Seit Jahren spielt sich ein substanzieller Teil unserer öffentlichen Debatten im Internet, insbesondere in den Sozialen Medien, ab. Auf Facebook, auf Instagram, auf X bzw. Twitter, auf TikTok (Foto: Keystone-SDA). Das hat die Art und Weise, wie wir an vertrauenswürdige Informationen gelangen, radikal verändert. Dass der Bundesrat nun seinen Vorentwurf zur Regulierung digitaler Plattformen auf unbestimmte Zeit verschoben hat, ist aus mindestens zwei Gründen problematisch.

Eine sorgfältig ausgearbeitete Regulierung ist unerlässlich. Angesichts der enormen Markt- und Meinungsmacht der Online-Plattformen hat das die Eidgenössische Medienkommission bereits Anfang Jahr Das hat bereits Anfang Jahr deutlich betont. Die Sozialen Medien haben einen fast uneingeschränkten Einfluss auf die Informationsströme auf ihren Plattformen und legen mit ihren schwer durchschaubaren Algorithmen fest, wer welche Inhalte wann sieht und welche Inhalte unterdrückt werden. Damit haben sie eine grosse Macht in der Steuerung der öffentlichen Debatte im Netz, ohne dass sie einer demokratischen oder gesellschaftlichen Kontrolle unterliegen.

Online-Plattformen entziehen sich der Verantwortung

Der erste Grund, warum eine solche fehlende Kontrolle ein Problem darstellt: Es steht in starkem Widerspruch zur Funktionsweise von etablierten Medien, welche auf einem Aushandlungsprozess sowie auf strengen berufsethischen Regeln basieren. Journalistinnen und Journalisten können nicht einfach schreiben, was sie wollen. Sie haben sich an Regeln zu halten, die beispielsweise der Presserat oder die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen festgelegt haben.

Verbreiten Medienschaffende Unwahrheiten, irreführende Informationen oder verletzen Persönlichkeitsrechte, werden sie dafür gerügt und strafrechtlich verfolgt. Online-Plattformen müssen demgegenüber wenig bis gar keine Rechenschaft gegenüber der Öffentlichkeit ablegen. Entsprechend rasch und leicht breiten sich Desinformation und Fake News auf diesen Kanälen aus.

Transparenz und Vertrauen leiden

Der zweite Grund, weshalb eine Regulierung grosser Online-Plattformen in der Schweiz wichtig ist, betrifft die Transparenz: In ihrer aktuellen Beschaffenheit sind die Betreiber der grossen Plattformen völlig intransparent. Userinnen und Usern bleibt oft keine andere Möglichkeit, als die Regeln der Social-Media-Giganten zu akzeptieren – ohne sie nachvollziehen zu können. Die Kriterien, nach denen die Plattformen ihre Inhalte sortieren und priorisieren, bleiben unklar. Abgesehen von den superreichen CEOs an den Spitzen der Konzerne ist zudem meist nicht klar, wer hinter den Plattformen steckt. Ganz anders bei herkömmlichen Medien. Diese veröffentlichen in der Regel aus Gründen der Transparenz und des Vertrauens ihre Impressumsdaten, ihre publizistischen Leitlinien oder ihre Redaktionscharta auf ihrer Website. Die Leserinnen und Leser sollen wissen und verstehen können, wer ihnen Informationen liefert und wie sie deren Zuverlässigkeit beurteilen können.

Um genau diese beiden Werte –Transparenz und Vertrauensbildung – zu stärken, hat RSF in den vergangenen Jahren die Journalism Trust Initiative (JTI) ins Leben gerufen, die das Vertrauen in die Medien weiter stärken und Redaktionen zu mehr Transparenz und Offenheit gegenüber der Öffentlichkeit ermutigen soll. Erst Mitte April hat sich RSF zudem gemeinsam mit 190 Redaktionen aus der ganzen Welt in einen offenen Brief an die Tech-Giganten gewendet, der diese dazu auffordern soll, Journalismus als essenzielles öffentliches Gut anzuerkennen und die JTI in ihren Algorithmen zu integrieren. Denn in unserer Gesellschaft sind Vertrauen und Transparenz für den demokratischen Zusammenhalt unerlässlich. Ohne Regulierung werden diese Werte auf den Online-Plattformen zunehmend ausgehöhlt.

Die enorme Marktmacht der wenigen, grossen Plattformen bedeutet eine ebenso grosse Meinungsmacht. Vor allem, wenn mehr und mehr Menschen darauf verzichten, sich durch klassische Medien zu informieren. Aus demokratischer Sicht sollte es für uns folglich eine Priorität sein, diese Meinungsmacht in den Händen weniger US-Amerikanischer Tech-CEOs zu minimieren. Dass der Bundesrat nun seinen Vorentwurf zur Plattform-Regulierung erneut auf unbestimmte Zeit in die Zukunft verschoben hat – noch dazu, wie in den Medien berichtet wurde, um zu die Trump-Administration in Washington nicht zu verärgern – ist mehr als bedauerlich.

Valentin Rubin, Policy & Advocacy Manager, RSF Schweiz

Partagez cet article !