Ende Januar waren die Schweiz und ihr Bankgeheimnis in den Schlagzeilen von Medien in Europa und anderswo. Unter dem Codenamen «Suisse Secrets» hatte ein internationales Konsortium investigativer Journalistinnen und Journalisten den Inhalt eines riesigen Lecks enthüllt, den sie genutzt hatten: ein Datensatz mit den Daten einer grossen Zahl von Kundinnen und Kunden der Credit Suisse (Foto Keystone-SDA), darunter viele Potentaten.

Die Journalistinnen und Journalisten, die traditionell mit diesem Konsortium verbunden sind, hatten sich dieses Mal nicht an der Enthüllung beteiligt. Weshalb? Das Schweizer Bankengesetz verbietet den Medien seit kurzem, gestohlene Bankdaten zu verwerten. Dieses Verbot stiess bei allen an der Aktion beteiligten Medien auf Unverständnis und veranlasste sie, einen Appell an die Schweiz zu richten, die Pressefreiheit zu respektieren.

Tatsächlich stellt eine Revision von Artikel 47 des Bankengesetzes, die 2015 nach einer Reihe von Diebstählen von Kundendaten des Schweizer Finanzplatzes in Kraft trat, nun jeden, ob Banker oder nicht, unter Strafe, der solche Informationen «zu seinem eigenen Vorteil oder zum Vorteil eines Dritten» ausnutzt. In seiner neuen Version könnte Artikel 47 also auch auf Medienschaffende angewendet werden, die gestohlene Bankdaten auswerten, um deren Inhalt zu enthüllen. Bei der Debatte um die Gesetzesrevision im Nationalrat hatten der FDP-Vertreter Andrea Caroni und die damalige Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf dies ausdrücklich bestätigt, räumten jedoch ein, dass eine Einzelfallbeurteilung notwendig bleiben würde, um zu beurteilen, ob Medienschaffende dafür wirklich sanktioniert werden könnten.

Zuvor konnte eine Verletzung des Bankgeheimnisses nur von einer Person begangen werden, die aufgrund ihrer Funktion in einem Finanzinstitut zur Geheimhaltung verpflichtet war. Um den Diebstahl von Bankdaten besser bekämpfen zu können, beschloss das Parlament jedoch, den Kreis der Personen, die strafrechtlich verfolgt werden können, auf alle Personen auszuweiten, die in irgendeiner Funktion gestohlene Bankdaten verwenden.

In der Parlamentsdebatte 2014 hatten Vertreterinnen und Vertreter der SP, ohne Gehör zu finden, gewarnt, dass dies ein Fehler sei und dass die Anwendung des Bankgeheimnisses auf Journalisten gegen die Pressefreiheit verstosse. Nun wird sich das Parlament erneut mit dieser Frage befassen müssen. Mit verschiedenen parlamentarischen Vorstössen wurde nämlich versucht, das Gesetz zu ändern. Doch der erste Versuch scheiterte. Am Freitag, den 6. Mai, gab die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats (WAK) bekannt, dass sie die ersten Vorschläge in dieser Richtung abgelehnt hat. Weitere parlamentarische Vorstösse zum gleichen Thema sind noch hängig, aber es ist abzusehen, dass die Diskussionen schwierig werden. Eine Mehrheit der WAK-Mitglieder ist nämlich der Meinung, dass es keinen Grund für eine Gesetzesänderung gebe. Sie befürchtet, «dass eine Änderung des Bankengesetzes im Sinne der vorliegenden Vorschläge öffentlichen Anschuldigungen, die auf Privatpersonen abzielen, den Weg bereiten könnte». Sie stellt auch fest, es seien «in der Praxis bis anhin noch nie Medienschaffende aufgrund einer Verletzung von Artikel 47 des Bankengesetzes gerichtlich verurteilt worden».

Dennoch: Es war der ausdrückliche Wille des Gesetzgebers, dass diese Bestimmung auch auf Journalistinnen und Journalisten Anwendung findet. Nach Ansicht unserer Organisation wie auch der Berichterstatterin für Meinungsfreiheit beim Hohen Kommissar für Menschenrechte der UNO, Irene Khan, stellt Artikel 47 des Bankengesetzes in seiner derzeitigen Form eine unannehmbare Bedrohung für die Pressefreiheit dar. Den Medien muss es nämlich weiterhin freistehen, Informationen aus gestohlenen Bankdaten zu veröffentlichen, solange diese Informationen wahrheitsgetreu sind und zu einer Debatte von allgemeinem Interesse beitragen, was bei den «Suisse secrets» der Fall ist. RSF Schweiz ist der Ansicht, dass diese Sichtweise die einzige ist, die mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vereinbar ist, und dass sich die Gesetze in der Schweiz daran halten müssen.

Der Fall erinnert stark an die Geschichte im Zusammenhang mit Artikel 293 des Strafgesetzbuches, der die Veröffentlichung geheimer amtlicher Dokumente verbietet. Es brauchte zwanzig oder fünfundzwanzig Jahre mit Expertendiskussionen, Vorstössen im Parlament, Gerichtsurteilen und mehreren Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, bis die eidgenössischen Räte einräumten, dass eine reine und einfache Anwendung dieses Artikels auf Journalistinnen und Journalisten nicht vertretbar sei und dass er daher überarbeitet werden müsse. Und auch jetzt sind noch nicht alle Probleme gelöst, da es nunmehr den Richtern obliegt, von Fall zu Fall das öffentliche Interesse an der Enthüllung eines geheimen Dokuments zu bewerten, bevor sie Medienschaffende verfolgen – ein Ansatz, der einen nicht unerheblichen Teil der Unsicherheit und damit des Risikos für die Journalistinnen und Journalisten bestehen lässt.

Für unsere Organisation ist es notwendig, diese Klippe zu umschiffen und jegliche Anwendung von Artikel 47 des Bankengesetzes auf Medien und Medienschaffende schlicht und einfach auszuschliessen. Dies sieht insbesondere die parlamentarische Initiative vor, die der Waadtländer Grüne Raphaël Mahaim eingereicht hat. Ob ein solcher Vorschlag im Parlament eine Mehrheit finden kann und ob er überhaupt eine Chance hat, umgesetzt zu werden, steht auf einem anderen Blatt…

Denis Masmejan, Generalsekretär RSF Schweiz

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