Die Schweiz hat seit dem 3. Mai dieses Jahres einen «Nationalen Aktionsplan für die Sicherheit von Medienschaffenden», der verschiedene Massnahmen vorsieht. Zuständig dafür ist das Bundesamt für Kommunikation (BAKOM). RSF Schweiz hat bei BAKOM-Direktor Bernard Maissen (Foto Keystone-SDA) nachgefragt. 

– Wie ist der «Nationale Aktionsplan für die Sicherheit von Medienschaffenden» entstanden?

– Bernard Maissen: Der Europarat hat 2021 in einer Resolution die Mitgliedstaaten dazu aufgefordert, solche Aktionspläne zu erarbeiten. Alt Bundesrätin Simonetta Sommaruga hat den Anstoss aufgenommen. Die Situation der Medienschaffenden in der Schweiz ist nicht so schlimm wie in vielen anderen Ländern. Aber zum Beispiel bei Corona-Demonstrationen wurden Journalistinnen und Journalisten bei ihrer Arbeit behindert. Ausserdem haben Bedrohungen von Medienschaffenden im Social-Media-Raum massiv zugenommen.

Das BAKOM hat die Arbeiten für den Aktionsplan koordiniert. Doch es war uns wichtig, dass der Plan nicht vom Staat, sondern von der Medienbranche stammt. Tatsächlich waren bei den Gesprächen, die die Grundlage bilden, alle dabei: Arbeitgeber, Arbeitnehmer, die Ausbildungsinstitutionen, die Verwaltung und wir haben Gespräche mit der Polizei geführt. Ich glaube, der Plan ist gut: Er ist schweizerisch ausgewogen, dramatisiert nicht, schafft jedoch die Möglichkeit, auf Problemfelder hinzuweisen.

– Wie hoch schätzen Sie die die Bereitschaft der Medienbranche ein, sich zu engagieren? 

– Sie ist hoch. Letztlich geht es um Themen, die allen in der Branche am Herzen liegen müssen. Arbeitsgeber sind ja auch gehalten, für die Sicherheit ihrer Leute zu sorgen.

– «Mit dem Aktionsplan wird kein grosses staatliches Massnahmenpaket geschnürt, sondern Bestehendes optimiert, ausgebaut oder besser bekannt gemacht» heisst es in der Einleitung, der Plan habe «empfehlenden Charakter» und sei «rechtlich nicht bindend.» Schafft er dennoch Handhabe für eine Verbesserung der Situation? 

– Uns geht es darum, Anstösse zu geben, um das Bewusstsein etwas zu verändern. Dann primäres Ziel ist es, für die Rolle der Medien zu sensibilisieren. In einigen Bereichen wissen wir momentan schlicht zu wenig. Wie viele Bedrohungen gibt es überhaupt? Das BAKOM hat Forschungsaufträge vergeben, etwa über die Sicherheitssituation der Medienschaffenden, damit eine Datenbasis geschaffen werden kann. 

– Der Aktionsplan besteht aus drei «Aktionsfeldern». Das erste ist «Sensibilisierung und Prävention». Was ist hier wichtig? 

– Wichtig ist erstens, dass wir der Gesellschaft, vor allem der Jugend, bewusst machen, welche Rolle die Medien im schweizerischen System haben. Es braucht Medien für die Meinungs- und Willensbildung. Und Medienschaffende haben gewisse Rechte und gewisse Pflichten, das muss besser bekannt werden.

Zudem gibt es immer wieder Konflikte zwischen Medienschaffenden und der Polizei. Beide Seiten müssen sich an gewisse Regeln halten. Es braucht Gespräche zwischen Polizei und Medienschaffenden, in denen die Rechte der Medienschaffenden thematisiert werden und die Polizei dafür sensibilisiert wird. Das wollen wir mit «Runden Tischen» erreichen.

– Wie waren die Signale von Seiten der Polizei auf diesen Vorschlag?

Die Rückmeldungen waren bisher durchaus positiv. Ich glaube, die Polizeikommandanten sind bereit, drüber nachzudenken, welche Rolle Medienschaffende haben und wie sie damit umgehen. Die Polizei hat, wie die Journalistinnen und Journalisten, einen Auftrag, der einen hohen Wert hat. Bei der Erfüllung der beiden Aufträge kann es zu Konflikten kommen. Man muss darüber reden, wo sie liegen und wie man sie allenfalls entschärfen kann.

