Unter dem Vorwand des Fact-Checking verbreitet das kreml-nahe russische Global Fact-Checking Network (GFCN) offizielle russische Propaganda im Ausland. Reporter ohne Grenzen prangert dieses neue Instrument der russischen Desinformationskampagne an.
«Experten, Journalisten und Medienschaffende zusammenbringen, die bereit sind, das Recht auf zuverlässige Informationen zu verteidigen»: Das ist das Ziel, das Vladimir Tabak, Präsident des Global Fact-Checking Network (GFCN), am 5. Juni verkündete. Das GFCN präsentiert sich als russisches Netzwerk zur «Überprüfung von Fakten». Auf einem digitalen Forum in Nischni Nowgorod, östlich von Moskau, stellte der ehemalige Mitarbeiter der Präsidialverwaltung und Leiter der von den USA sanktionierten russischen Organisation «Dialog Regions» die Initiative vor. Dabei nahmen neben der Sprecherin des russischen Aussenministeriums Maria Zakharova auch der serbische Minister für Information und Telekommunikation, Boris Bratina, sowie der irische Korrespondent des russischen Staatspropagandasenders RT, Chay Bowes, teil.
Angekündigt im November 2024 will das GFCN seit April 2025 mit einer eigenen Online-Präsenz «die Bemühungen zur Bekämpfung von Desinformation koordinieren, die von […] verschiedenen Ländern weltweit unternommen werden.» Hinter dieser Rhetorik verbirgt sich in Wirklichkeit ein Propagandainstrument, das von Strukturen gegründet und gesteuert wird, die dem Kreml unterstellt sind: «Dialog Regions», die New Media School, ein russisches Bildungsprogramm für «Medienfachleute» sowie die staatliche Nachrichtenagentur TASS. Das direkt vom russischen Aussenministerium geförderte Projekt gibt sich als Alternative zu unabhängigen internationalen Organisationen wie dem International Fact-Checking Network (IFCN).
«Diese neue Initiative ist Teil einer bewährten Strategie des Kremls: unabhängige Institutionen zu imitieren, um seine Propaganda besser zu verbreiten. Russlands «Faktenchecks» dürfen niemanden täuschen: Moskau und seine verschiedenen Agenturen überprüfen die Fakten nicht. Sie manipulieren sie, um sie ihrer Darstellung anzupassen und insbesondere, um ihre totale Aggression gegen die Ukraine zu legitimieren. RSF verurteilt dieses neue Instrument im Dienste des russischen Desinformationsapparats.»
Pauline Maufrais
Verantwortliche für die Ukraine bei RSF
Ein dem Kreml untergeordnetes Instrument
Das GFCN, das auf Englisch und Russisch veröffentlicht, gibt an, über 55 Experten aus 37 Ländern zu verfügen. Auf seiner Website waren Mitte Juni fünf Organisationen und 36 Namen von «Teilnehmern» des Netzwerks aufgeführt. Darunter waren Mitglieder der Desinformationsplattform International Reporters wie die Französin Christelle Néant (die seit einem Jahrzehnt russische Propaganda aus den besetzten Gebieten der Ukraine verbreitet), oder der kremlfreundliche Italiener Andrea Lucidi sowie die Niederländerin Sonja van den Ende, die die russische Armee in den besetzten Gebieten der Ukraine begleitet hat.
Das GFCN-Netzwerk profitiert auch von einer aktiven Kommunikationskampagne der russischen Diplomatie und wird von Botschaften verbreitet, von Armenien über Ägypten bis nach Südafrika. Insbesondere die russische Botschaft in Ägypten hat dabei die Initiative auf X beworben.
Bei einer ersten Anfrage durch RSF wies das GFCN jegliche Verbindung zum russischen Staat zurück und versicherte, dass «keines seiner Mitglieder ein bestimmtes Land vertrete» und dass seine Aktivitäten ausschliesslich «aus Liebe zur Wahrheit» erfolgen. Trotz der systematischen Anwesenheit von Kreml-Vertretern wie Maria Zakharova bei seinen öffentlichen Auftritten behauptet das Netzwerk, niemals Druck von den Behörden erfahren zu haben.
Fake News als Fact-Checking
Der Name des GFCN, der fast identisch ist mit dem des unabhängigen Netzwerks International Fact-Checking Network (IFCN), sorgt für Verwirrung. «Das ist nichts Neues: Moskau schafft Klone von glaubwürdigen Institutionen, um die eigenen politischen Ziele zu erreichen», analysiert Angie D. Holan, Direktorin des IFCN. Die Gründung des GFCN ist den unabhängigen Fact-Checkern des IFCN nicht entgangen. Auch die spanische Fact-Checking-Plattform Maldita, die italienische Investigativwebsite Facta und der Verifizierungsdienst der Deutschen Welle (DW) haben auf die Undurchsichtigkeit und das Fehlen professioneller Standards beim GFCN hingewiesen.
