmbevölkerung wird voraussichtlich 2026 über diese Vorlage abstimmen, die eine drastische Senkung der Rundfunkgebühren von 335 auf 200 Franken pro Jahr vorsieht sowie Unternehmen von der Unternehmensabgabe ausklammern soll. Für die SRG hätte eine Annahme eine Budgetkürzung von bis zu 50 Prozent zur Folge und würde zu einer tiefgreifenden Veränderung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Schweiz führen.
Und selbst bei einer allfälligen Ablehnung der Initiative ist klar: Die SRG muss bis ins Jahr 2029 270 Millionen Franken (17 Prozent ihres Budgets) sparen. Denn der Bundesrat hat beschlossen, die Gebühren bis dahin schrittweise von 335 auf 300 Franken zu senken – unabhängig vom Ausgang der Volksinitiative.
Das Jahr 2026 wird entscheidend sein: Eine Schwächung der SRG wäre ein herber Schlag für die Schweizer Medienlandschaft sowie ein fatales Signal für das europäische Medien-Ökosystem. Denn die Schweiz stellt im europäischen Vergleich – trotz des grösser werdenden politischen Drucks – im Hinblick auf die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nach wie vor eine Vorbildfunktion für öffentlich-rechtliche Medien dar.
Extremer zeigen sich die Folgen der schwindenden Unterstützung der öffentlich-rechtlichen Medien bereits in unserem Nachbarland Liechtenstein. Radio Liechtenstein musste im Frühling nach einem Referendum über dessen Weiterführung den Betrieb einstellen. Die Situation verdeutlicht konkret die Gefahren, die den europäischen öffentlich-rechtlichen Medien drohen.
«Die vergleichende Analyse der Lage der öffentlich-rechtlichen Medien in Europa macht deutlich, was bei der Aufrechterhaltung oder Schwächung ihrer Finanzierung auf dem Spiel steht. Während private Medien eine dramatische Ressourcenkrise durchleben, geht es um die Existenz einer starken Medienlandschaft, die auf den Werten Pluralismus, Zuverlässigkeit und redaktioneller Unabhängigkeit gegenüber Behörden, Parteien und Wirtschaftsmächten basiert. In diesem Zusammenhang wird die bevorstehende Abstimmung in der Schweiz über die Initiative «200 Franken sind genug» symbolträchtig sein. Die Kampagne verspricht schwierig zu werden, denn sie muss die Stimmbevölkerung davon überzeugen, dass sie mit einer Annahme der Vorlage nicht ihrem Interesse dienen würde.»
Denis Masmejan
Generalsekretär RSF Schweiz
Die wichtigsten Informationen aus dem Bericht:
Starker politischer Druck
- In mehr als der Hälfte aller Länder sind die Befragten der RSF-Umfrage der Meinung, dass teils starker Druck auf die öffentlichen Medien ausgeübt wird – auch in der Schweiz.
- Für mehr als die Hälfte der Befragten (55,17 %) ist dieser Druck auf die öffentlichen Medien politischer Natur. Dies zeigt sich vor allem in politischen Eingriffen in die Unternehmensführung oder in Ernennungen und plötzlichen Wechseln in der Geschäftsleitung.
Hohes Vertrauen
- In 58,6 % der untersuchten Länder wird die redaktionelle Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien als hoch oder sehr hoch eingeschätzt. (So auch in der Schweiz: Insbesondere die Angebote von SRF und RTS News geniessen gemäss den Erhebungen des Jahrbuchs der Qualität der Medien 2024 von allen Medien noch immer das höchste Vertrauen.)
- 11 öffentlich-rechtliche Medien in acht Ländern haben die Journalism Trust Initiative (JTI) implementiert. Dabei handelt es sich um einen von RSF und weiteren Vertretern der Journalismusbranche entwickelten Transparenzstandard für Nachrichtenmedien.
Instrumentalisierung der Finanzierung
- Öffentliche Medienanstalten stehen sehr oft in der Kritik wegen ihrer – als zu hoch empfundenen – Kosten. Dies sowohl in Ländern, deren Gesamtwirtschaft Sparmassnahmen durchlaufen hat (Spanien, Portugal, Italien), als auch in Ländern mit einer besseren konjunkturellen Lage (Schweiz, Deutschland)
- Die Rundfunkgebühr ist vielerorts ein bevorzugtes Ziel, wenn es darum geht, Ausgaben zu sparen – häufig aus populistischen Gründen.
- Laut EBU sinken die Budgets öffentlicher Medien um rund 9 %, wenn der Beitrag durch staatliche Finanzierung ersetzt wird – sie steigen hingegen um 14 %, wenn der Beitrag reformiert, oder um 9 %, wenn er durch eine zweckgebundene Abgabe ersetzt wird.
RSF schlägt als Abfederung der vielschichtigen Krise insbesondere folgende Massnahmen vor
- Entwicklung gemeinsamer Praktiken zur Kontrolle des internen Pluralismus in den Medien durch die europäischen Medien-Regulierungsbehörden;
- die Prüfung eines Finanzierungssystems auf der Grundlage einer Abgabe für digitale Plattformen;
- Massnahmen zur Öffnung der Redaktionen, insbesondere durch die Einführung eines «Medientags» am 3. Mai, dem internationalen Tag der Pressefreiheit;
- und die Schaffung eines europäischen Auslandsrundfunks, der das Überleben von Radio Free Europe/Radio Liberty in Synergie mit anderen europäischen Akteuren des Sektors ermöglicht.