– Oft erzählen Journalistinnen und Journalisten, die Polizei sage bei Demonstrationen: Ihr müsst Distanz halten zu den Demonstrierenden. 

– Genau solche Themen muss man auf den Tisch bringen und diskutieren. Es ist vielleicht etwas einfacher, wenn das BAKOM dabei eine Koordinationsrolle übernimmt. Aber, das muss man auch sagen: Es gibt ein Problem mit der Definition, wer Journalist oder Journalistin ist, es sind unterschiedliche Presseausweise im Umlauf.  Nützlich wäre ein einheitlicher Ausweis, damit für die Polizei klar ersichtlich ist, wer die entsprechenden Rechte hat. Der Aktionsplan sieht daher auch eine Branchendiskussion über eine mögliche Vereinheitlichung der Presseausweise vor.

– Die Sensibilisierung soll bei der Polizei und den Jugendlichen stattfinden. Aber diejenigen, die heute Journalistinnen und Journalisten beschimpfen und angreifen, sind erwachsen …

Wenn man beschimpft oder bedroht wird, gibt es einen Rechtsweg, den alle Medienschaffenden einschlagen können. Wir setzen bei den Jugendlichen an, weil es im weitesten Sinn um den Aspekt Medienbildung geht. Das beginnt in der Schule, und wenn dort etwas thematisiert wird, geht es auch weiter in andere Schichten. Ausserdem wachsen heute die Jugendlichen kaum mehr mit klassischen Medien auf und kennen deshalb die Rolle von Medienschaffenden in unserem System nicht mehr.

– Was ist beim zweiten Aktionsfeld – «Schutz und Unterstützung bei Drohungen und Gewalt» – wichtig?

– Eine neue Website, auf der man – leicht und einfach zugänglich – Informationen findet, wie man bei Übergriffen und Bedrohungen vorgehen kann. Das gibt es bisher nicht. Die Schweizer Journalistenschule MAZ und das «Centre de formation au journalisme et aux médias» (CFJM) werden als Koordinatoren diese Website gemeinsam mit den Medien­organisationen einrichten.

– Die Regulierung von Kommunikationsplattformen wie Facebook, YouTube und Instagram gehört auch zum zweiten Aktionsfeld.

Der Bundesrat hat das BAKOM bereits vorher beauftragt, ein Gesetz zur Regulierung solcher Kommunikationsplattformen auszuarbeiten, das mehr Transparenz für die Nutzenden und mehr Informationspflicht für die Plattformbetreiber bewirken soll. Ein wichtiger Punkt dieser Bemühungen ist der Schutz vor Hassrede. Und da Medienschaffende von Online-Hassrede besonders betroffen sind, haben wir diese Aufgabe auch in den Aktionsplan aufgenommen.

Das dritte Aktionsfeld sind die «Rechtlichen Rahmenbedingungen», dort geht es um missbräuchliche Gerichtsklagen (SLAPPs).

Das BAKOM nimmt einerseits Einsitz in das Expertenkomitee des Europarats zu SLAPPs und soll andererseits im Rahmen seiner Medienforschung eruieren, wie häufig solche missbräuchlichen Klagen in der Schweiz sind. Wir brauchen eine Datenbasis, um zu wissen ob SLAPPs in der Schweiz ein Problem sind und Handlungsbedarf besteht.

Im Begleittext des Aktionsplans sind auch andere rechtliche Probleme erwähnt, etwa Artikel 47 des Bankengesetzes oder Artikel 266 der Zivilprozessordnung. Diese könnten laut dem Begleittext die Wirksamkeit des Schutzes der Medienfreiheit einschränken. Weshalb gibt es dazu keine Massnahmen?

– Bei der Einführung von Artikel 47 des Bankengesetzes gab es keine grosse Diskussion darüber, was er bedeuten könnte. Erst später, zum Beispiel konkret bei der Recherche über «Swiss Secrets», hat man erkannt, was er auslösen könnte, und die UNO-Berichterstatterin für Meinungsfreiheit, Irene Khan, hat die Schweiz wegen dieses Artikels kritisiert. Nun hat man reagiert, die zuständige Kommission, Bundesrat und Nationalrat wollen den Artikel prüfen lassen, damit die Medienfreiheit in diesem Bereich gewährleistet ist.

