Für Journalistinnen und Journalisten sind Öffentlichkeitsgesetze wichtig, denn sie schaffen Werkzeuge für Recherchen. Doch zunehmend wird das Öffentlichkeitsprinzip durch Spezialgesetze oder andere Regelungen gebremst oder gar ausser Kraft gesetzt, so etwa kürzlich durch den Nationalrat.
Das Positive vorneweg: Seit dem ersten November ist die Einsicht in amtliche Dokumente der Bundesverwaltung grundsätzlich kostenlos. Wer bisher gestützt auf das 2006 in Kraft getretene Bundesgesetz über das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung (BGÖ) ein Einsichts-Gesuch stellte, musste für den Zugang zu solchen Dokumenten «in der Regel» eine Gebühr bezahlen. In vielen Fällen wurde diese zwar erlassen, aber nicht immer. Nun hat der Bundesrat die entsprechenden Änderungen des Öffentlichkeitsgesetzes (BGÖ) sowie der Öffentlichkeitsverordnung (VBGÖ) in Kraft gesetzt, und die Bundesverwaltung darf nur noch eine Gebühr verlangen, wenn das Gesuch eine besonders aufwändige Bearbeitung erfordert. Konkret: Benötigt die Behörde für die Bearbeitung eines Zugangsgesuchs mehr als acht Arbeitsstunden, fällt eine Gebühr an. Sie wird – auch das wurde festgelegt – um 50 Prozent reduziert, wenn Gesuche von Medienschaffenden eingereicht werden.
Dass der Zugang zu Dokumenten nach dem Öffentlichkeitsprinzip in der Schweiz nicht selbstverständlich gratis ist, zeigte sich kürzlich auf kantonaler Ebene. Mitarbeitende des Landboten in Winterthur wollten einen Bericht zur Administrativuntersuchung zu Suiziden bei der Winterthurer Stadtpolizei einsehen, dies wurde ihnen vom Stadtrat aber nicht gewährt. Der Landbote verlangte dann Einblick, gestützt auf das Zürcher Gesetz über die Information und den Datenschutz (IDG), in dem das Öffentlichkeitsprinzip festgehalten ist. Der Bezirksrat gab dem Landboten recht. Die Zeitung erhielt den Bericht, mit geschwärzten Stellen – und einer Rechnung über 450 Franken für den Anonymisierungs-Aufwand.
Zürcher Regierungsrat will Öffentlichkeitsprinzip einschränken
Viel weiter als die Bezahlung einer Schwärzungs-Rechnung gehen die Konsequenzen von Plänen des Zürcher Regierungsrates: Er will den Zugang zu Behördenprotokollen einschränken. Mit der Totalrevision des bereits genannten Gesetzes über die Information und den Datenschutz (IDG) will er nämlich in Paragraf 18b neu einführen, dass Protokolle von «nicht öffentlichen Sitzungen», die von öffentlichen Organen durchgeführt werden «vom Informationszugang» ausgenommen sind. Das Öffentlichkeitsprinzip soll also für Protokolle von Verwaltungsstellen, Arbeitsgruppen oder anderen staatlichen Einrichtungen nicht mehr gelten. Speziell dabei: Diese Regel war nicht Teil des Vorentwurfs der Regierung für ein revidiertes IDG – und sie wurde, so deckte die NZZ auf, erst nach der Vernehmlassung vom Regierungsrat in den Gesetzesentwurf aufgenommen. Wie kam das? RSF Schweiz hat beim Sprecher des Zürcher Regierungsrats, Andreas Melchior, nachgefragt, relativ erfolglos. Denn auf entsprechende Fragen reagierte Melchior kurz und knapp mit: «Der Zürcher Kantonsrat wird das Geschäft sehr zeitnah behandeln. Es entspricht der gängigen Praxis, dass wir in solchen Fällen der Debatte durch Äusserungen gegenüber den Medien nicht vorgreifen. Vielen Dank für Ihr Verständnis.»
Entdeckt hatte die geplante neue Regelung übrigens Martin Stoll, Initiant und Geschäftsführer der Transparenzplattform Öffentlichkeitsgesetz.ch. Er kritisiert nicht nur diese Regelung, sondern auch eine zweite vorgesehene Neuerung. «Bevor das öffentliche Organ eine Information bekannt gibt, prüft es, ob der Bekanntgabe eine rechtliche Bestimmung oder ein überwiegendes öffentliches oder privates Interesse entgegensteht», steht in Paragraph 11 des IDG-Entwurfs. Ein öffentliches Interesse liege unter anderem vor, «wenn die Bekanntgabe der Information (…) das Kollegialitätsprinzip eines öffentlichen Organs beeinträchtigt». Das bedeutet: Auch nach der Beschlussfassung eines kollektiven Organs, eines Verwaltungsorgans etwa, oder eines gewählten Gremiums, sollen die Protokolle nicht dem Öffentlichkeitsprinzip unterliegen. Keine nachträgliche Transparenz also über allfällige Differenzen und Diskussionen in den entsprechenden Gremien.
Der IDG-Entwurf wird als nächstes von der Kommission für Staat und Gemeinden des Zürcher Kantonsrates behandelt. Danach wird sich das Zürcher Kantonsparlament damit befassen – und hoffentlich im Bereich Transparenz Verbesserungen anbringen.
