Weltweit ist festzustellen, dass die Pressefreiheit von denjenigen bedroht wird, die sie eigentlich garantieren sollten: den politischen Behörden. Von den fünf Indikatoren, aus denen sich die Punktzahl der Länder zusammensetzt, ist der Indikator «Politischer Kontext» im Jahr 2024 mit einem Gesamtverlust von 7,6 Punkten am stärksten rückläufig. Dies geht aus der neuen Ausgabe der von Reporter ohne Grenzen (RSF) erstellten Rangliste der Pressefreiheit hervor.

Die Schweiz verbesserte sich im Vergleich in der Rangliste zum Vorjahr um drei Ränge von Platz 12 auf Platz 9. Dies stellt jedoch keinen wirklichen Fortschritt dar. Denn die Anzahl der Punkte, die für die Rangliste ausschlaggebend sind, hat nicht zugenommen. Insbesondere im rechtlichen Umfeld besteht Handlungsbedarf. Lesen Sie hier unsere Analyse.

Regierungen versagen beim Schutz des Journalismus

Die Pressefreiheit wird weltweit von denjenigen bedroht, die eigentlich ihre Garanten sein sollten – den politischen Behörden. Diese Schlussfolgerung beruht auf der Tatsache, dass von den fünf Indikatoren, die für die Erstellung der Rangliste der Pressefreiheit herangezogen werden, der Indikator «Politischer Kontext» am stärksten zurückgegangen ist, und zwar im weltweiten Durchschnitt um 7,6 Punkte. Das zeigt die neue jährliche Rangliste der Pressefreiheit, die Reporter ohne Grenzen (RSF) erstellt hat.

Immer mehr Regierungen und politische Behörden werden ihrer Rolle als Garanten für ein bestmögliches Umfeld für den Journalismus und für das Recht der Öffentlichkeit auf zuverlässige, unabhängige und vielfältige Nachrichten und Informationen nicht gerecht. RSF sieht einen besorgniserregenden Rückgang der Unterstützung und der Achtung der Medienautonomie und eine Zunahme des Drucks durch den Staat oder andere politische Akteure.

«Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung ist im Jahr 2024 zu Wahlen aufgerufen. RSF warnt vor einem besorgniserregenden Trend, den die Rangliste der Pressefreiheit 2024 aufzeigt: Im Bereich «politischer Kontext», einem der Indikatoren für die Rangliste der Pressefreiheit, ist ein Rückgang festzustellen. Staaten und andere politische Kräfte nehmen ihre Rolle beim Schutz der Pressefreiheit immer weniger wahr. Diese Entmachtung geht manchmal damit einher, dass die Rolle von Journalisten in Frage gestellt wird oder die Medien sogar für Schikanen oder Desinformationskampagnen instrumentalisiert werden. Ein Journalismus, der diesen Namen verdient, ist hingegen eine notwendige Voraussetzung für jedes demokratische System und die Ausübung politischer Freiheiten.»
Anne Bocandé, Redaktionsleiterin RSF

Auf internationaler Ebene zeichnet sich dieses Jahr durch einen deutlichen Mangel an politischem Willen seitens der internationalen Gemeinschaft aus, die Grundsätze des Schutzes von Journalisten durchzusetzen, insbesondere die Resolution 2222 des UN-Sicherheitsrats.

Der Krieg im Gazastreifen ist seit Oktober 2023 durch eine Rekordzahl von Übergriffen gegen Journalisten und Medien gekennzeichnet. Mehr als 100 palästinensische Medienschaffende wurden von den israelischen Streitkräften getötet, darunter mindestens 22 bei der Ausübung ihrer Arbeit. Das besetzte und unter ständigem israelischem Bombardement stehende Palästina liegt in der Rangliste 2024 insgesamt auf Platz 157 von 180 untersuchten Ländern und Gebieten, rangiert aber in Bezug auf die Sicherheit für Medienschaffende unter den letzten zehn Staaten in der Rangliste.

