Der wegweisende Prozess gegen den Medienmacher Jimmy Lai aus Hongkong wegen Gefährdung der nationalen Sicherheit tritt in eine entscheidende Phase. Reporter ohne Grenzen (RSF) warnt dabei vor einer anhaltenden Isolationshaft des Journalisten und fordert seine sofortige Freilassung.

Der Prozess gegen Jimmy Lai wird nach fast viermonatiger Pause am Mittwoch, 20. November, in Hongkong wieder aufgenommen. Der Gründer der Tageszeitung Apple Daily, der 2020 mit dem RSF-Preis für Pressefreiheit ausgezeichnet wurde, wird dabei voraussichtlich zum ersten Mal im seit Dezember 2023 andauernden Prozess aussagen. Ihm werden zwei Anklagepunkte auf Grundlage des National Security Law (NSL) zur Last gelegt. Beide können mit lebenslanger Haft bestraft werden.

Der 76-jährige britische Staatsbürger sitzt seit vier Jahren in Einzelhaft. Er ist an Diabetes erkrankt und seine allgemeine Gesundheit hat sich in den letzten Jahren stark verschlechtert. Erst letzte Woche kam die UN-Arbeitsgruppe gegen willkürliche Verhaftungen zum Schluss, dass Lais Inhaftierung rechtswidrig und willkürlich sei. Die Gruppe forderte daher seine sofortige Freilassung.

Jimmy Lai wurde aufgrund von konstruierten Vorwürfen bereits zu fünf Jahren und neun Monaten Haft sowie aufgrund seiner Teilnahme an «nicht genehmigten» Protesten der Demokratiebewegung in Hongkong in den Jahren 2019 und 2020 zu weiteren 20 Monaten Haft verurteilt.

«Alle unsere Augen sind auf Hongkong gerichtet, wo Jimmy Lai  in diesem absurden Fall zum ersten Mal selbst aussagen wird – 11 Monate nach Beginn des Verfahrens und fast vier Jahre nach seiner Festnahme wegen anderer fingierter Anschuldigungen. Die Hongkonger Behörden haben eine klare Strategie: Sie wollen den Prozess in die Länge ziehen, die Spuren verwischen und hoffen dabei, dass die Welt Jimmy Lai vergisst. Aber wir werden ihn nicht vergessen. Wir müssen weiter für seine Freilassung und für die Pressefreiheit kämpfen, die er selbst sein Leben lang verteidigt hat. Was Jimmy Lai widerfährt, ist von entscheidender Bedeutung – nicht nur für Hongkong, sondern auch für den Journalismus und die Pressefreiheit in der ganzen Welt.»

Rebecca Vincent
Direktorin für Kampagnen bei RSF

Prozess von Unregelmässigkeiten geprägt

Seit dem Beginn des Prozesses gegen Jimmy Lai ist die Untersuchung von Unregelmässigkeiten und von Verstössen gegen ein ordnungsgemässes Verfahren geprägt. Der Prozess, der ohne Jury stattfindet und ursprünglich 80 Tage hätte dauern sollen, hat sich aufgrund ständiger Verzögerungen bereits auf über 92 Tage ausgedehnt. Die Anklage stützt sich insbesondere auf die Aussagen eines «Zeugen», der angeblich zwangsweise in einer psychiatrischen Einrichtung festgehalten und gefoltert wurde.

Die Staatsanwälte führen als Beweismittel mehr als 150 Artikel der Zeitung Apple Daily auf. Diese Artikel werden als «aufrührerische Publikationen» bezeichnet. Die Anwälte denunzieren darüber hinaus mehrere Menschenrechtsaktivisten, mit denen Jimmy Lai in Kontakt stand, als «Mitverschwörer», die mit ausländischen Mächten konspiriert hätten. Bei der letzten Anhörung am 24. Juli befanden die drei Richter, dass alle Anschuldigungen gegen Lai begründet seien.

Verteidiger der Pressefreiheit

Jimmy Lai bemüht sich seit 30 Jahren, die Werte des Medienpluralismus und der Pressefreiheit zu verteidigen. Im Jahr 1995 gründete er die Zeitung Apple Daily mit Sitz in Hongkong – eine der letzten kritischen Zeitungen gegenüber dem Regime in Peking. Die Zeitung hatte die Medienlandschaft in Hongkong massgeblich geprägt.

Im Dezember 2023 reiste eine Delegation von RSF gemeinsam mit ausländischen Diplomaten und Familienmitgliedern von Jimmy Lai nach Hongkong, um die Eröffnung des Prozesses zu beobachten. Am 10. April 2024 wurde die Vertreterin von RSF Aleksandra Bielakowska vor einer erneuten Anhörung am internationalen Flughafen von Hongkong festgehalten und verhört. Daraufhin wurde sie ausgewiesen. Am 25. April verabschiedete das Europäische Parlament eine Resolution, in der es die «Behinderung an der Prozessbeobachtung» durch die Hongkonger Behörden anprangerte.

Pressefreiheit im freien Fall

In den letzten vier Jahren hat sich das «National Security Law» zu einem Instrument der chinesischen Regierung zur Unterdrückung der Pressefreiheit in Hongkong entwickelt. Jimmy Lai und sechs leitende Angestellte von Apple Daily wurden nach diesem Gesetz strafrechtlich verfolgt. Die Zeitung musste 2021 schliessen. Das Ereignis wird weithin als Todesstoss für die Pressefreiheit in Hongkong angesehen.

Hongkong belegt auf der RSF-Weltrangliste der Pressefreiheit 2024 den 135. von 180 Plätzen. Innerhalb von zwei Jahrzehnten ist das Land damit von Platz 18 um über 100 Plätze zurückgefallen. Derweil belegt China Rang 172 und ist mit mindestens 123 inhaftierten Medienschaffenden noch immer das grösste Gefängnis für Journalistinnen und Journalisten weltweit.

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