Die Westschweizer Tageszeitung L’Agefi wende sich nur an Finanz- und Wirtschaftsspezialisten und trage nicht ausreichend zur demokratischen und öffentlichen Debatte bei, um in den Genuss der Pressehilfe zu kommen. So lautete das – harsche – Urteil, das die Richter in Mon-Repos Anfang Monat fällten. «Hält das Bundesgericht die Schweizer für dumm?», erwiderte Frédéric Lelièvre, Chefredaktor von L’Agefi in seinem Leitartikel vom 11. Juli.

Die Richter bestätigten die Entscheidung des Bundesamts für Kommunikation und später des Bundesverwaltungsgerichts, der Zeitung das Recht auf die im Postgesetz vorgesehenen Rabatte auf die Zustellungsgebühren im Rahmen der Presseförderung zu verweigern.

Die Begründung? L’Agefi gehöre zur Spezialpresse, die wie die Fachpresse  keinen Anspruch auf diese Rabatte hat, da ihr Beitrag zur demokratischen Debatte nicht mit dem der allgemeinen Presse vergleichbar sei und daher keine staatliche Unterstützung rechtfertige. Diese Einschätzung ärgert Frédéric Lelièvre, denn sie ignoriere die neue Ausrichtung des Titels und die Anstrengungen, die die Redaktion in den letzten drei Jahren unternommen habe: «Wir haben unser digitales Angebot ausgebaut, um ein breiteres Publikum zu erreichen, indem wir neue Formate, insbesondere Videos, entwickelt haben. Wir waren auch viel stärker in der politischen Debatte präsent, insbesondere zum Zeitpunkt der Gesundheitskrise. Eine Entwicklung, die sich etwa bei der Einstellung eines Bundeshauskorrespondenten in Bern gezeigt hat.»

«In einer wirtschaftlichen und finanziellen Perspektive»

Um diese Strategie stärker zu verankern, passte die Verlagsgesellschaft der Tageszeitung auch ihre Statuten an. Auf dieser neuen Grundlage beschloss L’Agefi, ein Gesuch zu erneuern, das bereits vor rund zehn Jahren abgelehnt worden war, obwohl die Positionierung der Zeitung damals eine ganz andere war. «Das BAKOM lehnte jedoch sehr schnell jegliche Diskussion ab, da es der Ansicht war, dass sich nichts wirklich geändert habe», so Lelièvre.

Und das Bundesgericht bestätigt dies: L’Agefi ziele nach wie vor nur auf ein begrenztes Publikum ab, die Themen, die das Medium behandle, seien wirtschafts- und finanzbezogen, und «wenn vielfältigere Themen angesprochen werden, bleibt dies in einer wirtschaftlichen und finanziellen Perspektive». Auf jeden Fall «reicht es nicht aus, dass die behandelten Themen aktuell sind, um den Titel als generalistisch einzustufen».

Das ist bitter für die Tageszeitung. «Wir sind der Meinung, dass wir einen anderen Blick auf das politische Geschehen werfen und so zur Medienvielfalt beitragen», beharrt Frédéric Lelièvre, der daran erinnert, dass die Erhaltung der Vielfalt der Medienlandschaft das Hauptziel der Medienförderung bleibt. «Es war nicht der Wille des Parlaments, die Medienhilfe auf diese Weise in ein Korsett zu zwängen.»

Die finanziellen Folgen seien «substantiell»

Für ihn stellt der Ausschluss von L’Agefi eine «eklatante Wettbewerbsverzerrung» dar, da die Tageszeitung de facto mit mehreren anderen Titeln des Westschweizer Marktes konkurriert, die ihrerseits von der Presseförderung profitieren. Die Entscheidung des Bundesgerichts «gefährdet den Titel nicht», versichert Lelièvre, doch die finanziellen Folgen der Ablehnung seien für ein Unternehmen mit begrenzten Ressourcen «substantiell».

Derzeit erwägt die Tageszeitung nicht, den Fall weiterzuverfolgen und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anzurufen, um eine Verletzung der Pressefreiheit geltend zu machen, aber Lelièvre hofft, dass die Frage erneut vom Gesetzgeber geprüft wird.

Die gesetzlichen Grundlagen der Presseförderung werden derzeit ohnehin diskutiert. Die zuständigen Kommissionen beider Kammern haben nämlich eine parlamentarische Initiative von Nationalrätin Christine Bulliard-Marbach (Mitte/FR) im Grundsatz angenommen, die eine Erhöhung der gewährten Beträge und die Einführung einer Unterstützung für die Frühzustellung von Zeitungen fordert. Die gesetzlichen Grundlagen müssen nun ausgearbeitet und im Parlament diskutiert werden. Auf viel längere Sicht empfiehlt die Eidgenössische Medienkommission eine vollständige Änderung der Medienförderung, bei der Printmedien, Onlinemedien und private Radio- und Fernsehsender gleichgestellt werden.

Eine einfache Änderung der Verordnung des Bundesrates?

Theoretisch könnte eine einfache Änderung der Verordnung des Bundesrates ausreichen, damit L’Agefi in den Genuss von Presseförderung kommt. Tatsächlich ist der Ausschluss von Fachpresse und Spezialpresse im aktuellen Postgesetz nicht mehr enthalten, sondern nur noch in der Verordnung des Bundesrates. Laut Bundesgericht entspricht die Entscheidung des Bundesrates, diesen Ausschluss in seiner Verordnung beizubehalten, dem Willen des Gesetzgebers, das zuvor geltende System der Presseförderung nicht zu ändern, sondern der Regierung die Kompetenz zu übertragen, die Einzelheiten der Bedingungen für die Gewährung der Presseförderung zu regeln. In diesem Zusammenhang ist nicht ersichtlich, was den Bundesrat daran hindern sollte, eine restriktivere Definition der Spezialpresse und Fachpresse zu verabschieden, so dass eine Zeitung wie L’Agefi nicht mehr dieser Kategorie zugeordnet wird.

Wie dem auch sei, die Entscheidung des Bundesgerichts wirft wichtige Fragen auf. Es ist bekannt, dass die Unterstützung des Bundes für die gedruckte Presse, sofern die Verfassung nicht geändert wird, nur indirekt sein kann und heute zwei verschiedene Formen kennt: reduzierter Mehrwertsteuersatz und Rabatt auf die Posttarife. Der Hauptverdienst, der dieser indirekten Förderung – im Gegensatz zur direkten Zahlung von Subventionen – immer zuerkannt wurde, ist ihre redaktionelle Neutralität. Der Staat unterstützt kein redaktionelles Projekt, dessen Inhalt er definiert – was aus Sicht der Pressefreiheit sehr fragwürdig wäre -, sondern beschränkt sich darauf, Gebührenrabatte auf Vorgänge zu gewähren, die in keinem Zusammenhang mit dem Inhalt stehen. Die vom BAKOM vertretene und vom Bundesgericht bestätigte Auslegung der gesetzlichen Grundlagen läuft jedoch darauf hinaus, die Presseförderung in bestimmten Fällen von der Analyse des Inhalts einer Tageszeitung abhängig zu machen, was dem derzeitigen System einen nicht unerheblichen Teil seiner Vorteile nimmt und sich für die Pressefreiheit als heikel erweist.

Denis Masmejan, Generalsekretär von RSF Schweiz

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