Journalismus gegen Desinformation in einem Superwahljahr

2024 ist das grösste Wahljahr der Weltgeschichte, doch auch 2023 gab es wichtige Wahlen, vor allem in Lateinamerika. Dort wurden Wahlen von Verächtern der Pressefreiheit und der Medienvielfalt gewonnen, allen voran Javier Milei in Argentinien (minus 26 auf Platz 66), der in einem beunruhigenden symbolischen Akt die grösste Nachrichtenagen geschlossen hat.

Wahlen werden oft von Gewalt gegen Journalisten begleitet, wie in Nigeria (Platz 112) und der Demokratischen Republik Kongo (Platz 123). Die Militärjuntas, die durch Putsche an die Macht gekommen sind, insbesondere in Niger (minus 19 Plätze auf Platz 80), Burkina Faso (minus 28 Plätze auf Platz 86) und Mali (minus einen Platz auf Platz 114), haben die Kontrolle der Medien verschärft und behindern die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten. Die Wiederwahl von Recep Tayyip Erdogan in der Türkei gibt ebenfalls Anlass zur Sorge. Das Land liegt auf Platz 158 und hat in der Rangliste weiter an Punkten verloren.

Im Arsenal der politisch motivierten Desinformation gibt der Einsatz generativer KI in einem unregulierten Umfeld Anlass zur Sorge. Deepfakes spielen mittlerweile eine wichtige Rolle bei der Beeinflussung von Wahlen. Ein Beispiel dafür ist Deepfake-Audio, dem in der Slowakei (minus 12 Plätze auf Platz 29) die Journalistin Monika Todova während der Parlamentswahlen zum Opfer fiel. Es ist dies einer der ersten dokumentierten Fälle dieser Art von Angriff auf Medienschaffende mit dem Ziel, den Ausgang einer demokratischen Wahl zu beeinflussen.

Viele Regierungen kontrollieren soziale Netzwerke und das Internet immer stärker. Sie beschränken den Zugang, sperren Konten oder löschen Nachrichten und Informationen. In Vietnam (Platz 174) werden Medienschaffende, die ihre Meinung in sozialen Medien äussern, fast systematisch inhaftiert. In China (Platz 172) werden nicht nur mehr Journalistinnen und Journalisten inhaftiert als in jedem anderen Land der Welt. Die Regierung übt auch weiterhin eine strenge Kontrolle über die Informationskanäle aus, indem sie Zensur und Überwachungsmassnahmen einsetzt, um Online-Inhalte zu regulieren und die Verbreitung von Informationen einzuschränken, die als sensibel gelten oder der Parteilinie zuwiderlaufen.

Einige politische Gruppen schüren Hass und Misstrauen gegenüber Medienschaffenden, indem sie sie beleidigen, diskreditieren oder bedrohen. Andere setzen auf eine Übernahme des Medienökosystems, sowohl von staatlichen Medien, die unter ihre Kontrolle geraten sind, wie auch mit Übernahmen privater Medien durch verbündete Geschäftsleute. In Giorgia Melonis Italien (minus 5 Plätze auf Platz 46) versucht ein Mitglied der regierenden Parlamentskoalition, die zweitgrösste Nachrichtenagentur, die Agenzia Giornalistica Italia (AGI), zu übernehmen.

Politische Gruppen dienen oft als Kanäle für die Verbreitung von Desinformationskampagnen oder stiften diese sogar an. In mehr als drei Vierteln der im Index bewerteten Länder (138 von 180 Ländern und Gebieten) gab eine Mehrheit der für die Rangliste befragten Expertinnen und Experten an, dass politische Akteure in ihren Ländern häufig an Propaganda- oder Desinformationskampagnen beteiligt waren. Diese Beteiligung wurde in 31 Ländern als «systematisch» bezeichnet.

