Nach einem Jahr der Proteste erreichen die Verstösse gegen die Presse in Georgien ein bisher unbekanntes Ausmass. Das zeigen Daten des Center for Media, Information, and Social Studies (CMIS), die in Zusammenarbeit mit RSF veröffentlicht wurden. Wir prangern die gezielte Strategie der Einschüchterung, Schikane und Kriminalisierung des unabhängigen Journalismus im Land an und fordern die Behörden auf, diesen autoritären Kurs unverzüglich zu beenden.
Am Abend des 22. November verschwindet der Journalist Giorgi Mamniashvili von TV Pirveli, nachdem er über eine Demonstration auf der Rustaveli-Allee in Tiflis berichtet hatte: Einige Stunden später bestätigt die Polizei seine Festnahme. Sein Anwalt berichtet, dass er auf der Polizeiwache erniedrigend behandelt wurde – mit Handschellen hinter dem Rücken gefesselt, gezwungen, sich auszuziehen und Kniebeugen zu machen. Zudem sei ihm zunächst ein Anwalt verwehrt worden. Bereits zwei Wochen zuvor waren die Journalistinnen Liza Tsitsishvili von Formula TV und Ninia Kakabadze von Mediachecker.ge ebenfalls wegen der Berichterstattung über einen Protestmarsch festgenommen worden. Diese Verhaftungen verdeutlichen, was Georgien für unabhängige Medien geworden ist: ein Land, in dem jeden Monat fast 50 Verstösse gegen sie verübt werden.
Ein Jahr nach dem Beginn der Proteste der pro-europäischen Bewegung vom 28. November 2024, hat sich die Lage der Pressefreiheit im Land verschlechtert. Die damaligen Proteste folgten auf die Ankündigung von Premierminister Irakli Kobakhidze, die Verhandlungen über den Beitritt zur Europäischen Union auszusetzen. Seit Oktober 2024, als die Partei «Georgischer Traum» bei den von Betrugsfällen überschatteten Parlamentswahlen einen umstrittenen Sieg errang, wurden 600 Verstösse gegen die Presse dokumentiert: Übergriffe, Verhaftungen, willkürliche Geldstrafen, Drohungen oder Aussetzung von Akkreditierungen. Diese Welle von Übergriffen zeugt von einer beispiellosen Verschärfung und einer beschleunigten politischen Abschottung, während sich die Behörden immer weiter von der Demokratie entfernen.
«Die georgischen Behörden verfolgen eine Politik der Einschüchterung, Schikane und Kriminalisierung des unabhängigen Journalismus. RSF fordert die Regierung auf, die körperliche Gewalt, die Drohungen und die missbräuchlichen Strafverfolgungen unverzüglich einzustellen, diese Missbräuche zu untersuchen und die suspendierten Akkreditierungen wiederherzustellen. Georgien kann nicht vorgeben, sich in Richtung Europäische Union zu bewegen, wenn es die Pressefreiheit, die Rechtsstaatlichkeit und den Pluralismus mit Füssen tritt.»
Jeanne Cavelier
Leiterin des Büros für Osteuropa und Zentralasien von RSF
Tiflis, Epizentrum der Gewalt
Die Verstösse betreffen das gesamte Land, aber mehr als zwei Drittel aller Fälle konzentrieren sich auf die Hauptstadt Tiflis, da dort Institutionen, Redaktionen angesiedelt sind und täglich Demonstrationen unterdrückt werden. In den ersten Wochen nach Beginn der Demonstrationen am 28. November 2024 wurden Dutzende von Medienschaffenden körperlich angegriffen – teilweise auf brutale Weise –, ohne dass die Täter belangt wurden. Damit stieg die Gesamtzahl der in diesem Zeitraum registrierten Gewaltfälle auf 127. RSF Schweiz sprach im Dezember 2024 zudem mit einem georgischen Journalisten, Zaza Abaschidze, der von Gewalt, Hass, Verhaftungen und gezielten Angriffen gegenüber Medienschaffenden berichtete.
Seitdem setzen die Behörden Medienschaffende zunehmend mit Demonstranten gleich und stützen sich dabei auf Gesetze, die offiziell der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung dienen. Diese werden aber missbraucht, um die Berichterstattung über die Demonstrationen zu behindern. Die georgischen Medien haben die systematische Verhängung von Geldstrafen gegen Reporter wegen angeblicher «Behinderung des öffentlichen Verkehrs» angeprangert. Denn sie begleiteten in aller Regel lediglich die Demonstrationszüge. In mehreren Fällen haben die Sicherheitskräfte auch die kürzlich verschärften Bestimmungen zur «Behinderung der Polizeiarbeit» geltend gemacht, um Journalistinnen und Journalisten zu zwingen, den Bereich der Demonstrationen zu verlassen Dies hat zu einem allgemeinen Klima der Ohnmacht geführt. Entsprechend sind die Sicherheitskräfte nach wie vor die Hauptverantwortlichen für die registrierten Verstösse.
