Editorial

Das Jahr 2020 neigt sich dem Ende zu, die Pandemie geht weiter. Diese Krise stellt den Journalismus und die Medien weiterhin auf eine harte Probe. Die erste Welle hatte gezeigt, wie wichtig freie, unabhängige und kritische Informationen sind. Das Medienpublikum hatte mit rekordhohen Zugriffen bewiesen, wie stark es verlässliche Informationen wollte, um mit offenen Augen durch diese Krise gehen zu können. Die zweite Welle liess jedoch mehr Raum für Fragen, manchmal leider auch für verbale Übergriffe und Hass auf Journalisten und Medien.

Haben diese ihre Arbeit gut gemacht, waren sie kritisch genug, insbesondere in Bezug auf die von den Behörden auferlegten Massnahmen? Diese Fragen rechtfertigen in keiner Weise die Aggressivität und die Verbreitung von Verschwörungstheorien, deren Zeuge wir sind, aber sie verdienen sicherlich eine Debatte. Es geht dabei um das wesentliche Verhältnis zwischen dem Journalismus und dem Publikum.

Das ganze Jahr über haben wir von RSF Schweiz extrem aufmerksam auf alles geachtet, was die Ausübung der Pressefreiheit bedroht. Wir haben entsprechend reagiert, öffentlich oder nicht. Und der Eindruck, den wir am Ende dieser aussergewöhnlichen Monate haben, ist der von Zerbrechlichkeit. Ich spreche noch nicht einmal von den autoritären Regimes, die, nicht überraschend, die Krise ausnutzten, um Informationen zu unterdrücken. Ich spreche von uns, von unseren Demokratien.

Ja, in Krisenzeiten ist die Informationsfreiheit auch in Europa, selbst in der Schweiz, zerbrechlich. Weil der Zugang zu Informationen plötzlich schwieriger geworden ist. Weil bestimmte Behörden fanden, sie müssten ihre Informationspolitik einschränken. Weil plötzlich der Rahmen der Rechtsstaatlichkeit auf den Kopf gestellt wurde – die Gründe dafür stelle ich nicht in Frage, aber es ist eine Tatsache, dass die Maschen des Netzes, das die individuellen Freiheiten schützt, plötzlich viel weiter geworden sind.

Die Informationsfreiheit hat sich auch deshalb als fragil erwiesen, weil sie zu einem grossen Teil von den privaten Medien abhängt, die von einer unerbittlichen Wirtschaftskrise hart getroffen wurden. Angesichts dieser Katastrophe kann der Staat nicht tatenlos zusehen. Die Qualität des demokratischen Lebens ist direkt abhängig von starken und vielfältigen Medien. Eine stärkere Medienförderung ist dringend erforderlich. Sie darf aber auf keinen Fall nicht als Vorwand für eine verstärkte Intervention des Staates in die redaktionelle Freiheit der unterstützten Medien genutzt werden. Wir werden in diesem Newsletter Gelegenheit haben, auf dieses Thema zurückzukommen, denn einige der Signale aus dem Bundesparlament sind beunruhigend.

Denis Masmejan, Generalsekretär RSF Schweiz

 

 

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