In Osteuropa und Zentralasien hat sich die Medienzensur in einer Nachahmung russischer Repressionsmethoden verschärft, insbesondere in Belarus (minus 10 Plätze auf Platz 167), Georgien (Platz 103), Kirgisistan (Platz 120) und Aserbaidschan (minus 13 Plätze auf Platz 164). Der Einfluss des Kremls reicht bis nach Serbien (minus 7 Plätze auf Platz 98), wo regierungsnahe Medien russische Propaganda verbreiten und die Behörden russische Exiljournalisten bedrohen. Russland (Platz 162), wo Wladimir Putin 2024 wenig überraschend wiedergewählt wurde, führt weiterhin einen Krieg in der Ukraine (Platz 61), der grosse Auswirkungen auf das Medienökosystem und die Sicherheit von Journalistinnen und Journalistinnen und Journalisten hat.

Spitzenpositionen und Ende der Rangliste

Auch das Trio an der Spitze der Rangliste für Pressefreiheit hat dazu beigetragen, dass die Werte beim Indikator «Politischer Kontext» zurückgegangen sind. So hat Norwegen zwar seine Position als Nummer eins beibehalten, gehört aber zu den Ländern, die dort Punkte verloren haben. Irland (Platz 8), wo Politiker die Medien gerichtlich einschüchtern lassen, hat seine Position als Spitzenreiter der Europäischen Union an Dänemark (Platz 2) abgegeben, gefolgt von Schweden (Platz 3).

Die drei asiatischen Länder, die letztes Jahr am Ende der Rangliste zu finden waren – Vietnam, China und Nordkorea – haben ihre Positionen an drei Länder abgegeben, deren politische Werte stark gesunken sind. Dabei handelt es sich um Afghanistan (minus 44 Plätze beim Indikator «Politischer Kontext»), das seit der Machtübernahme durch die Taliban den Journalismus immer weiter unterdrückt, sowie um Syrien (minus 8 Plätze beim Indikator «Politischer Kontext») und Eritrea (minus 9 Plätze beim Indikator «Politischer Kontext»). Die beiden letztgenannten Länder, sind für die Medien zu rechtsfreien Räumen, mit einer Rekordzahl von inhaftierten, verschwundenen oder als Geiseln genommenen Journalistinnen und Journalisten.

Pressefreiheit in den fünf Regionen der Welt im Jahr 2024

Die Region Maghreb-Naher Osten schneidet in der Rangliste der Pressefreiheit 2024 am schlechtesten ab. Es folgt die asiatisch-pazifische Region, in der autoritäre Regierungen den Journalismus unterdrücken. Danach folgt Afrika, wo die Situation in weniger als zehn Prozent der Länder der Region als «sehr ernst», aber in fast der Hälfte der Länder als «schwierig» eingestuft wird.

Die Länder, in denen es gut um die Pressefreiheit steht, liegen alle in Europa, genauer gesagt in der Europäischen Union. Diese hat sich eben ein Gesetz zur Medienfreiheit, das Europäische Medienfreiheitsgesetz (EMFA), gegeben. Irland ist aus den ersten drei Plätzen der Rangliste herausgefallen und wurde durch Schweden ersetzt, während Deutschland nun zu den Top Ten gehört. In Ungarn, Malta und Griechenland, den drei am schlechtesten bewerteten EU-Ländern, steht die Pressefreiheit jedoch auf dem Prüfstand. Weiter östlich in Europa verschlechtern sich die Bedingungen für den Journalismus aufgrund des Ausmasses der Desinformation und der Medienzensur unter dem Vorwand der Gefährdung der nationalen Sicherheit oder des Terrorismus. Dies ist der Fall in Russland (Platz 162), Belarus (Platz 167) und Turkmenistan (Platz 175), während sich in Georgien (minus 26 auf Platz 103) die Regierungspartei an Moskau annähert. Aufgrund von Verbesserungen des Sicherheitsindikators – weniger getötete Medienschaffende – und im Bereich «politischer Kontext» hat sich die Ukraine (plus 18 Plätze auf Platz 61) in der Rangliste verbessert.

