Am 1. April entdeckten drei ukrainische Polizisten in einem Wald nördlich von Kiew, unweit des Dorfes Moschtchun, die Leiche des 40-jährigen Maks Levin. Er war einer der erfahrensten ukrainischen Kriegsfotoreporter und eine der führenden Persönlichkeiten seines Berufs (AP Photo/Inna Varenytsia).

Bereits am Vortag, dem 31. März, war am gleichen Ort das ausgebrannte Wrack von Levins Ford Maverik entdeckt und anhand des Nummernschilds identifiziert worden. Neben dem Wagen lag ein halbverbrannter Körper. Es handelte sich um den später identifizierten Oleksij Tschernyschow, einen mit Maks befreundeten Soldaten, der ihn an diesem Tag zu seiner Sicherheit begleitet hatte.

Levins Körper wies drei Einschusslöcher auf, eines am Oberkörper und zwei am Kopf. Der Fotoreporter war in Zivil gekleidet und trug, wie es den Anweisungen für Journalisten entspricht, eine blaue Armbinde, die derjenigen ähnelt, die ukrainische Soldaten tragen. Tschernyschow trug Militärkleidung.

Die Angehörigen von Maks Levin und Oleksij Tschernyschow hatten seit dem 13. März nichts mehr von ihnen gehört. Das letzte Lebenszeichen, das Maks› Lebensgefährtin erhielt, war eine Sprachnachricht, die um 11.23 Uhr an diesem Tag hinterlassen wurde.

Die beiden Männer waren aufgebrochen, um erneut zu versuchen, die Drohne zu bergen, die Levin für seine Arbeit benutzte, heisst es in dem Bericht, den Reporter ohne Grenzen (RSF) International nach dem Einsatz einer Untersuchungsmission vor Ort vom 24. Mai bis 3. Juni veröffentlicht hat.

Batteriedefekt

Die Drohne war einige Tage zuvor aufgrund eines Batteriedefekts in den Wald gestürzt und unauffindbar geblieben. Das entsprechende Gebiet befand sich in unmittelbarer Nähe der Kampfhandlungen, denn die Russen hatten damals ihre Offensive auf Kiew noch nicht abgebrochen und die Kämpfe in der Region waren aussergewöhnlich heftig.

Die ukrainische Justiz eröffnete eine Untersuchung des Todes der beiden Männer, die sie gemeinsam mit dem Internationalen Strafgerichtshof durchführt, um festzustellen, ob möglicherweise ein Kriegsverbrechen begangen wurde. Um einen Beitrag zu den offiziellen Ermittlungen zu leisten, versuchte RSF vor Ort, die Fakten zu rekonstruieren und Informationen zu sammeln, um diese an die zuständigen Justizbehörden weiterzuleiten.

Neben mehreren Angehörigen von Maks Levin gehörte der RSF-Delegation unter anderem Arnaud Froger an, der im internationalen Sekretariat der Organisation für die Ermittlungen zuständig ist. Ausserdem war der bekannte Fotoreporter Patrick Chauvel Teil der Delegation; RSF hat eben einen Bildband veröffentlicht, der Fotos Chauvels aus seiner 50jährigen Tätigkeit an vielen Konfliktherden der Welt zeigt. Chauvel wollte unbedingt an dieser Mission teilnehmen. Ende Februar, in den ersten Tagen des Krieges, hatte Levin ihm als «Fixer» gedient. «Fixer» sind die unentbehrlichen lokalen Helfer, ohne die ausländische Reporter in einem Konfliktgebiet kaum arbeiten können.

Ein Benzinkanister

Am 28. Mai erreichte die Delegation nach einem ersten erfolglosen Versuch zwei Tage zuvor endlich den Ort im Wald, an dem die beiden Leichen gefunden worden waren. Dort lag das ausgebrannte Wrack des Autos, das von 14 Einschusslöchern durchsiebt war. Die Spuren dieser Schüsse an den umliegenden Bäumen lassen darauf schliessen, dass das Fahrzeug stand, als es getroffen wurde. Im Inneren des Fahrzeugs wurden zwei Projektile gefunden, eines mit einem Durchmesser von 5,45 Millimetern, dem Kaliber der Kalaschnikow, mit der die russischen Truppen ausgerüstet sind, das andere mit einem grösseren Durchmesser, das zu den Waffen der russischen Spezialeinheiten passen könnte. Neben dem Auto, in der Nähe der Stelle, an der der verbrannte Körper von Tschernyschow lag, befand sich ein Benzinkanister.

Anhand von Fotos, die bei der Entdeckung der Leiche von Maks Levin vor fast zwei Monaten aufgenommen wurden, konnte das RSF-Team die Stelle 17 Meter hinter dem Fahrzeug genau lokalisieren. Genau an dieser Stelle steckte 15 Zentimeter tief im Boden eine 5,45er-Projektil.

Dies deutet darauf hin, «dass er wahrscheinlich mit einer oder zwei Kugeln aus kurzer Entfernung erschossen wurde, als er bereits am Boden lag», so die Autoren des RSF-Berichts, die am Ort des Geschehens oder in dessen unmittelbarer Nähe auch Spuren von russischer Truppenpräsenz – Lebensmittelverpackungen und Plastikbesteck – gefunden haben.

Zwei Szenarien

Alle vor Ort gesammelten und eingesehenen Informationen lassen die Autoren des Berichts zu dem Schluss kommen, dass die beiden Männer kaltblütig hingerichtet wurden, wobei zwei Szenarien denkbar sind. Nach dem ersten Szenario wurden die beiden Männer, die sich mit ihrem Auto in einen Wald begeben hatten, ohne zu bemerken, dass dieser bereits von russischen Truppen gehalten wurde, von diesen ins Visier genommen und erschossen. Nach dem zweiten Szenario wurde ihr Auto an einer Kreuzung im Wald abgefangen, dann wurde Oleksij Tschernyschow entwaffnet, die beiden Männer wurden ein Stück weiter gefahren, zum Aussteigen gezwungen, getrennt verhört und dann erschossen, wobei Tschernyschow möglicherweise bei lebendigem Leib verbrannt wurde, wie die Lage seines Körpers vermuten lässt.

Maks Levin war an dem Tag, an dem er getötet wurde, unbewaffnet. Die von RSF gesammelten Zeugenaussagen sind einstimmig: Der Fotoreporter gehörte nie einer militärischen Einheit an, und wenn er eine Drohne benutzte, dann nur, um im Rahmen seiner Informationsarbeit die Invasion der russischen Truppen zu dokumentieren. Er lieferte zwar gelegentlich Bilder an die ukrainischen Streitkräfte, doch der Einsatz seiner Drohne «erfolgte in erster Linie aus journalistischen Gründen, wie sein Umfeld bestätigte und wie die Bilder zeigen, die seit Beginn der russischen Invasion an die Medien verkauft wurden», stellt RSF im Bericht fest.

Das letzte Bild, das er mit seiner Drohne aufgenommen hatte, bevor er sie verlor, zeigt, wie die Russen die Häuser besetzten und ihre Panzer in unmittelbarer Nähe dazu oder in den Höfen der Häuser stationierten, um diese als zivile Schutzschilde gegen ukrainischen Beschuss zu nutzen. Das Bild war von schlechter Qualität. Maks Levin freute sich wahrscheinlich darauf, seine Drohne wiederzufinden, um bessere Bilder aufzunehmen.

Denis Masmejan, Generalsekretär von RSF Schweiz

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