Die Westschweizer Wirtschafts- und Finanzzeitung L’AGEFI konnte letzte Woche das Ende des vorläufigen Verbots der Veröffentlichung bestimmter Informationen erreichen. L’AGEFI hatte über «Flowbank», ein Genfer Finanzinstitut, das auf Online-Trading spezialisiert ist, berichtet. Im Oktober letzten Jahres hatte die Genfer Ziviljustiz auf Antrag der Bank die Zeitung angewiesen, bereits veröffentlichte Artikel zurückzuziehen, und ihr bis auf weiteres verboten, weitere Artikel zu veröffentlichen.

Das Gericht hob diese Maßnahmen schliesslich acht Monate später auf, nachdem die Finanzmarktaufsichtsbehörde FINMA vor einigen Wochen ein Konkursverfahren gegen die Bank eröffnet hatte. Es bedurfte also acht Monate kostspieliger juristischer Auseinandersetzungen für die Zeitung, bis das unzumutbare Publikationsverbot aufgehoben wurde. Erst Ende Juni hatte L’AGEFI Berufung eingelegt.

Nach Ansicht der Schweizer Sektion von Reporter ohne Grenzen gab es keine Rechtfertigung für das Urteil der Genfer Justiz. Die von der AGEFI (Photo: KEYSTONE/Laurent Gillieron) aufgedeckten Informationen stammten aus einem Bericht, zu dessen Veröffentlichung die Flowbank selbst nach Schweizer Bankenrecht verpflichtet war – aus Gründen der Markttransparenz sowie aus Sicht des Schutzes der Öffentlichkeit und der Investoren. Die weiteren Ereignisse zeigten, wie legitim, gerechtfertigt und sogar notwendig die Veröffentlichung der in diesem Bericht enthaltenen Informationen war. Für die Bank waren diese allerdings peinlich, da sie ihr Verstösse gegen ihre gesetzlichen Verpflichtungen bescheinigten,

Es ist unverständlich, dass sich die Genfer Justiz auf den Standpunkt stellte, den Auftrag der Presse und das im vorliegenden Fall offensichtliche Interesse der Öffentlichkeit, über Tatsachen informiert zu werden, die ihre Anlageentscheidungen beeinflussen könnten, zu ignorieren. Denn selbst das Bankrecht verpflichtet die Finanzinstitute dazu, diese Tatsachen zu veröffentlichen.

Der Generalsekretär von RSF Schweiz, Denis Masmejan, betonte auf Anfrage von L’AGEFI, dass das Genfer Urteil, wenn es aufrechterhalten worden wäre, «eine katastrophale Rechtsprechung» für die Pressefreiheit dargestellt hätte. Der Fall ist ein klares Beispiel für ein Verfahren mit Knebelwirkung, eine sogenannte SLAPP-Klage («Strategic Lawsuit Against Public Participation», eine Strategische Klage gegen öffentliche Beteiligung). RSF Schweiz ist alarmiert, dass sich ein Gericht darauf eingelassen hat. Ein solcher Entscheid ist ein schlechtes Zeichen für die Zukunft. Denn das Parlament hat erst kürzlich die sogenannten «vorsorglichen Massnahmen» verschärft, die die Ziviljustiz gegen ein Medium aussprechen kann, ohne ihm zumindest in einer ersten Phase überhaupt das Recht auf Anhörung und damit die Möglichkeit, seine Argumente vorzutragen, einzuräumen.

Dieses neue, für die Presse härtere Regime soll am 1. Januar 2025 in Kraft treten. RSF Schweiz hat sich zusammen mit allen im Land tätigen Medienorganisationen stark gegen die vorgeschlagene Revision eingesetzt. Dies war allerdings erfolglos. Das politische Klima in der Schweiz ist seit einigen Jahren wenig förderlich für Fortschritte im Bereich der Pressefreiheit. Auf der von RSF jährlich veröffentlichten Rangliste der Pressefreiheit belegt die Schweiz zwar den 9. Platz von 180 Ländern. Doch die Qualität des rechtlichen Umfelds – einer von fünf Indikatoren für das Ranking – fällt deutlich hinter dieses beneidenswerte Ergebnis zurück. Die Schweiz belegt in diesem Aspekt nur Rang 24.

RSF Schweiz beteiligt sich seit letztem Jahr an der Schweizer Allianz gegen SLAPP, einer breiten Koalition von NGOs, die gegen die zunehmende Tendenz ankämpfen will, Informationen von öffentlichem Interesse mit juristischen Mitteln von der Veröffentlichung fernzuhalten. Dies dürfte allerdings eine schwierige Aufgabe sein, da die Widerstände so stark sind. Eine erste Studie, die vom Bundesamt für Kommunikation in Auftrag gegeben wurde, kam vorschnell zum Schluss, dass SLAPPs in der Schweiz ein unbedeutendes Phänomen seien, räumte aber gleichzeitig ein, dass ein einziges solches Knebelverfahren bereits eines zu viel sei. Für RSF Schweiz weist diese Studie jedoch mehrere methodische Mängel auf. Eine andere Umfrage, die innerhalb von NGOs durchgeführt wurde, zeigt hingegen im Gegenteil, dass missbräuchliche Verfahren in der Schweiz seit einigen Jahren zunehmen.

Für RSF Schweiz ist es wichtig, dass die Gesetze so gestaltet werden, dass sie die Pressefreiheit voll respektieren. Trotz der für uns gescheiterten Revision der vorsorglichen Massnahmen, die nächstes Jahr in Kraft treten wird, werden wir uns weiterhin dafür einsetzen, dass das Parlament der Pressefreiheit besser Rechnung trägt. Gleichzeitig erwarten wir von den Gerichten, dass sie die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in diesem Bereich stärker in ihre Entscheidungen einbeziehen – ein Punkt, den die Genfer Justiz in Bezug auf AGEFI stark vernachlässigt hat.

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