Seit die Regierung Ende November bekannt gab, dass sie die Verhandlungen mit der Europäischen Union bis mindestens 2028 auf Eis legen würde, ist Georgien in Aufruhr (Foto: Raimond Lüppken). Jeden Tag protestieren seitdem tausende Menschen gegen den umstrittenen Entscheid der Regierung. Die Sicherheitskräfte gehen dabei hart gegen die Demonstrierenden vor. Insbesondere Medienschaffende nehmen sie dabei gezielt ins Visier. Reporter ohne Grenzen (RSF) zählt bis Mitte Dezember mindestens 70 Übergriffe an Journalistinnen und Journalisten: Physische Angriffe der Polizei sowie von regierungsnahen Schlägertruppen, Beschädigung ihrer Ausrüstung oder gar zeitweilige Verhaftungen.

Der Journalist Zaza Abaschidze musste bereits im Frühling vor Schlägertrupps, sogenannten Tituschki, fliehen, die vor dem Büro des in Tbilissi ansässigen unabhängigen Medienhauses Real Politika auf ihn warteten. Über die Identität der Schläger weiss Abaschidze, der nebst seinem Job für Real Politika auch für die Agence France Presse (AFP) arbeitet, wenig. Sie kleiden sich in schwarz und sind vermummt. Sie stünden aber, so Abaschidze, mit der Regierungspartei «Georgischer Traum», in Verbindung. «Zuvor waren Fotos von mir in der Stadt aufgehängt worden, auf denen ich als Verräter Georgiens und als ausländischer Agent bezeichnet wurde», sagt der Journalist gegenüber RSF Schweiz.

Zaza Abaschidzes Erlebnisse im Video.

Der Hintergrund dieser Schikanen war das im Frühling eingeführte «Agentengesetz», welches NGOs und Medien verpflichtet, sich bei der Regierung als ausländische Agenten zu registrieren, sofern sie mehr als 20 % ihrer Gelder aus dem Ausland erhalten. Auf Real Politika träfe das zu. «Wir haben uns aber geweigert, uns zu registrieren. Das Gesetz ist eine Schande», sagt Abaschidze. Nicht nur, weil dadurch Redaktionen gezwungen wären, sämtliche Informationen über das Personal der Regierung bereitzustellen. Sondern auch, weil so die Kampfbegriffe «Ausländischer Agent» oder «Verräter» institutionell verankert wurden.

Gewalt geht zunehmend von den Sicherheitskräften aus

Auch in den Augen der Journalistin Mariam Nikuradze hat sich die Lage für Journalistinnen und Journalisten in Georgien seit Mai 2024 deutlich verschlechtert. Die Co-Gründerin und Reporterin des unabhängigen Online-Mediums OC Media mit Sitz in Tbilissi sagt: «Die physische Sicherheit von Medienschaffenden hat in Georgien seit 2021 abgenommen. Im Laufe dieses Jahres haben wir aber gemerkt, dass die Gewalt zunehmend von der Polizei und den Schlägertrupps, den Tituschki, ausgeht.»

Die Übergriffe erreichten Ende November einen neuen Höhepunkt im Kontext der weitreichenden Proteste nach dem Regierungsentscheid gegen die EU. «Heute ist die Abneigung und der Hass gegen Journalistinnen und Journalisten nochmals deutlich höher», sagt Nikuradze. Die Sicherheitskräfte sowie die Schlägertrupps haben ihr in den vergangenen drei Wochen zwei Kameras und ein Handy zerstört. Neues Equipment konnte sie sich dabei auch dank finanzieller Hilfe von Reporter ohne Grenzen beschaffen.

Abgesehen davon wurde Nikuradze Anfang Dezember von einem Wasserwerfer getroffen und stürzte deswegen von einer Mauer. Verletzt habe sie sich nur leicht, sagt sie. Aber: «Das Wasser aus den Wasserwerfern ist mit Pfefferspray und Tränengas versetzt. Die Sicherheitskräfte haben alles darangesetzt, die Proteste zu unterdrücken. Und es ist ihnen egal, wenn sie mit Gewalt gegen Medienschaffende vorgehen müssen.»