Nationalrat entscheidet gegen Transparenz
Für Journalistinnen und Journalisten sind Öffentlichkeitsgesetze wichtige Werkzeuge bei Recherchen. Auf Bundesebene ist soeben ein Versuch, Transparenz und das Öffentlichkeitsprinzip zu erhalten, im Nationalrat gescheitert. Im Rahmen der grossen Debatte über Änderungen im Krankenversicherungsgesetz (KVG) ging es nämlich um eine Neuerung: Der Bundesrat hatte vorgeschlagen, Artikel 52c des KVG so anzupassen, dass das Öffentlichkeitsgesetz nicht mehr gelten soll, wenn es um die Vereinbarung von Preismodellen und allfälligen Rückerstattungen bei Medikamenten geht. Es gibt auf Bundesebene einige Bereiche, die vom BGÖ ausgenommen sind, bisher gab es solche Ausnahmen aber bei gesundheitspolitischen Themen wie die Festsetzung der Medikamentenpreise nicht.
Auf dieses Vorhaben des Bundesrats reagierten Medienorganisationen: Der Verband Schweizer Medien, SRG SSR, Telesuisse, Medien mit Zukunft, SSM, Syndicom, MAZ, Öffentlichkeitsgesetz.ch, investigativ.ch sowie auch Reporter ohne Grenzen (RSF) Schweiz schlossen sich zu einer Medienallianz zusammen. Diese forderte Bundesrat und Parlament dazu auf, die «eingeführten Transparenzregeln bei der Festsetzung von Medikamentenpreisen» nicht ausser Kraft zu setzen. Es sei wichtig, argumentierte sie, dass die Öffentlichkeit nachvollziehen könne, wie Medikamentenpreise zustande kommen, und es dürfe nicht sein, dass sich der Staat zum Komplizen in einem intransparenten Preispoker mache. «Schaffen Bundesrat und Parlament hier einen Präzedenzfall, besteht die Gefahr, dass das BGÖ künftig von verschiedenen Interessengruppen fortwährend angegriffen und schrittweise abgebaut wird», schrieb die Allianz in ihrer Stellungnahme.
Es nützte nichts. Am 28. September stimmte der Nationalrat zu, Informationen über die Festsetzung von Medikamentenpreisen und Preismodellen von der Anwendung des Öffentlichkeitsgesetzes auszunehmen. Ein Minderheitsantrag, der die Beibehaltung des Transparenzprinzips forderte, wurde mit 110 zu 78 Stimmen deutlich abgelehnt, ebenso wie ein weiterer Antrag, den Ausschluss vom Transparenzgesetz auf fünf Jahre zu begrenzen (114 zu 75 Stimmen). Die Mehrheit war immerhin weniger extrem als der Bundesrat, da sie die Verpflichtung des Bundesamtes für Gesundheit vorsah, regelmässig den Bericht einer unabhängigen Stelle zu veröffentlichen, die die Umsetzung der gesetzlich vorgesehenen Preismodelle evaluiert. Das Dossier geht nun an den Ständerat.
«Die Entscheidung des Nationalrats bedeutet einen bedauerlichen Rückschritt des Transparenzprinzips, wie er in den letzten Jahren in verschiedenen Bereichen leider immer wieder zu beobachten war», kommentiert Denis Masmejan, Generalsekretär von RSF Schweiz, die Entscheide des Nationalrats. Das Öffentlichkeitsgesetz enthalte bereits Bestimmungen, die es ermöglichten, die Offenlegung bestimmter Informationen aus verschiedenen Gründen, darunter auch Geschäftsgeheimnisse, zu verweigern: «Diese Ausnahmen sind bei weitem ausreichend. Ein öffentlicher Einblick in die Preisgestaltung von Arzneimitteln ist wichtig, und ihn einzuschränken, dient nicht der Glaubwürdigkeit des Systems.»
Einschränkungen der Transparenz nehmen zu
Der Beschluss des Nationalrats, sollte er bestätigt werden, könnte durchaus auf der Liste landen, die der Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB), Adrian Lobsiger neuerdings führt (Foto Keystone/Alessandro della Valle). In seinem Tätigkeitsbericht 2022/2023 hat Lobsiger nämlich darauf hingewiesen, dass die Anzahl der «spezialgesetzlichen Ausschlüsse» des BGÖ «beschleunigt» wachse. Es gibt nach Feststellung des EDÖP also zunehmend neue oder geplante Gesetzesbestimmungen, die das Öffentlichkeitsprinzip einschränken. Um dies zu zeigen, führt Lobsiger nun eine Liste – aktuell finden sich darauf rund 30 solcher Anti-Transparenz-Bestimmungen.
Auch Martin Stoll von Öffentlichkeitsgesetz.ch stellt fest, dass «Regierungen und Parlamente in einigen Bereichen dazu neigen, das zuvor festgelegte Öffentlichkeitsprinzip stellenweise wieder aufzuheben». Dies geschehe laut Stoll als Reaktion auf die wachsende Nutzung der Öffentlichkeitsgesetze durch Medien und Zivilgesellschaft: «Es ist bedauerlich, dass man in Spezialgesetzen das Öffentlichkeitsgesetz ausser Kraft setzten will oder wie im Kanton Zürich versucht, ungünstige Regelungen bei einer Revision ins Gesetz einzubringen», so Stoll gegenüber RSF Schweiz: «Um das Vertrauen der Öffentlichkeit zu gewinnen, müssen Verwaltungen und Regierungen einen offensiveren Umgang mit Transparenz finden.»