Der russische Präsident Wladimir Putin feierte am 7. Oktober seinen 70. Geburtstag. Reporter ohne Grenzen (RSF) International blickt zu diesem Anlass auf die Verfolgung von Journalisten während der 22-jährigen «Regentschaft» dieses Verfolgers der Pressefreiheit zurück.

«Wladimir Putin feierte seinen 70. Geburtstag, aber für die unabhängige Presse, die buchstäblich am Rande der Auslöschung steht, gibt es keinen Grund zum Feiern», so Jeanne Cavelier, Leiterin der Abteilung Osteuropa und Zentralasien von RSF International: «Als er zu Beginn des 21. Jahrhunderts Präsident wurde, hatte Russland noch eine pluralistische Medienlandschaft und ein fortschrittliches Mediengesetz. 22 Jahre später ist es zu einem der gefährlichsten Länder der Welt für Journalistinnen und Journalisten geworden; sie sind gezwungen, sich zu verstecken oder zu fliehen, um ihren Beruf auszuüben, oder sich selbst zu zensieren, um nicht verhaftet zu werden, weil sie sich weigern, mit den Behörden zu kooperieren.»

37 Journalistinnen und Journalisten wegen ihrer Arbeit getötet

Die Straffreiheit für Gewaltverbrechen gegen Medienschaffende hat sich seit der Wahl Putins zum Präsidenten im März 2000 verschlimmert. Fast 40 von ihnen haben ihr Leben im Zusammenhang mit ihrer Arbeit verloren. Zu den prominentesten Opfern gehört Anna Politkowskaja, die am 7. Oktober 2006 in ihrem Wohnhaus erschossen wurde. Sie war bekannt für ihre Berichterstattung über die Kriege in Tschetschenien für die Moskauer Enthüllungszeitung Nowaja Gaseta, die von Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow 2021 mitbegründet wurde und vor kurzem per Gerichtsbeschluss geschlossen wurde. Nowaja Gaseta ist zum Symbol für den Kampf für die Pressefreiheit in Russland geworden. Nicht weniger als fünf ihrer Mitarbeitende wurden in den letzten zwei Jahrzehnten ermordet.

43 Kriegsverbrechen gegen Medien

Der Krieg des Kremls in der Ukraine ist auch ein Informationskrieg, in dem die Medien an vorderster Front stehen. RSF hat seit Beginn der Invasion am 24. Februar bereits 43 Kriegsverbrechen der russischen Streitkräfte auf ukrainischem Gebiet dokumentiert, die sich gegen mehr als 100 Journalistinnen und Journalisten sowie gegen elf Fernsehtürme richteten. Acht Medienschaffende wurden getötet und 17 verletzt (siehe unsere Karte). RSF hat sieben Klagen beim Internationalen Strafgerichtshof und beim Generalstaatsanwalt der Ukraine eingereicht.

Mindestens 19 Journalistinnen und Journalisten im Gefängnis

Seit der Machtübernahme Putins wurden Hunderte von Medienschaffenden verhaftet, insbesondere in den letzten Jahren. Ziel ist es, Kritiker einzuschüchtern und abzuschrecken. Mindestens 19 Journalistinnen und Journalisten werden derzeit in russischen Gefängnissen festgehalten, angeklagt unter anderem unter dem Vorwand der Veröffentlichung falscher Informationen, des Drogenbesitzes oder der Finanzierung von Terrorismus. Iwan Safronow, der als einer der besten Investigativjournalisten Russlands gilt, wurde beispielsweise am 5. September zu 22 Jahren Gefängnis verurteilt, weil er angebliche «Staatsgeheimnisse» enthüllt habe – sie waren im Internet öffentlich zugänglich.

Von den 19 inhaftierten Medienschaffenden wurden sechs auf der Krim, der 2014 von Russland annektierten ukrainischen Region, verhaftet und werden auf der Krim oder in Russland aus politischen Gründen festgehalten. Manche von ihnen wurden gefoltert, so etwa Wladislaw Yesipenko, ein Reporter von Krym.realii, dem lokalen Zweig des US-Senders Radio Free Europe/Radio Liberty.

