Er ist 33 Jahre alt, er ist Journalist und er ist Kurde. Bis letztes Jahr übte er seinen Beruf in der Türkei aus. Heute lebt Mehmet Ferhat Çelik als Flüchtling in der Schweiz. Im November 2022 beschloss der 2015 gegründete Unterstützungs- und Solidaritätsfonds von RSF Schweiz, ihn finanziell zu unterstützen, damit er seinen Beruf als Journalist soweit wie möglich weiterhin ausüben kann.
Er war Chefredakteur der pro-kurdischen Zeitung Yeni Yasam, was «Neues Leben» bedeutet. Seine Situation war, wie diejenige vieler seiner Landsleute, schwierig und vor allem gefährlich. 2020 wurde er zusammen mit fünf anderen Journalisten festgenommen und für fünf Monate inhaftiert.
«Deswegen verhaftet man niemanden»
Die sechs Journalisten wurden strafrechtlich verfolgt, weil sie angeblich die Identität eines Agenten des türkischen Geheimdienstes verraten und damit die Sicherheit des Staates gefährdet hätten. In Wirklichkeit war die Preisgabe der Identität bereits früher geschehen und nicht durch die Medien: Der Name des Agenten war während einer Parlamentsdebatte genannt worden.
«Deswegen verhaftet man niemanden. Es waren nicht wir, die die Identität des Agenten enthüllt haben. Aber mir wurde klar, dass ich verhaftet werden würde, als ich erfuhr, dass Präsident Recep Tayyip Erdoğan während des Rückflugs von Moskau, wo er sich mit Wladimir Putin getroffen hatte, mehreren Journalisten gegenüber erklärt hatte, dass die Autoren dieser Artikel ins Gefängnis gebracht werden sollten.»
RSF hatte den fadenscheinigen Vorwand für diese Inhaftierungen angeprangert. Mehmet Ferhat Çelik wurde dennoch zu vier Jahren und acht Monaten Gefängnis verurteilt. Daraufhin entschied er sich, aus seinem Land zu fliehen. Er kam am 19. November 2021 in die Schweiz und erhielt Asyl. Heute lebt er in Zürich.
Massive Haftstrafen
Sein Weg ist sinnbildlich für die Situation der Pressefreiheit in der Türkei. Das Land belegt auf der jährlich von RSF veröffentlichten Rangliste der Pressefreiheit den 149. Platz von 180 Ländern. Diskriminierende Praktiken, Knebelverfahren und massive Haftstrafen für Journalistinnen und Journalisten sind üblich in einem Land, in dem die überwiegende Mehrheit der Medien vom Erdoğan-Regime in die Schranken gewiesen wurde. In den letzten Jahren haben mehrere Journalisten die Ausübung ihres Berufs mit ihrem Leben bezahlt, doch diese Verbrechen bleiben häufig ungestraft.
Für kurdische Journalisten ist die Situation besonders heikel. «Für türkische Journalisten ist es schwierig, in die kurdischen Gebiete zu reisen. Aber für kurdische Journalisten, die dort arbeiten, ist die Gefahr permanent, die Verhaftungen alltäglich. Ich wurde bereits mehrmals in kurdischen Städten verhaftet, in denen ich mich als Journalist aufhielt.»
Das Regime versucht so, die Medien bei heiklen Themen zum Schweigen zu bringen. «Wir sprechen über Kriegsverbrechen, die von der Türkei begangen wurden. Wir waren es, die zuerst über das Massaker von Roboski berichteten. Einen Tag lang erschien nichts darüber in den übrigen türkischen Medien.» Am 28. Dezember 2011 bombardierte die türkische Luftwaffe die Umgebung des Dorfes Roboski an der irakischen Grenze und tötete 34 Zivilisten, darunter 19 Minderjährige.
Bevor er für Yeni Yasam arbeitete, hatte Mehmet mehrere Jahre lang für Nachrichtenagenturen gearbeitet, unter anderem für Mezopotamya und Dicle News. Als er sein Land verliess, musste er de facto die Leitung seiner Zeitung abgeben, auch wenn er offiziell nach wie vor deren Chefredaktor ist. Er engagiert sich jedoch weiterhin täglich für die Zeitung, tauscht sich mit seinen Kollegen in der Türkei aus, reagiert auf aktuelle Ereignisse und schlägt Themen vor. «Es ist hart, aber ich mache weiter. Ich bemühe mich auch, mich hier zu integrieren, ich lerne Deutsch.»
«Seit den Kommunalwahlen 2019 hat sich die Spirale der Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten, die dem Regierungsbündnis (AKP-MHP) kritisch gegenüberstehen, immer weiter verstärkt. Nun, da die Wahlen 2023 näher rücken, greifen ultranationalistische Gruppen, ermutigt durch die politische Rhetorik gegen die Presse, auf offener Strasse Reporter, Leitartikler, Kommentatoren oder Bürgerjournalisten an, die über politische Angelegenheiten berichten und die Wirtschaftskrise thematisieren.»
RSF-Weltrangliste der Pressefreiheit
Denis Masmejan, Generalsekretär von RSF Schweiz