Von Gaza bis zur Ukraine riskieren Fotojournalistinnen und -journalisten ihr Leben, um zu berichten. Während sie dabeioft unter den Angriffen sterben, bricht ihr Beruf selbst zusammen, untergraben durch wirtschaftliche Unsicherheit und die Flut von KI-generierten Bildern. Eine Analyse.
Am 4. November eröffnete RSF Schweiz die Fotoausstellung «Photographier le monde de demain» (Fotografien der Welt von morgen) an der Universität Genf, nachdem sie im Juni bereits auf dem True Story Festival in Bern zu sehen war. In Anwesenheit des Zürcher Fotografen Christian Bobst war der Abend geprägt von Berichten aus dem Feld, welche Hoffnung, aber auch Besorgnis weckten.
Denn hinter jedem Bild verbirgt sich eine teilweise brutale Realität. «Während Fotojournalistinnen und -journalisten vielerorts unter Bomben sterben, stirbt der Fotojournalismus als solcher unter der Flut von retuschierten Fotos, Deepfakes und einem Newsfeed, der mit Bildern überflutet ist, deren Urheber unbekannt sind», sagte Christian Bobst. Eine alarmierende Feststellung im Zeitalter der Post-Truth, in dem Emotionen immer häufiger die Fakten überschatten.
Diese aktuellen Probleme des Fotojournalismus verleihen den Herausforderungen des Berufs eine neue Dimension. Aber welche Gefahren bedrohen diesen alten Beruf, dessen Regeln sich mit dem technologischen Fortschritt weiterentwickeln?
Berufsethik angesichts von Deepfakes
Was die Fotojournalistin vom Fotografen unterscheidet, ist die Einhaltung der berufsethischen Regeln: Im Fotojournalismus steht die Information vor jeder Kommunikation oder ästhetischen Ausschmückung, keine Bestechung, keine Inszenierung. Seine Aufgabe ist es, über die Situation vor Ort zu informieren. Seine Mission ist es, zu bezeugen und zu vermitteln.
Diese Berufsethik erfordert Geduld. Während seiner Reportage im Senegal blieb Christian Bobst beispielsweise mehrere Wochen in einem Fischerdorf, um eine authentische Beziehung zur lokalen Bevölkerung aufzubauen. Diese lange Zeit ermöglichte es ihm, über touristische Klischees hinauszugehen und sich der gelebten Realität anzunähern.
Aus Ressourcengründen ist eine solch geduldige und mehrere Wochen dauernde fotojournalistische Arbeit heute jedoch immer weniger möglich. Zudem sieht sich der Fotojournalismus einer neuen technologischen Bedrohung gegenüber: der künstlichen Intelligenz und ihren Deepfakes, also Bildern oder Videos, die vollständig durch generative KI erstellt werden. Werden solche KI-Bildmaterialien als fotojournalistische Inhalte verkauft oder verbreitet, leidet die Glaubwürdigkeit und das Vertrauen. Darum werden Bildnachweise, detaillierte Bildunterschriften und Kontextinformationen zu unverzichtbaren Bollwerken, um die Herkunft des Fotos zurückzuverfolgen und das Zeugnis zu verstehen, ohne manipuliert zu werden.
Fotograf werden, um Fotojournalist zu bleiben
Das Paradoxon ist hart. Nie zuvor haben Bilder und Fotos unsere Zeitschriften und Bildschirme so sehr überschwemmt, und doch müssen viele Fotojournalistinnen und -journalisten ihrem Beruf den Rücken kehren. Diejenigen, die bleiben, sind überwiegend freiberuflich tätig – unter prekären und unsicheren finanziellen Verhältnissen. Und sie sehen ihre journalistischen Aufträge und Einkünfte von Jahr zu Jahr schrumpfen.
Für viele besteht die Lösung darin, sich der kommerziellen Fotografie für Unternehmen, Institutionen oder Kommunikationsagenturen zuzuwenden. Hinzu kommt die Last der professionellen Ausrüstung, deren Anschaffung und Wartung oft Tausende von Franken kostet. Bereits 2022 erinnerte die Kampagne der Berufsverbände und Foto-Vereinigungen in Frankreich mit dem Namen #UnePhotoçaSePaie (Ein Foto hat seinen Preis) daran, dass die Produktion eines qualitativ hochwertigen Bildes etwas kostet.
Fotojournalisten sterben unter Bomben
Die in der Universität Genf ausgestellten 40 Fotos sagen mehr als Worte: Um das Bild einzufangen, das die Situation so realistisch wie möglich darstellt, muss man vor Ort sein. So nah wie möglich.
So gelingt es Fotojournalistinnen und -journalisten, durch ihre Bilder entfernte Orte realistisch und glaubwürdig bis zu uns ins Wohnzimmer zu bringen. So können sie weiterhin den Wert ihrer Arbeit gegenüber der Flut von KI-generierten Bildern oder Deep Fakes aufrechterhalten. Wer allerdings zu nah am Geschehen dran ist, insbesondere in Kriegsgebieten, der kann nach wie vor sein Leben dafür bezahlen. So, wie der französische Fotojournalist Antoni Lallican, der erst am 3. Oktober dieses Jahres bei einem russischen Drohnenangriff in der Ukraine getötet wurde, obwohl er eine Weste mit der Aufschrift «Presse» trug.
Seine Ermordung erinnert daran, dass diese Weste in bestimmten Kriegsgebieten kein Schutzschild mehr ist, sondern ein Ziel.