Die von Reporter ohne Grenzen (RSF) veröffentlichte 20. Rangliste der Pressefreiheit zeigt eine zweifache Polarisierung: die Polarisierung der Medien, die zu Spaltungen innerhalb der Länder führt, sowie die Polarisierung zwischen Ländern auf internationaler Ebene. Verstärkt werden diese Tendenzen durch das Informationschaos.

Die Ausgabe 2022 der Rangliste der Pressefreiheit, die den Zustand des Journalismus in 180 Ländern und Gebieten bewertet, hebt die katastrophalen Auswirkungen des Nachrichten- und Informationschaos hervor – die Auswirkungen eines globalisierten und unregulierten digitalen Informationsraums, der Fake News und Propaganda begünstigt.

In demokratischen Gesellschaften verstärken sich die Spaltungen infolge der Verbreitung von Meinungsmedien nach dem «Fox-News-Modell» und der Ausbreitung von Desinformationskreisläufen, die durch die Funktionsweise der sozialen Medien noch verstärkt werden. Auf internationaler Ebene werden die Demokratien durch die Asymmetrie zwischen offenen Gesellschaften einerseits und despotischen Regimes andererseits geschwächt; Letztere kontrollieren ihre Medien und Plattformen und führen gleichzeitig Propagandakriege gegen die Demokratien. Die Polarisierung auf diesen beiden Ebenen führt zu wachsenden Spannungen.

Die Invasion der Ukraine (Rang 106) durch Russland (Rang 155) Ende Februar ist sinnbildlich für dieses Phänomen, da dem physischen Konflikt ein Propagandakrieg vorausging. China (Rang 175), eines der repressivsten autokratischen Regimes der Welt, nutzt sein gesetzgeberisches Arsenal, um seine Bevölkerung einzuschränken und vom Rest der Welt abzuschneiden, insbesondere die Bevölkerung von Hongkong (Rang 148), das in der Rangliste stark zurückgefallen ist. Die Konfrontation zwischen «Blöcken» nimmt zu, wie zwischen Indien (Rang 150) unter dem nationalistischen Narendra Modi und Pakistan (Rang 157). Der Mangel an Pressefreiheit im Nahen Osten wirkt sich weiterhin auf den Konflikt zwischen Israel (Rang 86), Palästina (Rang 170) und den arabischen Staaten aus.

In demokratischen Gesellschaften wird die Polarisierung in den Medien durch innere soziale Spaltungen verstärkt. Dies geschieht zum Beispiel in den USA (Rang 42), trotz der Wahl des Demokraten Joe Biden zum Präsidenten. Die Zunahme sozialer und politischer Spannungen wird durch soziale Medien und neue Meinungsmedien angeheizt, insbesondere in Frankreich (Rang 26). In einigen «illiberalen Demokratien» ist die Unterdrückung der unabhängigen Presse ein Faktor, der zu einer intensiven Polarisierung führt. In Polen (Rang 66) etwa haben die Behörden die Kontrolle über den öffentlichen Rundfunk und ihre Strategie der «Re-Polonisierung» der privaten Medien gefestigt.

Das Trio der nordischen Länder an der Spitze der Rangliste – Norwegen, Dänemark und Schweden – dient weiterhin als demokratisches Modell, in dem die Meinungsfreiheit floriert. Moldawien (Rang 40) und Bulgarien (Rang 91) stechen in diesem Jahr beide dank eines Regierungswechsels und der damit verbundenen Hoffnung auf eine Verbesserung der Situation für Medienschaffende hervor, auch wenn die Medien dort immer noch hauptsächlich in Besitz von Oligarchen sind oder von ihnen kontrolliert werden.

