Camille Lanci, Projektleiterin RSF Schweiz

In den Vereinigten Staaten haben Journalismus und Medien die vier Jahre Trump-Präsidentschaft nicht unbeschadet überstanden (Foto: AFP). Im Interview analysiert RTS-Journalist Jordan Davis, schweizerisch-amerikanisch Doppelbürger und Kenner der USA, diese aussergewöhnliche Periode sowohl in Bezug auf die amerikanische Demokratie wie auch auf die Rolle, die die Medien darin spielen müssen – in einem Umfeld, das durch das Chaos der Social Media im Umbruch ist.

RSF Schweiz: Wie steht es um die Pressefreiheit und die amerikanischen Medien nach vier Jahren der Trump-Präsidentschaft?

 Jordan Davis: Die Pressefreiheit wurde stark angegriffen. Sie wurde selbst im Weissen Haus angegriffen, das Journalisten vom Briefing-Room ausschloss, indem es ihnen die Akkreditierung entzog. Mit dieser Entscheidung hat die Trump-Regierung den Rubikon überschritten. Die Justiz musste intervenieren, um die Situation wiederherzustellen. In der Folge hat das Weisse Haus nicht mehr auf Fragen geantwortet, die bei den Pressekonferenzen gestellt wurden, und hat Journalisten angegriffen, die unbequeme Fragen stellten. Der Informationswert der Pressekonferenzen ging gegen Null. Die Pressesprecher haben die Reporter angelogen. Sie waren dort, um Donald Trump zu gefallen und eine Show zu veranstalten, indem sie Journalisten beleidigten. Diese fragten sich, ob es noch einen Sinn habe, an den Pressekonferenzen teilzunehmen.

Erfreulich ist, dass mit dem Regierungswechsel eine gewisse Normalität in das Weisse Haus zurückkehrt. Bei der ersten Pressekonferenz gab es von der Mediensprecherin ein Briefing «wie früher». Wir waren nicht mehr daran gewöhnt. Sicher, sie hat Joe Bidens Antworten geglättet, aber das ist soweit fair. Wir sind zurück im normalen Spiel der Informationen mit einem Präsidententeam, das Journalisten respektiert.

Was mich allerdings beunruhigt, ist, dass viele Journalisten als illegitim betrachten. Obwohl einige Journalisten Fehler machten und Trump einen Boulevard schufen, auf dem er seine Propaganda verbreiten konnte, spielten die Medien auch eine extrem wichtige Rolle dabei, die Wahrheit über die Vorgänge im Weissen Haus herauszubekommen. Dies ist eine essentielle Frage im Leben einer Demokratie. Die Medien spielten ihre Rolle. Sie haben sich für die Freiheit eingesetzt. Viele Amerikaner sind nicht bereit, die Realität zu hören, auch wenn sie nachweisbar ist. Sie glauben in existenzieller Weise die Lügen, die sie hören. Während der Präsidentschaft von Donald Trump haben die Medien gelitten, denn ihre Legitimität, die bereits in der Vergangenheit erschüttert worden war, wurde stark in Frage gestellt.

 – Sie haben für RTS aus den USA über die Amtseinführung von Joe Biden berichtet, wie war es?

 – Während der Berichterstattung über die Amtseinführung hatte ich keine besonderen Probleme mit den Ordnungskräften. Als ich ankam, war die Stadt bereits abgesperrt. Es gab keine Probleme mit dem Zugang. Das mag zum Teil an den Sicherheitsvorkehrungen liegen, die die Verantwortlichen der Biden-Kampagne getroffen hatten. Die Arbeit als Sonderkorrespondent ist sehr kompliziert geworden, weil es keine Orte mehr gibt, an denen sich Menschen während der aktuellen Gesundheitskrise im Freien aufhalten können.

– Wie ist der Umgang mit Medienschaffenden in den USA?

 – Weil ich häufig in den USA bin, die mein Geburtsland sind, kann ich das Misstrauen und die veränderte Atmosphäre zwischen den Amerikanern und den Medien beobachten. Was mir auffiel, war der Umgang mit den Menschen, die ich interviewt habe. Sie waren weniger zurückhaltend, meine Fragen zu beantworten, wenn sie feststellten, dass ich für ein ausländisches Medium arbeite. Sie stellten mir Fragen, um herauszufinden, welches Medium ich vertrete. Im Allgemeinen sind die Menschen in den Vereinigten Staaten relativ offen, aber die Tatsache, dass diese Fragen immer häufiger gestellt werden, ist symptomatisch für eine tiefgreifende Veränderung. Das Klima des Misstrauens ist schon seit einiger Zeit vorhanden. Die Rechte hat seit der Nixon-Präsidentschaft den Medien die Schuld daran gegeben. Dieses Klima des Misstrauens ist mit der Zeit stärker geworden.

 – Warum ist das amerikanische Volk so misstrauisch gegenüber den Medien geworden?

