Editorial

Da die Aussicht auf eine Auslieferung von Julian Assange an die USA bedrohlich immer näher rückt, hat unsere Organisation eine neue Kampagne zur Unterstützung des WikiLeaks-Gründers gestartet, diesmal im Herzen der amerikanischen Macht. Letzte Woche fuhr ein Lastwagen in den Farben von RSF durch die Hauptstadt der Vereinigten Staaten und hielt vor den symbolträchtigen Orten der Macht: dem Weissen Haus, dem Kapitol, dem Justizministerium, dem Aussenministerium, der australischen und der britischen Botschaft in Washington. Es wurden Botschaften an die Öffentlichkeit gesendet, um zu erklären, warum in den Augen von RSF die Auslieferung von Assange an die USA und seine Anklage vor US-Gerichten eine Gefahr für den Journalismus und das Recht auf Information darstellen.

Gleichzeitig traf sich Rebecca Vincent, Kampagnenleiterin von RSF International, gemeinsam mit unseren Kollegen des RSF-Teams in den USA mit Vertretern der Regierung, des Parlaments und anderen Interessengruppen, um klar und deutlich die Botschaft zu verbreiten: Auch wenn sich das Auslieferungsverfahren in London gefährlich seinem Abschluss nähert, haben es die USA noch in ihren Händen, die ganze Sache zu beenden und Julian Assange freizulassen, indem sie ganz einfach auf die Forderung nach seiner Auslieferung verzichten und das Verfahren einstellen.

Weitergabe von Staatsgeheimnissen

Abgesehen von der unmenschlichen Behandlung, der er ausgesetzt ist – er wird seit mehr als zehn Jahren seiner Freiheit beraubt, unter Bedingungen, die seine physische und psychische Gesundheit schwer beeinträchtigen – betreffen die Gerichtsverfahren gegen ihn grundlegende Fragen der Informationsfreiheit. Die gegen ihn erhobenen Anklagepunkte könnten genauso gut gegen Journalistinnen und Journalisten erhoben werden, und diese könnten sich nicht besser verteidigen als der Gründer von WikiLeaks.

Dieser wird wegen der Weitergabe von Staatsgeheimnissen angeklagt, und der aus dem Jahr 1917 stammende Espionage Act sieht keine Ausnahmen vor, wenn die enthüllten Informationen von unbestreitbarem öffentlichem Interesse sind. Die Tatsache, dass zu den WikiLeaks-Enthüllungen auch das Video der Bordkamera eines US-Armee-Hubschraubers in Bagdad gehörte, der unter anderem das Feuer auf Verwundete eröffnete und mehrere Menschen tötete, darunter zwei Reporter von Reuters und zwei Kinder, spielt daher keine Rolle.

Die Verfolgung von Julian Assange – obwohl er selbst an keinerlei Geheimhaltungspflichten gegenüber der US-Armee oder der US-Regierung gebunden war und kein US-Bürger ist – stellt einen gefährlichen Präzedenzfall für Journalistinnen und Journalisten wie auch für die Informationsfreiheit dar. Aus diesem Grund setzt sich RSF seit mehreren Jahren für die Freilassung von Assange ein, dem im Falle einer Auslieferung eine Höchststrafe von 175 Jahren Haft droht. Das bedeutet im Klartext für ihn, sein Leben im Gefängnis zu beenden, weil er Geheimnisse enthüllt hat, die für die grösste Weltmacht unbequem sind.

Denis Masmejan, Generalsekretär von RSF Schweiz

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