In einer Rekordzahl von 28 Ländern wird die Situation in der diesjährigen Rangliste als «sehr schlecht» eingestuft. Neu auf die rote Liste der Rangliste gerückt sind insgesamt zwölf Länder, darunter Belarus (Rang 153) und Russland (Rang 155). Zu den am schlechtesten klassierten Ländern gehören Myanmar (Rang 176), wo der Staatsstreich vom Februar 2021 die Pressefreiheit um 10 Jahre zurückgeworfen hat, sowie China (Rang 175), Turkmenistan (Rang 177), Iran (Rang 178), Eritrea (Rang 179) und Nordkorea (Rang 180).

Christophe Deloire, Generalsekretär von RSF International, sagte: «Margarita Simonyan, die Chefredaktorin von Russia Today, hat in einer Sendung von Russia One TV offenbart, was sie wirklich denkt, als sie sagte: ‘Keine grosse Nation kann ohne die Kontrolle über Informationen existieren’. Die Aufrüstung der Medien in autoritären Ländern macht das Recht ihrer Bürger auf Information zunichte, ist aber auch eine Begleiterscheinung der zunehmenden Spannungen auf internationaler Ebene, die zu den schlimmsten Kriegen führen können. Innenpolitisch stellt die ‘Fox-Newsisierung’ der Medien eine fatale Gefahr für die Demokratien dar, weil sie die Grundlagen der zivilen Eintracht und einer toleranten öffentlichen Debatte untergräbt. Angesichts dieser Fehlentwicklungen müssen wir dringend die richtigen Entscheidungen treffen, indem wir einen ‘New Deal’ für den Journalismus fördern, wie er vom Forum für Information und Demokratie vorgeschlagen wurde, und einen angemessenen Rechtsrahmen verabschieden, der insbesondere ein System zum Schutz der demokratischen Informationsräume beinhaltet.»

Neue Methode zur Erstellung der Rangliste

Anlässlich der 20. Ausgabe der Rangliste der Pressefreiheit hat RSF in Zusammenarbeit mit einem Komitee von sieben Expertinnen und Experten* aus dem akademischen und dem medialen Bereich eine neue Methodik zur Erstellung der Rangliste entwickelt.

Die neue Methodik definiert Pressefreiheit als «die effektive Möglichkeit für Journalisten, als Einzelpersonen und als Gruppen, Nachrichten und Informationen im öffentlichen Interesse auszuwählen, zu produzieren und zu verbreiten, unabhängig von politischer, wirtschaftlicher, rechtlicher und sozialer Einmischung und ohne Bedrohung ihrer physischen und psychischen Sicherheit». Um der Komplexität der Pressefreiheit Rechnung zu tragen, werden fünf Indikatoren für die Erstellung der Rangliste herangezogen: politischer Kontext, rechtlicher Rahmen, wirtschaftlicher Kontext, soziokultureller Kontext und Sicherheit.

In den 180 Ländern und Gebieten, die von RSF eingestuft wurden, werden die Indikatoren auf der Grundlage einer quantitativen Erhebung von Übergriffen gegen Journalist*innen und Medien bewertet. Zur Bewertung hinzu kommen die Resultate einer qualitativen Studie, die auf den Antworten Hunderter von RSF ausgewählter Expert*innen für Pressefreiheit (Journalist*innen, Akademiker*innen und Menschenrechtsaktivist*innen) auf einen Fragebogen mit 123 Fragen basiert. Dieser Fragebogen wurde aktualisiert, um neuen Herausforderungen besser Rechnung zu tragen, insbesondere im Zusammenhang mit der Digitalisierung der Medien.Aufgrund dieser methodischen Entwicklung sind Vergleiche der Rangfolge und der Punktzahl zwischen 2021 und 2022 mit Vorsicht zu geniessen. Die Datenerhebung für die diesjährige Rangliste wurde Ende Januar 2022 eingestellt, aber für Länder, in denen sich die Situation dramatisch verändert hat (Russland, Ukraine und Mali), wurden Aktualisierungen für Januar bis März 2022 vorgenommen.

Die gesamte Rangliste können Sie hier anschauen RSF_Rangliste der Pressefreiheit 2022

 

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