Reporter ohne Grenzen (RSF) deckt im neuen Bericht „Senegalesischer Journalismus am Scheideweg“ auf, dass zwischen 2021 bis 2024 mehr als 60 Journalisten im westafrikanischen Land festgenommen, angegriffen, verhört oder inhaftiert wurden. Die Polarisierung, die politische Einmischung und die Desinformation haben sich verschärft. Angesichts dieses beunruhigenden Bildes ist der Regierungswechsel im Senegal eine Chance, das vernarbte Gesicht der Medien zu heilen und das Land wieder zur treibenden Kraft bei der Verteidigung des Rechts auf Information in der gesamten Region und in Afrika zu machen.
Innerhalb von drei Jahren ist der Senegal auf der RSF-Weltrangliste der Pressefreiheit vom 49. auf den 94. Platz zurückgefallen. Die neue Regierung des westafrikanischen Landes steht vor zahlreichen Baustellen. Sie ist gefordert, um den Schutz von Journalisten zu gewährleisten sowie die Transparenz und wirtschaftliche Tragfähigkeit der Medien zu stärken.
Seit März 2021 wurden Dutzende Journalisten angegriffen, festgenommen, verklagt oder inhaftiert, die Polarisierung der Medien hat sich verschärft und die Politik hat sich durch besorgniserregende Einmischungen hervorgetan, soziale Netzwerke missbräuchlich abgeschaltet und Medienlizenzen suspendiert.
Der neue Bericht von RSF, «Senegalesischer Journalismus am Scheideweg» («Le journalisme sénégalais à la croisée des chemins»), blickt auf diese drei für die Medien schwierigen Jahre zurück und schlägt in 30 Empfehlungen konkrete Perspektiven für den Schutz von Journalisten, für mehr Medienpluralismus und für den Kampf gegen Desinformation vor.
«Nach drei Jahren im freien Fall ist es höchste Zeit, dass Senegal im Bereich der Pressefreiheit wieder nach vorne blickt. Die Ankunft von Präsident Bassirou Diomaye Faye, der unter anderem versprochen hatte, die Haftstrafen für Pressevergehen abzuschaffen und die Arbeit von Journalisten zu schützen, ist eine Gelegenheit, grundlegende Reformen durchzuführen, um das Recht auf Information in Senegal zu gewährleisten. RSF hat daher rund 30 Empfehlungen an die neuen Behörden und die Akteure der senegalesischen Medienlandschaft formuliert, damit das Land wieder zu einem Vorbild in der Subregion wird.»
Sadibou Marong, Direktor des Büros von RSF für Subsahara-Afrika
RSF hat den Bericht bereits am Montag, 3. Juni, dem Minister für Kommunikation, Telekommunikation und Digitales, Alioune Sall, vorgelegt. Dieser bestätigte, „ein offenes Ohr zu haben, um die notwendigen Baustellen zu leiten“. Die Empfehlungen erweisen sich als brandaktuell. Denn nur wenige Tage vor dem Treffen waren zwei Herausgeber von Zeitungen wegen Artikeln über einen hohen Offizier der Armee von der Gendarmerie vorgeladen und mehrere Stunden lang angehört worden.
Die fünf wichtigsten Informationen des Berichts
1. Mehr als 30 Journalisten wurden Opfer von Polizeigewalt
Im Zeitraum 2021-2024 fanden Angriffe auf die Pressefreiheit – die primär durch Ordnungskräfte begangen wurden – vor allem im Kontext der Berichterstattung über sozialpolitische Demonstrationen statt. So zählte RSF 34 Angriffe durch Sicherheitskräfte, die hauptsächlich bei Demonstrationen die Ausrüstung der Medienschaffenden beschlagnahmten oder diese gar körperlich angriffen.
2. Mindestens 15 Verhaftungen und Festnahmen von Journalisten
Journalisten, die als Kritiker der Staatsmacht wahrgenommen wurden – beispielsweise der Direktor von DakarMartin, Pape Alé Niang, oder Journalisten von Walf TV – wurden ins Visier genommen und manchmal mit instrumentalisierten Straftaten wie „Verbreitung von Falschmeldungen“ und „Anmassung der Funktion eines Journalisten“ angeklagt.
3. Sperrungen des Internets, der sozialen Netzwerke und des Mediums Walf TV.
Die vorherige Regierung hatte den Internetzugang innerhalb von neun Monaten viermal gesperrt. Diese Entscheidungen wurden einseitig vom damaligen Kommunikationsministerium getroffen und schufen einen gefährlichen Präzedenzfall. Ausserdem setzte sich das Kommunikationsministerium zweimal über den Conseil national de régulation de l’audiovisuel (CNRA) hinweg, um Walf TV im Juni 2023 zu suspendieren und dem Sender im Februar 2024 die Lizenz zu entziehen. Journalisten des privaten Fernsehsenders, der Mitglied der Mediengruppe Walfadjri ist, waren in den letzten Jahren regelmässig Zielscheibe der Behörden.
