Das Bundesgericht zwang 2014 eine Redaktorin der Basler Zeitung, Nina Jecker, die Identität eines Dealers preiszugeben, den sie im Rahmen einer Reportage über den Drogenhandel in Basel interviewt hatte. Das sorgte bei den Schweizer Journalistinnen und Journalisten für Aufruhr. Sie prangerten dies im Chor als krassen Verstoss gegen den Quellenschutz an, der in der Verfassung ausdrücklich garantiert wird. Zu Recht, denn im vergangenen Jahr stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) einstimmig fest, dass dieses Urteil gegen die Informationsfreiheit verstösst (Foto Keystone-SDA).

Das bedeutet, dass die Strassburger Richter keinen Spass verstehen, wenn es um das Redaktionsgeheimnis geht. Es waren sie, die bereits 1996 diese grundlegende Regelung eines demokratischen Systems anerkannten, mit der Begründung, die Presse sei ohne sie nicht in der Lage, ihre Aufgabe als gesellschaftlicher Wachhund zu erfüllen.

Das Urteil im Fall Jecker knüpft an diese Grundsatzentscheidung (und an mehrere andere, die in der Zwischenzeit den Quellenschutz gestärkt haben) an, indem es das Bundesgericht daran erinnert, dass «das Recht der Journalisten, ihre Quellen zu verschweigen, nicht als ein einfaches Privileg betrachtet werden kann, das ihnen je nach der Rechtmässigkeit oder Unrechtmässigkeit ihrer Quellen gewährt oder entzogen wird, sondern ein veritables Attribut des Rechts auf Information darstellt, das mit grösster Umsicht zu behandeln ist»; mehr noch: «Die offensichtliche Beteiligung von Journalisten an der Identifizierung anonymer Quellen hat immer eine hemmende Wirkung.»

Die Tragweite der Entscheidung des EGMR geht weit über Nina Jeckers Auseinandersetzungen mit unseren Justizbehörden hinaus. In den Erwägungen des Urteils wird nämlich betont, dass die in unserer Strafprozessordnung festgelegten Ausnahmen vom Quellenschutz nicht automatisch gelten dürfen. In jedem einzelnen Fall muss deshalb die ausserordentliche Verpflichtung des Journalisten zur Zeugenaussage abgewogen werden gegen die Schwere der verfolgten Straftaten und das Interesse der Öffentlichkeit, über die Fakten des Falles informiert zu werden. Im vorliegenden Fall befanden die europäischen Richter einerseits, dass der Drogenhandel ein für die Allgemeinheit wichtiges Thema ist, und andererseits, dass der Handel mit Cannabis und Haschisch, den der interviewte Dealer betrieb, von geringem Ausmass war. Umso besser für Nina Jecker, deren Entschlossenheit und Beharrlichkeit zu würdigen sind: Sie hat fast zehn Jahre, nachdem sie sich geweigert hatte, mit der Basler Justiz zusammenzuarbeiten, ihren Fall gewonnen.

Bertil Cottier, Präsident von RSF Schweiz

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