Es gab bisher in der Schweiz keinen Fall, in dem ein Journalist oder eine Journalistin wegen Verstoss gegen den Artikel verurteilt wurde. Wir wissen also nicht, wie ein Gericht urteilen würde. Beim revidierten Artikel 266 der Zivilprozessordnung ist es genauso. Wenn wir in unseren Untersuchungen und bei den Meldungen von Medienschaffenden sehen, dass hier neue grosse Probleme geschaffen werden, benennen wir das auch. Medien und Medienschaffende müssen aber mitmachen, Fälle melden und nicht aus falscher Rücksichtnahme oder Scham schweigen.

– Das Vorwort der Broschüre zum NAP stammt von Bundesrat Albert Rösti, der ja nun für das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) zuständig ist. Er schreibt: «Um die Sicherheit der Medienschaffenden zu gewährleis­ten, brauchen wir keine neuen Gesetze – die bestehenden rechtlichen Normen reichen aus.» Aber vielleicht besteht ja, gerade wenn es um SLAPPs geht, gesetzlicher Handlungsbedarf?

 Falls solche missbräuchlichen Klagen tatsächlich häufig vorkommen, wird man ein bestehendes Gesetz entsprechend anpassen können und muss kein SLAPP-Gesetz schaffen. Die Aussage des Bundesrats meint eher, dass es kein spezielles Gesetz zum Schutz von Medienschaffenden braucht. So ein Gesetz wäre auch in einem anderen Zusammenhang schwierig. Der Journalistenberuf ist ja nicht geschützt. Es wäre dann die Frage, für wen so ein Gesetz gilt. Ist ein Influencer ein Journalist oder ein Werber? Wo ist die Grenze?

– Bundesrat Rösti war ja quasi erst im Endspurt des Aktionsplans dafür zuständig, weil er das Departement neu übernommen hat. Hat er sich ausser im Vorwort noch irgendwie eingebracht?

 – Er hat sich für den Aktionsplan interessiert, wie er sich für alle neuen Geschäfte interessiert hat. Er hat sich von uns informieren lassen, nichts geändert und uns unterstützt, damit wir den Aktionsplan rechtzeitig am 3. Mai, dem Tag der Pressefreiheit, publizieren konnten.

– Wie geht es nun weiter?

– Wir möchten rasch starten, um auch zügig zu Ergebnissen zu kommen. Die Studien haben wir bereits in Auftrag gegeben. Ansonsten beginnt jetzt für das BAKOM die Koordinationsarbeit, es ist, etwa bei den «Runden Tischen», quasi der Inkubator, der anstösst und dann nachfragt, was läuft.

Der Aktionsplan läuft über vier Jahre, von 2023 bis 2027. 2027 müssen wir Ergebnisse haben, damit diese danach evaluiert werden können. Aufgrund dieser Ergebnisse entscheidet dann 2027 der Bundesrat, ob das Mandat verlängert wird. In der Zwischenzeit wollen wir jedes Jahr am Tag der Pressefreiheit bekanntgeben, was unter dem Titel Aktionsplan im vergangenen Jahr geschehen ist.

DAS INTERVIEW MIT BERNARD MAISSEN FÜHRTE BETTINA BÜSSER, KOORDINATORIN DEUTSCHSCHWEIZ VON RSF SCHWEIZ, AM 28. JUNI 2023

Nationaler Aktionsplan für die Sicherheit von Medienschaffenden in der Schweiz

Aktionsfeld 1: Sensibilisierung und Prävention

Massnahme 1: Sensibilisierung von Jugendlichen über den Wert der Medien

Massnahme 2: Runder Tisch mit Medienschaffenden und der Polizei

Massnahme 3: Datenerhebung über die Sicherheitssituation der Medienschaffenden

Massnahme 4: Branchendialog zur Frage der Vereinheitlichung der Presseausweise

Aktionsfeld 2: Schutz und Unterstützung bei Drohungen und Gewalt

Massnahme 5: Branchen-Website zum Vorgehen bei Drohungen und Gewalt

Massnahme 6: Hilfestellungen der Schweizer Vertretungen im Ausland

Massnahme 7: Regulierung von Kommunikationsplattformen

Aktionsfeld 3: Rechtliche Rahmenbedingungen

Massnahme 8: Analyse der missbräuchlichen Gerichtsklagen in der Schweiz

Massnahme 9: Engagement auf europäischer Ebene gegen missbräuchliche Gerichtsklagen

Den ganzen Aktionsplan finden Sie hier

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