 – Unter der Regierung Trump hat es eine Verschiebung in der Positionierung der Journalisten gegeben. Vorher hatten sie einen neutralen Ansatz und ergriffen keine Partei. Aber als Donald Trump die Institutionen in Gefahr brachte, änderten die Medien ihre Rolle und zögerten nicht, Trumps Äusserungen anzuprangern, wenn sie unbegründet oder falsch war. Die amerikanischen Medien mussten ihr Verhältnis zu den Institutionen ändern und die Demokratie verteidigen.

Die von der Trump-Regierung verbreiteten Unwahrheiten haben die Medien in die ungewöhnliche Rolle als Gegenkraft versetzt. Im Endeffekt bin ich davon überzeugt, dass die Medien überparteilich bleiben sollten. Das Funktionieren der Institutionen sollte jedoch keine parteipolitische Angelegenheit sein, und die Medien haben zu Recht ihre Rolle als Gegenmacht eingenommen, als die Institutionen von einem Präsidenten bedroht wurden, der den Staat in Gefahr brachte.

– Hat die Gesundheitskrise Auswirkungen auf die Informationsfreiheit in den Vereinigten Staaten gehabt?

 – Mit den Einschränkungen, die die Gesundheitskrise mit sich bringt, wird der Zugang zu Informationen weltweit immer komplizierter. Zum Beispiel hat sich die Art und Weise, wie Pressekonferenzen abgehalten werden, verändert. Nun werden die Journalisten gebeten, ihre Fragen über einen Kommunikationsbeauftragten zu stellen. Dieser Vermittler verwischt die Grenze zwischen der Regierung und den Journalisten. Ich hoffe, dass diese Zugangsbeschränkungen verschwinden, sobald Corona hinter uns liegt, und nicht Teil des normalen Ablaufs werden.

– Welche Aufgaben kommen auf Joe Biden in Bezug auf die Pressefreiheit zu?

– Das grosse Problem für die Pressefreiheit in den Vereinigten Staaten, unabhängig von der Regierung, ist das Verschwinden der Presse. Die Lokalredaktionen schrumpfen unaufhaltsam.

Wir haben 2020 gesehen, wie wichtig lokale Akteure und Mandatsträger in den Bundesstaaten für die Präsidentschaftswahlen waren. Die Aufgabe des Journalismus ist es, die Integrität von Wahlen zu verteidigen. Deshalb müssen sich die Medien mit der Frage beschäftigen, wie lokale und bundesstaatliche Regierungen die Stimmabgabe und die Auszählung der Stimmen handhaben. Die Herausforderung besteht darin, dass die Medien im ganzen Land präsent sind, um Licht in dieses Geschehen zu bringen. Es bleibt abzuwarten, wie die Biden-Regierung das Ökosystem der Information regulieren wird. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass alle Bedingungen erfüllt sind, damit Journalisten ihre Arbeit frei ausüben können und somit Informationen an die Öffentlichkeit gelangen können.

– Was halten Sie davon, dass Trump von Social Media wie Twitter und Facebook gebannt wurde?

Es besteht eine starke Spannung zwischen der Meinungsfreiheit und der Tatsache, dass Donald Trump den zündelnden Feuerwehrmann spielt. Viele Amerikaner stellen sich diese Frage. In den Vereinigten Staaten gibt es keine Antirassismus-Gesetze wie in Europa, keine Einschränkungen für Hassreden. Hier gilt die angelsächsische Auffassung von Meinungsäusserungsfreiheit, die sehr weit geht.

Donald Trump ist unter Präsident Obama wieder in die Politik eingestiegen, indem er diesen beschuldigte, kein Amerikaner zu sein. Trumps Kandidatur für die Präsidentschaft begann mit Fake News, die über Social Media verbreitet wurden. Im Jahr 2020 schürte er über diese Netzwerke erneut Hass und Gewalt. Er hat Institutionen bedroht und ihnen viel Schaden zugefügt. Er hat viele Situationen in den USA schlimmer gemacht. Seine Aussagen zu Corona haben viele Todesfälle verursacht.

Ich fühle mich selbst nicht sehr wohl mit der Macht, die die «Big Five», also die grossen Technologieunternehmen Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft, haben. Die Social Media sind zum Dorfplatz geworden. Ehrlich gesagt, bin ich sehr gespalten, denn ich sehe die Argumente beider Seiten. Wir haben das Gefühl, dass wir die alte Welt der Kommunikation verlassen haben. Wir verwenden immer noch die alten Schutzprogramme, um unsere individuellen Freiheiten zu schützen. Doch die digitale Transformation hat alles auf den Kopf gestellt. Da Trump alles tut, um Hass zu schüren, sagt der Teil von mir, der sich um die Integrität von Institutionen sorgt, dass er ein gefährlicher Präsident ist. Gleichzeitig möchte ich auch nicht den «Big Five» die Schlüssel zur Regulierung der freien Meinungsäusserung übergeben.

 

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