4. Journalisten werden ungestraft im Cyberspace belästigt
Mehrere Journalisten, darunter der Reporter der Zeitung EnQuête Mor Amar, waren Ziel von Cyberbelästigung. Kampagnen gegen sie wurden häufig von politischen Aktivisten ins Leben gerufen. Von den vier Beschwerden, die nach Angaben von RSF eingereicht wurden, führte keine zur Einleitung einer Untersuchung.
5. Politische Einmischung und Desinformation
Die früheren Behörden steuerten auch zur grössten Desinformationskampagne bei. Sie stellten bewaffnete Zivilisten bei Demonstrationen als Individuen dar, die die Rechtsstaatlichkeit im Senegal bedrohten. Dieses Narrativ wurde allerdings von der Redaktion von France 24 dekonstruiert. Im Zusammenhang mit den Wahlen sind zudem Inhalte von vermeintlichen Medienhäusern aufgetaucht, die den Wahlkampf zugunsten einer politischen Richtung beeinflussen wollten. Es bestehen häufig enge Verbindungen zwischen Medienunternehmern und Politikern. Doch ohne dazugehörige Schutzmassnahmen, die redaktionelle Unabhängigkeit gewähren, besteht nach wie vor zu viel Spielraum für politische Einmischung.
Ausgehend von diesen Feststellungen formuliert RSF mehr als 30 Empfehlungen, unter anderem folgende fünf:
- Freiheitsstrafen für Pressevergehen abschaffen:
Der 2017 verabschiedete Pressekodex sieht hohe Freiheitsstrafen für Pressevergehen vor. Den Behörden wird empfohlen, diese Strafen abzuschaffen und sicherzustellen, dass kein Journalist seiner Freiheit beraubt wird, nur weil er seinen Beruf ausübt. - Den Schutz von Whistleblowern als journalistische Quellen besser gewährleisten:
Insbesondere investigative Journalisten stützen sich häufig auf Whistleblower, um ihren Informationsauftrag unabhängig zu erfüllen. Das Gesetz zum Schutz von Whistleblowern muss diese als journalistische Quellen anerkennen, die entsprechenden Schutz geniessen - Transparenz der Medien und ihrer Finanzierung verbessern:
Es sollten genauere Regeln für die Transparenz der Medien – insbesondere derjenigen, die allgemeine Informationsprogramme ausstrahlen – in das Gesetz aufgenommen werden. Diese Regeln sollten sich auf die Eigentumsverhältnisse der Medien beziehen – z. B. in Form einer Verpflichtung zur Offenlegung der Kapitalverteilung des Unternehmens oder der Verbindungen zu anderen Unternehmen, die im Besitz des/der Eigentümer(s) sind. - Lokale Medien wie Gemeinschaftsradios unterstützen:
Die Gemeinschaftsmedien sind eines der wichtigsten Glieder in der senegalesischen Informationskette. Sie leisten über den Zugang zu Informationen hinaus einen Beitrag zum sozialen Zusammenhalt innerhalb und zwischen den Gemeinden, indem sie die lokalen Sprachen verwenden. Um zu verhindern, dass sie verschwinden, müssen sie finanziell stärker unterstützt werden, sodass es ihnen erlaubt ist, kommerzielle Aktivitäten durchzuführen. In diesem Sinne sind insbesondere Artikel 187 und 190 des Pressegesetzes zu ändern. - Förderung eines zuverlässigen und unabhängigen Journalismus: Ein Instrument zur Bekämpfung von Desinformation:
In diesem Sinne könnte die senegalesische Regierung die Medien dazu ermutigen, sich dem von RSF initiierten Zertifizierungsprozess Journalism Trust Initiative (JTI) anzuschliessen, um die Produktion zuverlässiger Informationen zu fördern. Zu diesem Zweck könnten den Medien, die sich zertifizieren lassen, Steuerabzüge gewährt werden (auf ihre Auditkosten, Sozialversicherungsbeiträge, etc.). Gleichzeitig profitieren auch die Marktteilnehmer, die in diese zertifizierten Medien investieren (Werbekunden, Sponsoring, Abonnements, etc.)
Bisher haben rund 50 senegalesische Medien den Zertifizierungsprozess mit dem JTI begonnen. Zwei davon sind bereits zertifiziert: PressAfrik und Financial Afrik.