Die Journalistin und ihre Kollegen hätten sich in der Folge daher dazu entschieden, auf Schutzwesten und klare Erkennungszeichen für Medienschaffende zu verzichten. «Wir sind so nicht im direkten Visier der Sicherheitskräfte und der Tituschki. Wir fühlen uns dadurch sicherer.»

Schutzausrüstung ist Mangelware

Dass Medienschaffende gezielt attackiert werden, bestätigt auch Raimond Lüppken. Der Schweizerisch-Deutsche Reporter und Kriegsfotograf verbrachte im Dezember einige Tage in Tbilisi, um die Proteste zu dokumentieren und um die frühere Parlamentsabgeordnete und Diplomatin Nona Mamulashvili zu interviewen. «Ich habe schon aus vielen europäischen Städten über Proteste berichtet. Stets wurde ich dabei als klar erkennbarer Medienschaffender respektiert und verschont», sagt er. «Was andernorts selbstverständlich ist, war in Tbilissi aber nicht garantiert.» Lüppken wurde gar vor der Einreise nach Georgien gewarnt, kein Schutzmaterial wie Gasmasken im Gepäck zu transportieren. «Das hätte die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass man mich am Flughafen nicht ins Land gelassen hätte.»

Vor Ort sei es auch schwierig gewesen, Masken zu kaufen, sagt Lüppken. «Es gibt Berichte, dass die Regierung den Verkauf solcher Ausrüstung kontrolliert und begrenzt.»

Die Medienschaffenden in Georgien haben entsprechend mit Engpässen zu kämpfen. Nicht nur bei Schutzausrüstung. Auch das Equipment werde knapp, sagt Zaza Abaschidze. «Die Sicherheitskräfte wissen, dass Kameras unsere wichtigsten Waffen sind.» Sobald sie Medienschaffende oder Demonstrierende festnähmen, würden sie diese zuerst brutal zusammenschlagen, um ihnen anschliessend alles wegzunehmen. «Sie rauben dich richtiggehend aus und nehmen dir alles ab. Das ist verrückt.»

Weitreichende Einschüchterungen

Die Einschüchterungsversuche der Regierung gehen in einigen Fällen noch weiter. Mariam Nikuradze erfuhr Anfang Dezember, dass ihr Name mutmasslich auf einer Liste aufgetaucht sei, mit Namen von Personen, die gezielt attackiert und verhaftet werden sollen. «Als ich davon erfuhr, blieb ich am Tag darauf zuhause, anstatt über die Proteste zu berichten», sagt sie rückblickend.

Gleichzeitig fühle sie sich in der Verantwortung, weiter über die Geschehnisse zu berichten. «Insbesondere in Zeiten wie diesen ist es elementar, dass wir dokumentieren, was passiert. Viele Menschen, auch ausserhalb Georgiens, hätten kaum von der brutalen Unterdrückung seitens der Regierung erfahren, wenn wir nicht darüber berichtet hätten.»

Die Perspektiven für das 3,7-Millionen-Land im Kaukasus sind schwierig. Aktuell befindet sich Georgien im RSF-Ranking der Pressefreiheit auf Rang 103 von 180. Zaza Abaschidze geht davon aus, dass das Agentengesetz 2025 breiter angewendet wird, mit negativen Auswirkungen auf die Pressefreiheit. «Wir müssen vorsichtig bleiben.» Und er fügt an: «Wird der Druck zu gross, könnte es sein, dass ich Georgien irgendwann verlassen muss.» Soweit möchte er es aber nicht kommen lassen. «Denn wir alle wissen: Es geht um viel. Auch wir Medienschaffende kämpfen für die demokratische Zukunft unseres Landes. Wir haben keine andere Option.»

Valentin Rubin, Policy & Advocacy Manager RSF Suisse

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