Die Redaktion der Tribune de Genève hat kürzlich einen Brief des ungarischen Botschafters in Bern, István Nagy, erhalten. Darin wird eine Entschuldigung der Redaktion für mehrere Artikel, die in der Tribune de Genève und in 24 heures erschienen sind, gefordert. Das internationale Sekretariat von Reporter ohne Grenzen (RSF) in Paris hat nun bekanntgegeben, dass ungarische Diplomaten in Österreich, Finnland und Schweden ähnliche Schritte gegen dortige Medien unternommen haben. Es prangert an, hier handle es sich um eine Einschüchterungsaktion gegen ausländische Medienkorrespondenten in Ungarn, die zu dem Druck hinzukomme, der bereits auf die ungarischen Medien ausgeübt wird.

RSF Schweiz verurteilt die Intervention des ungarischen Botschafters scharf; sie verstösst gegen die Pressefreiheit und zielt auf eine abschreckende Wirkung auf die Korrespondentinnen und Korrespondenten von Schweizer Medien in Ungarn ab.

Der Brief an die Tribune de Genève trägt das Datum vom 28. Mai und greift insbesondere vier Artikel an, die zwischen Ende März und Mitte Mai veröffentlicht wurden und thematisieren, wie Viktor Orban während der Pandemie die Notstandsgesetzgebung nutzte, um Kritiker zum Schweigen zu bringen. Der Botschafter ist der Ansicht, eine solche Darstellung der Fakten verlange nach einer «Entschuldigung» der Zeitung. RSF Schweiz muss daran erinnern, dass sich ein Medienunternehmen nicht bei einer Regierung entschuldigen muss, weder bei der schweizerischen noch bei einer ausländischen, insbesondere dann nicht, wenn das Land, wie Ungarn, wiederholt kritisiert wird.

«Nachdem die ungarische Regierung die Pressefreiheit in Ungarn eingeschränkt hat, möchte sie nun ausländische Medien zum Schweigen bringen», kommentiert Pavol Szalai, Leiter des Büros EU/Balkan von RSF International: «Inhalt und Ton dieser Forderungen nach Entschuldigung machen sie zu einer inakzeptablen Einschüchterungsaktion, die eine abschreckende Wirkung auf ausländische Redaktionen und ihre Korrespondenten in Ungarn befürchten lässt.»

In Ungarn wurde am 16. Juni das Ende des Ausnahmezustands beschlossen. Dennoch beeinträchtigen die von den Behörden unter dem Vorwand der Bekämpfung des Coronavirus ergriffenen Massnahmen die unabhängigen Medien des Landes, die bereits stark geschwächt sind. Die von RSF angeprangerte Androhung von Gefängnisstrafen von bis zu fünf Jahren für die Verbreitung «falscher Informationen» über das Coronavirus hatte auf Journalisten, aber auch auf ihre Quellen, insbesondere das Gesundheitspersonal, eine eindeutig einschüchternde Wirkung. Dasselbe gilt für die spektakuläre Verhaftung von zwei Rentnern, darunter einem lokaler Oppositionsaktivisten, die auf einer Polizeiwebseite gezeigt wurde. Die beiden wurden wegen ihrer kritischen Facebook-Beiträge über das Vorgehen der Regierung verhaftet.

Ungarn liegt in der RSF-Rangliste der Pressefreiheit auf Rang 89 von 180 Ländern.

Lesen Sie auch das Communiqué des Internationalen Sekretariats von RSF (in Englisch) zu den Briefen der ungarischen Diplomaten.

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