In der Volksrepublik China ist die Pressefreiheit durch autoritäre Tendenzen seit Jahren stark eingeschränkt. Seit dem Amtsantritt von Präsident Xi Jinping im Jahr 2013 hat sich die Lage gar weiter verschlechtert. Das politische Umfeld wird von Propaganda der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh), einer (fast) vollständigen Kontrolle der Medien sowie allgegenwärtiger Zensur und Überwachung von Journalistinnen und Journalisten bestimmt. Dies zwingt viele chinesische Medienschaffende zum Schweigen, zum Verlassen ihres Berufs, oder gar zur Flucht aus China.

Reporter ohne Grenzen (RSF) setzt sich vor diesem Hintergrund vehement für das Recht auf Information im Reich der Mitte ein. Unter anderem durch die Initiative Circle 19, die 2019 von RSF unterstützt und 2023 mit einem eigenen Symposium gewürdigt wurde. Die Initiative besteht aus 20 bis 25 unabhängigen Expertinnen und Experten, die grösstenteils anonym bleiben möchten. Sie vereint Personen aus der chinesischen Diaspora, aber auch Fachleute aus der internationalen Gemeinschaft. Unter ihnen befinden sich auch einige chinesische Journalistinnen und Journalisten, die für ihre Kritik an der chinesischen Regierung bekannt sind und deshalb anonym bleiben möchten.

Der Ansatz von Circle 19 ist einzigartig im Kontext der chinesischen Medienlandschaft. Als Alternative oder Ergänzung zur eher konfrontativen Strategie der Anprangerung von RSF (namentlich durch «naming & shaming») schlägt Circle 19 einen anderen Ansatz vor. Das Hauptziel der Initiative besteht darin, der vorherrschenden Darstellung des chinesischen Regimes entgegenzuwirken, wonach das Recht auf Information ein «westlicher Wert» sei, der mit der chinesischen Kultur unvereinbar sei. Circle 19 stützt sich hierzu auf einen faktenbasierten Ansatz, der unter Verwendung chinesischer intellektueller Ressourcen aufzeigt, dass das Recht auf Information untrennbar mit der chinesischen Geschichte verbunden ist und dass unabhängiger Journalismus ein positiver und notwendiger Faktor für die Entwicklung des Landes darstellt. 

Dieser Ansatz zielt darauf ab, den Versuchen der Propaganda entgegenzuwirken, die bürgerliche und politische Rechte vereinnahmt oder gar leugnet, und betont stattdessen, dass grundlegende Veränderungen in der Volksrepublik China die Beteiligung des chinesischen Volkes selbst erfordern.

Die von Circle 19 zur Verfügung gestellten Ressourcen

Circle 19 stellt über seine Website Circle19.org mehrere Ressourcen bereit. Dazu gehören Untersuchungsberichte, Dokumentationen und faktenbasierte investigative journalistische Arbeiten chinesischer Journalistinnen und Journalisten, die oft erheblichen Einfluss auf die chinesische Gesellschaft hatten, bevor sie zensiert wurden. Diese journalistischen Werke werden ins Englische übersetzt und dadurch einem internationalen Publikum zugänglich gemacht, um die Bedeutung von unabhängigem Journalismus für die Entwicklung Chinas anschaulich zu vermitteln.

«Man denkt oft, dass der chinesische Journalismus nur Propaganda ist. Aber es gab und gibt in China – vor allem aus dem Exil gesteuert – auch heute noch qualitativ hochwertigen, investigativen Journalismus, der einen positiven Einfluss hat und die Diskussionen in der Diaspora belebt. Diese Arbeit steht auf der Website von Circle 19 zur Verfügung. Er ist für die Zukunft des Landes von entscheidender Bedeutung.»
Filip Noubel
Sprecher Circle 19

Die Website stellt daneben auch akademische Abhandlungen zur Verfügung. Diese legen dar, dass das Recht auf Information Teil des intellektuellen Erbes Chinas ist, und berufen sich auf Philosophen und Politiker, die den Kampf des chinesischen Volkes um dieses Recht nachzeichnen. Eine weitere zentrale Ressource ist eine Liste von rund hundert unabhängigen Medien, die Informationen zu China-bezogenen Themen bereitstellen. Die meisten dieser Medien sind in der Volksrepublik China selbst zensiert. 

Schliesslich richtet sich die vollständig von den Experten von Circle 19 verfasste Grundsatzerklärung («Statement of Principles») ausdrücklich gegen den «kulturellen Relativismus» in Bezug auf das Recht auf Information und ruft die internationale Gemeinschaft zur Unterstützung auf. Dieser Text wurde bei seiner Veröffentlichung am 4. Juni 2024 – dem Tiananmen-Gedenktag – von 54 NGOs öffentlich unterstützt.

Zensur umgehen: Tools, um den Zugang zu Informationen zu gewähren

Die grösste Herausforderung für den Zugang zu Informationen in China bleibit die Zensur durch die sogenannte «Grosse Firewall Chinas» – ein vom Ministerium für öffentliche Sicherheit umgesetztes Projekt zur Kontrolle des Internets. Circle 19 bemüht sich, dem entgegenzuwirken, indem die Initiative der chinesischen Öffentlichkeit digitale Tools zur Verfügung stellt, die den Zugang zu unabhängigen Informationen erleichtern – ganz im Sinne der globale ausgeführten Operation Collateral Freedom von RSF. Die Strategie zur Verbreitung dieser digitalen Tools beruht auf vertrauenswürdigen Netzwerken und persönlichen Kontakten, über die die Weitergabe erfolgt. NGOs und zivilgesellschaftliche Organisationen werden insbesondere dazu ermutigt, diese Tools innerhalb ihrer verlässlichen Netzwerke – vor allem in der Volksrepublik China selbst – weiterzugeben. 

Die Arbeit von Circle 19 ist angesichts der bereits nahezu vollständigen Unterdrückung der Presse- und Informationsfreiheit in China von entscheidender Bedeutung. Durch die Nutzung chinesischer intellektueller Ressourcen und die Bereitstellung konkreter Instrumente bietet die Initiative eine einzigartige Perspektive, um der Propaganda des Regimes entgegenzuwirken und damit das Recht auf Information im Reich der Mitte zu bekräftigen.

Das Projekt hat bereits chinesische Journalistinnen, Journalisten und Experten zusammengebracht, die eine gemeinsame Vision und ein gemeinsames Ideal für China teilen. Die Schaffung einer solchen Gemeinschaft bietet wichtige Unterstützung –zum Beispiel auch für Medienschaffende, die über Themen rund um China berichten und in jüngster Vergangenheit von Budgetkürzungen der USAGM und insbesondere bei Radio Free Asia betroffen sind.

Fachpersonen rund um China, Journalistinnen und Journalisten, NGOs, etc. können alle einen Beitrag zur Verbreitung der Circle 19 Initiative leisten, indem sie die Verfügbaren Ressourcen nutzen und deren Existenz in ihrem Umfeld und in ihren Publikationen erwähnen. Es besteht zudem die Möglichkeit, die Grundsatzerklärung öffentlich zu unterstützen.

Sophie Sager, RSF Schweiz

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