In der Schweizer Verwaltung hat sich in den letzten 20 Jahren mehr und mehr das Öffentlichkeitsprinzip gegen das Geheimhaltungsprinzip durchgesetzt. Doch es gibt nach wie vor Lücken. Reporter ohne Grenzen (RSF) Schweiz bedauert das.

Warum steht die Schweiz nicht an der Spitze? Was müsste sich verändern, damit sie Platz eins erreicht? Diese Frage hören wir von RSF Schweiz hie und da von Medienschaffenden, wenn jeweils die «Rangliste der Pressefreiheit» bekanntgegeben wird, die RSF International erstellt.

Tatsächlich war die Schweiz in den letzten Jahren auf dieser Rangliste immer sehr gut platziert, lag 2020 auf Platz acht, 2019 auf Platz sechs, 2018 auf Platz fünf, in den Top Ten also. Doch vor ihr lagen immer – und immer auf den Spitzenplätzen – Schweden, Finnland und Norwegen. Was machen diese Länder beim Thema Informationsfreiheit besser?

Eine mögliche Erklärung findet sich beim Thema Transparenz der Verwaltung. Dieses Prinzip verleiht allen Bürgerinnen und Bürgern das Recht, bei Behörden und Ämtern Einsicht in alle Akten und Dokumente nehmen zu können, einige Ausnahmen vorbehalten. Schweden war bei diesem Einsichtsrecht der Pionier: Bereits 1766 führte das Land das «Offentlighetsprincipen» (Öffentlichkeitsprinzip) ein. Die staatlichen Dokumente sind seither nicht mehr geheim, sondern öffentlich. Finnland, Norwegen und Dänemark führten das Prinzip nach dem zweiten Weltkrieg ein.

Es vergingen noch viele Jahre, bis auch in der Schweiz das Geheimhaltungsprinzip durch das Öffentlichkeitsprinzip ersetzt wurde: 2006 trat das «Bundesgesetz über das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung» (Öffentlichkeitsgesetz) in Kraft; es gilt für die nationale Verwaltung – mit Ausnahmen: Bundesrat, Parlament, Nationalbank und Finanzmarktaufsicht sind nämlich bei der Transparenz nicht mitgemeint.

Und die Umsetzung des Prinzips fällt bis heute nicht allen nationalen Behörden leicht: Bei einer von der Parlamentarischen Ver­wal­tungs­kontrolle (PVK) in Auftrag gegebene Befragung 2019 gaben 44 Prozent der antwortenden Medienschaffenden an, dass sie im Rahmen ihrer Arbeit bei der Informationsbeschaffung in der Bundesverwaltung auf Hindernisse gestossen seien. Es herrsche «ein gewisses Misstrauen gegenüber den Medien», gaben sie an, es fehle «eine Kultur der Transparenz» und gegenüber Medien werde «grundsätzlich eine abwehrende Haltung eingenommen». Manche der Befragten sagten zudem, sie hätten Informationen erst erhalten, als sie formell auf das Öffentlichkeitsgesetz hingewiesen hätten.

Der Verein Öffentlichkeitsgesetz.ch setzt sich seit Jahren für das Öffentlichkeitsprinzip und dessen konsequente Anwendung in der Verwaltung ein. Er dokumentiert auf seiner Webseite viele Fälle, in denen Journalistinnen und Journalisten mit Hilfe des Gesetzes an Informationen herangekommen sind, die sie dann zu Beiträgen verarbeitet haben. Die Themen-Palette reicht dabei weit, von der mangelnden IT-Sicherheit beim Bund über zu hohe Radon-Werte in Schwyzer Schulhäusern bis hin zu sehr grossen Lohnunterschieden zwischen den Gemeindepräsidenten in der Westschweiz.

Die von Öffentlichkeitsgesetz.ch dokumentierten Fälle betreffen nicht nur den Bund, sondern auch Kantone und Gemeinden. Denn in der föderalistischen Schweiz entscheiden die einzelnen Kantone, ob sie das Öffentlichkeitsprinzip einführen oder nicht. Pionier auf Kantonsebene war Bern; hier wurde das Öffentlichkeitsprinzip bereits1995 eingeführt, elf Jahre vor dem nationalen Gesetz. Ein Jahr später folgte Appenzell Ausserrhoden, und ab 2000 kamen jährlich mehr Kantone dazu. Doch bis heute haben fünf Kantone das Öffentlichkeitsprinzip noch nicht eingeführt: Glarus, Nidwalden, Obwalden, Thurgau und Luzern. Immerhin sind in Glarus, Nidwalden, Obwalden und Thurgau entsprechende Gesetze aufgegleist, in Vernehmlassung oder in Planung. In Luzern hingegen hat das Kantonsparlament 2015 einen entsprechenden Vorstoss hoch abgelehnt.

Typisch für den Schweizer Föderalismus ist, dass jeder Kanton seine eigenen Gesetze schafft. Es gibt Kantone mit einem weit reichenden Öffentlichkeitsgesetz, andere haben eine Minimalversion eingeführt, bei anderen sind die Gemeinden vom Öffentlichkeitsprinzip ausgenommen, wieder andere haben Hürden im Bereich Kosten aufgebaut oder verlangen, dass ein «berechtigtes Interesse» geltend gemacht wird, um Einsicht zu erhalten.

RSF Schweiz bedauert, dass die Öffentlichkeitsgesetze auf nationaler und kantonaler Ebene Lücken haben und in der Praxis auch nicht immer umgesetzt werden. Die Transparenz der Verwaltung ist untrennbar mit der Informationsfreiheit und einer unabhängigen und kritischen journalistischen Arbeit verbunden. Zudem ist es von grundlegender Bedeutung, dass sich jeder Bürger, jede Bürgerin selbst und direkt bei der Verwaltung Informationen beschaffen kann. Das schafft Vertrauen.

Bettina Büsser, Koordinatorin Deutschschweiz von RSF Schweiz

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