Editorial

 

Am 12. März sprach die Freiburger Justiz den Journalisten Jean-Marc Angéloz frei, der vom Generalstaatsanwalt des Kantons Freiburg angeklagt worden war, weil er den ehemaligen Staatsrat Georges Godel «angestiftet» habe, das Amtsgeheimnis zu verletzen. Angéloz hatte Godel ((Foto Keystone/Jean-Christophe Bott), als dieser noch im Amt war, angefragt, ob dieser mit ihm eine Reihe von Vier-Augen-Gesprächen führen würde und bereit sei, über seinen Alltag als gewählter Vertreter in einer kantonalen Regierung zu berichten. Godel stimmte zu. Er konnte die Abschrift dieser Gespräche später gegenlesen, und ihm wurde ein Rückzugsrecht vorbehalten, insbesondere, falls er im Nachhinein feststellte, dass er das Amtsgeheimnis verletzt hatte.

Jean-Marc Angéloz schrieb ein Buch über diese Gespräche (Secrets et confidences d’un président, Editions Cliodoc), und nach dessen Veröffentlichung begann der Ärger für ihn. Der Staatsanwalt verklagte sowohl ihn wie Godel und befand die beiden Männer für schuldig: Angéloz der Anstiftung zur Verletzung des Amtsgeheimnisses, Godel der Verletzung des Amtsgeheimnisses. Letzterer legte keinen Einspruch gegen die ihn verurteilende Entscheidung des Staatsanwalts ein, während der Journalist sie vor Gericht anfocht.

Man kann sich nur freuen, dass der Richter Jean-Marc Angéloz auf der ganzen Linie entlastet hat. Die Pressefreiheit, so erkannte der Polizeirichter des Saane-Bezirks unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, erlaube es nicht, die Bestimmungen des Strafgesetzbuchs, die «Anstiftung» definieren, unverändert auf Journalisten anzuwenden. Andernfalls würde man sie an der Ausübung ihres Berufs hindern. Im vorliegenden Fall ist es unmöglich anzunehmen, dass der Journalist den Magistraten «angestiftet» hat, das Amtsgeheimnis zu verraten, da er keine Tricks oder Druckmittel eingesetzt hat, um Godel dazu zu bringen, sich ihm anzuvertrauen. Dies wird dadurch belegt, dass der Staatsrat die Möglichkeit hatte, gewisse seiner Aussagen nochmals zu lesen und, falls nötig, zurückzuziehen, sollte sich herausstellen, dass sie unter das Amtsgeheimnis fallen.

Ein glückliches Ende also. Aber wie viele Anwaltsstunden mussten bezahlt werden, um dieses Ergebnis zu erreichen? Wie kann man sich nicht wundern, wenn die Schweiz zwar im Europarat an der Ausarbeitung von Regeln gegen Knebelverfahren (SLAPP, Strategic law suits against public participation) beteiligt ist, der Staat aber gleichzeitig auf einer falsch interpretierten und falsch verstandenen Rechtsgrundlage Unterstützung bei der Verfolgung eines Journalisten leistet? Wie könnte man nicht denken, dass in diesem Fall, wie leider auch in anderen, nicht nur mächtige Geschäftsleute oder multinationale Konzerne mit nahezu unbegrenzten Ressourcen versuchen, die Medien zu knebeln, sondern auch der Staat selbst?

Die Debatte zum Thema SLAPPs hat in der Schweiz gerade erst begonnen. Wagen wir es zu sagen: Die Sensibilität der Politikerinnen und Politiker für dieses Thema ist derzeit noch gering. Es muss noch viel Arbeit geleistet werden. Aus diesem Grund hat RSF Schweiz beschlossen, sich mit einer breiten NGO-Koalition, der Schweizer Allianz gegen SLAPP, zusammenzuschliessen, um die Diskussion über dieses Thema voranzutreiben.

Die Schweiz belegt zwar einen beneidenswerten Platz in der von RSF jährlich veröffentlichten Weltrangliste der Pressefreiheit (Platz 12 von 180 Ländern im Jahr 2023). Der Wert, der dabei die Qualität des rechtlichen Umfelds misst, ist jedoch enttäuschend – hier belegt die Schweiz nur Platz 37 der Rangliste und hat sich in den letzten Jahren verschlechtert. Die Schweiz liegt in diesem Bereich weit hinter Deutschland (9.), Frankreich (22.) und Italien (27.) zurück. Diese Zahlen müssen uns aufhorchen lassen. Die Gesetze in der Schweiz sind auf dem besten Weg, zu werden. Wir müssen einen Weg finden, um diesen Trend umzukehren.

Denis Masmejan, Generalsekretär von RSF Schweiz

 

 

 

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