TV-Sender werden ins Visier genommen, Medien gezielt schikaniert und kriminalisiert
Fernsehsender gehören zu den Medien, die am heftigsten angegriffen werden, allen voran TV Pirveli, dessen Teams im letzten Jahr mehr als 80 Mal von den Sicherheitskräften ins Visier genommen wurden. Mehrere Redaktionen haben Polizeitechniken dokumentiert, mit denen Kameras zerstört oder Medienschaffende daran gehindert werden sollen, sich in erhöhter Position zu positionieren, um Einsätze zu filmen.
Unter den Online-Medien sind auf Politik spezialisierte Medium Publika sowie Batumelebi, das von der inhaftierten Journalistin Mzia Amaghlobeli mitbegründet wurde, die grössten Opfer der Repressionen. Sie kämpfen mit willkürlichen Steuer- und Verwaltungskontrollen, polizeilichem Druck auf Reporterinnen und Reporter oder mit von regierungsnahen Verantwortlichen orchestrierten Verleumdungskampagnen. Die Redaktion von Batumelebi mit Sitz in Batumi am Schwarzen Meer steht weiterhin besonders im Fokus der lokalen und nationalen Behörden. Die Gründerin Mzia Amaghlobeli bleibt nach einem unfairen Prozess und einer Verurteilung zu zwei Jahren Haft willkürlich inhaftiert. Erst am 18. November wurde das Urteil bestätigt. Dies verstärkt die Befürchtung eines zunehmenden Einsatzes von Strafverfahren gegen Medienschaffende.
Auch ausländische Medienschaffende bleiben nicht verschont. Der junge deutsch-französische freiberufliche Reporter Maxime Hannak berichtete RSF, dass er kürzlich von Polizisten schikaniert, verfolgt und am Filmen gehindert wurde – ein neues Phänomen, das die Ausweitung der Einschüchterungsversuche verdeutlicht. Die Zahl der Einreiseverbote für internationale Medienschaffende hat zudem weiter zugenommen, wodurch eine unabhängige Berichterstattung über den derzeitigen Rückschritt der Demokratie verhindert wird.
Organisierte Unterdrückung der Medienlandschaft
Die Regierungspartei Georgischer Traum treibt seit einem Jahr die Verabschiedung von Gesetzen voran, die die Pressefreiheit einschränken und sich insbesondere an russischen Praktiken orientieren. Eine neue Fassung des Gesetzes über «ausländische Agenten» sowie Änderungen der Gesetze über Subventionen und Rundfunk bedrohen die von internationalen Geldgebern finanzierten Medien und NGOs direkt. Und sie verstärken deren potenzielle Kriminalisierung noch weiter. Die Antikorruptionsbehörde hat missbräuchliche Ermittlungen gegen mindestens sechs unabhängige Medien eingeleitet. Private Unternehmen werden davon abgehalten, bei ihnen Werbung zu schalten. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk Georgian Public Broadcaster (GPB), der bereits unter dem Einfluss der Regierung stand, hat sich zu einem regelrechten Sprachrohr der Partei entwickelt und Journalistinnen und Journalisten entlassen, die als nicht ausreichend parteitreu galten. Diese mangelnde Unabhängigkeit und voreingenommene redaktionelle Ausrichtung wurden von der EU-ommission in ihrem letzten Erweiterungsbericht vom 4. November hervorgehoben.
Im Zentrum dieser Strategie steht der Oligarch Bidzina Ivanishvili, der kürzlich von RSF als einer der Feinde der Pressefreiheit 2025 bezeichnet wurde. Er spielt eine entscheidende Rolle beim wirtschaftlichen und politischen Druck sowie beim Klima der Straflosigkeit im Land. Der Parlamentspräsident Shalva Papuashvili versucht seinerseits, die Tragweite dieser Entwicklung herunterzuspielen und die Warnungen von RSF zu diskreditieren. Er bezeichnete RSF gar Propagandainstrument des «Deep State». Diese Offensive gegen den Journalismus ist Teil einer allgemeinen Politik der Unterdrückung im Land. Georgien ist in der Rangliste der Pressefreiheit von RSF innerhalb von zwei Jahren um 37 Plätze zurückgefallen und liegt nun auf Platz 114 von 180 Ländern.