Was das GFCN als Faktencheck präsentiert, ist nur dem Namen nach ein solcher. Von 39 Online-Veröffentlichungen, die RSF Mitte Juni analysiert hat, dienten mindestens 15 in erster Linie dazu, das Netzwerk und seine Mitglieder zu würdigen, beispielsweise durch die Erwähnung ihrer Teilnahme an verschiedenen Foren in Russland. So deckte beispielsweise die Deutsche Welle auf, dass in dem Artikel «Is ChatGPT Prone to Russian Propaganda?» (Ist ChatGPT anfällig für russische Propaganda?), nicht die Risiken von Propaganda analysiert, sondern die russische Staatsagentur TASS verteidigt und relevante Studien verschwiegen wurden – etwa diejenige der Organisation NewsGuard, die die Rolle von künstlicher Intelligenz (KI) bei der Verbreitung russischer Desinformation belegen. «Sie behalten nur die Fakten bei, die ihrer Erzählung dienen. Das unterscheidet echte Faktenprüfer von Instrumenten, die vorgeben, Fakten zu überprüfen, aber stattdessen eigentlich ihre eigene Propaganda verbreiten», erklärt Angie D. Holan.
In einem anderen Fall veröffentlichte die Website des GFCN eine verzerrte Interpretation des Eurobarometer 2024 zur Unterstützung Rumäniens für die Ukraine. Zunächst hiess es dort, dass nur «22 %» der Rumänen bereit sind, Flüchtlinge aus der Ukraine zu unterstützen. Tatsächlich zeigt die Eurobarometer-Studie, dass zwar 22 % der Befragten angaben, «voll und ganz» für humanitäre Hilfe für «vom Krieg betroffene Menschen» zu sein, insgesamt jedoch 69 % eine allgemeine Zustimmung äusserten – gegenüber 27 Prozent der Befragten, die dies ablehnten. Nach einer entsprechenden Rückfrage von RSF und «um Missverständnisse zu vermeiden» (wie es das GFCN sagte) wurde auf ihrer Website eine Präzisierung zu diesem Prozentsatz hinzugefügt – er bezieht sich auf Personen, die «voll und ganz zustimmen» – und ein Link zur Studie wurde hinzugefügt, ohne dass die Änderung ausdrücklich erwähnt wurde.
Ein weiteres Beispiel auf der Frontseite der Ukraine-Ausgabe in einem Ende Mai: In einem Artikel stellt Christelle Néant die Beschlagnahmung von Wohnungen von Zivilisten in der ostukrainischen Stadt Mariupol, durch die russischen Besatzungstruppen als «legale» Massnahme dar und verschweigt dabei die russische Besatzung und die Zwangsumsiedlung von Zivilisten. Auf die Frage von RSF zu dieser Veröffentlichung antwortete das GFCN, sie wolle sich «nicht in die persönlichen Positionen der Autorin einmischen» und stellte damit Meinungsäusserung und Fact-Checking auf dieselbe Stufe. Sie wolle auch «keine Debatte über Terminologie führen». Abschliessend schlug das GFCN RSF vor, sich in den von Russland besetzten Gebieten der Ukraine selbst ein Bild von der Lage zu machen. Dort werden allerdings unabhängige Journalistinnen und Journalisten, die sich weigern, die Propaganda des Kremls zu verbreiten, verhaftet und ins Gefängnis geworfen. So, wie die ukrainische Journalistin Victoria Roshchyna, die 2023 inhaftiert wurde und 2024 in Haft starb.
Auch wenn professionelle Fact-Checker sich nicht täuschen lassen, kann die Manipulation journalistischer Standards und Kodizes zu Verwirrung in der Öffentlichkeit führen. «Angesichts solcher Initiativen ist Medienkompetenz wichtiger denn je», warnt Olena Churanova, Journalistin bei der ukrainischen Fact-Checking-Plattform StopFake sowie Lehrerin und Forscherin an der Mohyla-Universität in Kyjiw.
Ähnliche Initiativen in anderen Ländern
Parallel zur Gründung des GFCN entstanden ähnliche Initiativen in anderen Ländern. In Armenien wurde im Oktober 2024 Face-check.am ins Leben gerufen, eine Website, die sich als Faktencheck-Portal präsentiert, ohne jedoch ihre Eigentümer oder ihre Redaktion offenzulegen. Seit ihrer Gründung nimmt sie systematisch Personen und Organisationen ins Visier, die mit internationalen Geldern finanziert werden, insbesondere von der amerikanischen Stiftung Open Society Foundation. Und das Portal bemüht sich, zivilgesellschaftliche Akteure, die sich für Menschenrechte einsetzen, zu diskreditieren, und wirft ihnen vor, Armenien zu schwächen.
Und in Ungarn hat die «Stiftung für transparenten Journalismus» (eine regierungsnahe Einrichtung) ein neues Projekt zur Faktenprüfung ins Leben gerufen: die Website Faktum, die aktiv die offiziellen Positionen der Regierung verbreitet. In einem Artikel, der am Tag nach dem Austritt Ungarns aus dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) veröffentlicht wurde, rechtfertigt die Website diese Initiative beispielsweise mit der «umstrittenen Arbeitsweise» des Gerichts und seiner «selektiven Justiz». In Bezug auf die gross angelegte russische Invasion in der Ukraine übernimmt Faktum das Wording des Kremls und beschuldigt Kyjiw der Eskalation, während es gleichzeitig die Weigerung Moskaus, den Krieg zu beenden, verschweigt.