183 Medien und Medienschaffende als «ausländische Agenten» gelistet

Das Register des Justizministeriums für «ausländische Agenten» listet nun 183 Medien und Medienschaffende auf, vor Dezember 2020 waren nur ein Dutzend. Diejenigen, die in der Liste aufgeführt sind, müssen bei jeder Veröffentlichung deklarieren, dass sie «ausländische Agenten» sind. Der Status «ausländischer Agent» zielt nicht nur darauf ab, Medien und Medienschaffende den Augen ihrer Leser zu diskreditieren, sondern ist auch mit einem hohen Verwaltungsaufwand verbunden. Die Nichteinhaltung dieser Verpflichtungen wird mit Geld- oder Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren geahndet.

Mehr als 50 Gesetze zur Einschränkung der Pressefreiheit

Die Zensur hat sich unter Putin massiv weiterentwickelt, insbesondere durch die Gesetzgebung. In den letzten Jahren wurden in einem so rasanten Tempo drakonische Gesetze erlassen, dass das Parlament als «verrückte Druckerpresse» bezeichnet wurde. Locker formuliert und fast beliebig auslegbar, sind diese Gesetze eine ständige Bedrohung für Blogger und Journalisten. Infolge des starken gesetzgeberischen oder wirtschaftlichen Drucks waren viele Medien im Laufe der Jahre gezwungen, ihre Tätigkeit einzustellen. Mindestens fünf Nachrichtenseiten, darunter die investigative Website Proekt, mussten in den Monaten vor den Parlamentswahlen im September 2021 geschlossen werden.

Allein am 30. Dezember 2020 unterzeichnete Putin rund 100 Gesetze, von denen viele die Freiheit der Online-Medien und der freien Meinungsäusserung einschränken und gegen die russische Verfassung und internationale Standards verstossen. In einem Bericht über Online-Zensur in Russland von November 2019 identifizierte RSF 27 Gesetze, die zwischen 2012 und 2019 verabschiedet worden waren und die Medien direkt betreffen. Weitere 19 wurden in einer aktualisierten Version des Berichts im Juli 2021 aufgeführt. Seit dem Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 wurden ausserdem mindestens sieben «Orwellsche Gesetze» verabschiedet. Nach einem am 4. März verabschiedeten Gesetz können Journalistinnen und Journalisten zu bis zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt werden, wenn sie Informationen über die russischen Streitkräfte veröffentlichen, die nach Ansicht der Behörden «falsch» sind oder die Armee «diskreditiert» haben.

Mehr als 300 Journalistinnen und Journalisten sind geflohen

Die verschärfte Verfolgung der letzten sieben Monate hat ganze Nachrichtenorganisationen dazu gebracht, Russland zu verlassen, um im Ausland weiterarbeiten zu können. Diese Abwanderung von Medienschaffenden hatte bereits vor Februar 2022 begonnen, unter anderem mit der Gründung von Meduza in Lettland im Jahr 2014, aber sie hat sich seitdem noch beschleunigt, da unabhängige Medien wie Novaya Gaseta und Dozhd TV jetzt teilweise vom Ausland aus arbeiten.

1,2 Millionen Websites blockiert

Roskomsvoboda, eine russische NGO, die gegen die Online-Zensur kämpft, berichtet, dass in Russland mehr als 1’243’000 Websites gesperrt wurden, seit sie im November 2012 mit dem Monitoring begann, und dass 517’000 noch immer zensiert werden, darunter fast 7’000 seit Beginn des Krieges in der Ukraine im vergangenen Februar. Darunter befinden sich Dutzende von Medien, wie etwa Russlands beliebteste Nachrichtenseite Meduza, für die RSF eine alternative «Spiegel-Seite» eingerichtet hat, um den Zugang wiederherzustellen. Dazu gehören ausserdem Mediazona, Deutsche Welle, The New Times und Novaya Gaesta Europa. Die russische Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor wurde 2020 in die RSF-Liste der Verfolger der digitalen Pressefreiheit aufgenommen.

(Quelle: RSF International)

 

 

 

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