In der Region Amerika ist es ein grosses Problem, dass Journalistinnen und Journalisten aus Angst vor Vergeltungsmassnahmen nicht über Themen berichten können, die mit organisiertem Verbrechen, Korruption oder Umwelt zu tun haben. Der Anteil der Länder in denen die Situation «eher gut» ist, sank von rund 36 Prozent im Jahr 2023 auf 21 Prozent im Jahr 2024. Die USA haben im Vergleich zum Vorjahr zehn Plätze verloren. In fast allen südamerikanischen Ländern ist die Lage der Pressefreiheit inzwischen «problematisch». Diese Verschlechterung ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Regierungen nicht in der Lage sind, die Gewalt gegen Medienschaffende einzudämmen. Mexiko ist für Medienschaffende nach wie vor das gefährlichste Land, in dem kein Krieg herrscht – seit 2019 wurden dort 37 Journalistinnen und Journalisten getötet.

Die afrikanischen Länder südlich der Sahara waren während der grossen Wahlen im Jahr 2023 stark von politischer Gewalt betroffen. Mehr als 8 Prozent der afrikanischen Länder sind jetzt auf der Karte der Pressefreiheit rot eingefärbt, doppelt so viele wie im Jahr 2023. In Nigeria, Togo und Madagaskar wurde hart gegen Medienschaffende vorgegangen. Die Region ist durch die Verschlechterung der Sicherheitslage in mehreren Ländern der Sahelzone – Niger, Burkina Faso und Mali – gekennzeichnet.

Die der Region Asien-Pazifik ist der zweitschwierigsten Region der Welt für die Informationsfreiheit. Fünf Länder gehören zu den zehn gefährlichsten Ländern der Welt für Journalistinnen und Journalisten. Es handelt sich um Myanmar (Platz 171), China (Platz 173), Nordkorea (Platz 172), Vietnam (Platz 175) und Afghanistan (Platz 178).

Im Nahen Osten und Nordafrika ist die Situation in fast der Hälfte der Länder «sehr ernst». Die Vereinigten Arabischen Emirate schliessen sich den acht anderen Ländern in dem auf der Karte rot markierten Gebiet an: Jemen, Saudi-Arabien, Iran, Palästina, Irak, Bahrain, Syrien und Ägypten. Palästina, das Land mit den meisten Todesopfern unter Journalistinnen und Journalisten, liegt ebenfalls am unteren Ende des Indexes. Katar ist nun das einzige Land in der Region, in dem die Lage weder als «schwierig» noch als «sehr ernst» eingestuft wird.

Bei den bevorstehenden Wahlen in allen Regionen der Welt muss mit einem sehr starken Druck auf die Journalistinnen und Journalisten gerechnet werden.

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WIE ENTSTEHT DIE RANGLISTE?
Dies ist die dritte Rangliste der Pressefreiheit, die nach der neuen Methodik erstellt wurde, die 2021 von einem Gremium von Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Medien entwickelt wurde.
Die Methodik basiert auf einer Definition von Pressefreiheit als «die Fähigkeit von Journalistinnen und Journalisten als Einzelpersonen und Kollektive Nachrichten im öffentlichen Interesse auszuwählen, zu produzieren und zu verbreiten, unabhängig von politischer, wirtschaftlicher, rechtlicher und sozialer Einflussnahme und ohne Bedrohung ihrer physischen und psychischen Sicherheit».
Daraus ergeben sich fünf Indikatoren, die die Rangliste strukturieren und ein Bild der Pressefreiheit in ihrer ganzen Komplexität vermitteln: politischer Kontext, rechtlicher Rahmen, wirtschaftlicher Kontext, soziokultureller Kontext und Sicherheit.
In den 180 Ländern und Gebieten, die für die Rangliste bewertet werden, werden diese Indikatoren auf der Grundlage einer quantitativen Erfassung von Übergriffen gegen Medienschaffende und Medienunternehmen sowie einer qualitativen Analyse bewertet, die auf den Antworten von Hunderten von RSF ausgewählten Expertinnen und Experten für Informationsfreiheit (Journalist*innen, Akademiker*innen, Menschenrechtsaktivist*innen) auf mehr als 100 Fragen beruht.
Aufgrund dieser methodischen Entwicklung sind Rang- und Punktzahlvergleiche zwischen den Daten vor und nach 2021 mit Vorsicht zu geniessen.

 

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