Editorial

Abwartend wie so oft, liess die Schweiz zunächst die Europäische Union vorangehen. Nun könnte sie nachziehen, und das ist zu begrüssen. In Anlehnung an die europäische Regelung hat der Bundesrat in diesem Frühling eine Revision des Schweizer Urheberrechtsgesetzes in die Vernehmlassung geschickt. Er schlägt vor, darin ein sogenanntes «Leistungsschutzrecht» zugunsten der Medien zu verankern. Ziel ist es, die Plattformen zu verpflichten, für die Nutzung von Medieninhalten eine Vergütung zu zahlen. Beispielsweise müsste Google für das Recht bezahlen, den Titel und den Anfang eines Artikels in seinen Suchergebnissen anzuzeigen. Die Vergütung würde zwischen Verlegern und Journalisten aufgeteilt.

Die Schweizer Sektion von Reporter ohne Grenzen unterstützt diese Revision. Sie hat eine entsprechende Stellungnahme beim Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum eingereicht, das das Vernehmlassungsverfahren durchführt. In den Augen unserer Organisation ist es wesentlich, dass die Schweiz nicht abseits der Bemühungen der Europäischen Union bleibt, eine Art Gleichgewicht zwischen den Informationsmedien und den grossen Plattformen herzustellen. Deren Geschäftsmodell beruht, erinnern wir uns daran, zu einem nicht unerheblichen Teil auf der bislang lizenzfreien Nutzung von journalistischen Inhalten.

Eine Gatekeeper-Position

Dies ist ein erster Schritt, auch wenn die Erfahrungen in Europa zeigen, dass einerseits die durch die neue Regelung notwendig gewordenen Verhandlungen zwischen Verlegern und Plattformen schwierig sind und andererseits noch nicht alle Mitgliedsstaaten die EU-Richtlinie umgesetzt haben. Auch die künstliche Intelligenz, die sich ebenfalls – zum Teil – aus der Medienproduktion speist, wird wahrscheinlich weitere Anpassungen erfordern. Dennoch darf die gerade auf den Weg gebrachte Revision des Urheberrechtsgesetzes nicht verzögert werden: Nach Einschätzung von RSF Schweiz muss die künstliche Intelligenz separat behandelt werden.

Um die Herausforderungen des «Leistungsschutzrechts» richtig zu erfassen, muss die Frage in einen grösseren Zusammenhang gestellt werden. Die grossen Plattformen haben die direkte Verbindung, die zwischen den Medien und ihrem Publikum bestand, zerbrochen. Ein immer grösserer Teil der journalistischen Informationen gelangt nur noch über ein soziales Netzwerk oder eine Plattform zur Kenntnis der Öffentlichkeit. Die Tech-Giganten haben mittlerweile eine Gatekeeper-Position. Ihre Algorithmen und ihre – undurchsichtige – Politik der Moderation der Inhalte beeinflussen immer mehr die Informationen, die die Bürgerinnen und Bürger erhalten. Um den demokratischen Bedenken, die diese Entwicklungen aufwerfen, Rechnung zu tragen, hat unsere Organisation auf internationaler Ebene das Forum on Information & Democracy ins Leben gerufen und mit der Journalism Trust Initiative einen Mechanismus zur Zertifizierung von Medien von allgemeinem Interesse entwickelt.

Ausserdem ist die Werbung, die lange Zeit für viele private Nachrichtenmedien, wenn nicht die Mehrheit, zumindest einen entscheidenden Teil der Einnahmen ausmachte, zu einem sehr grossen Teil auf Plattformen abgewandert. Dadurch wurde das traditionelle Wirtschaftsmodell, auf dem der Journalismus beruhte, erheblich geschwächt.

Doppelte Entwicklung

Diese doppelte Entwicklung kann die Demokratien nicht gleichgültig lassen. Die Europäische Union hat mehrere Initiativen ergriffen, um darauf zu reagieren. Um Plattformen für ihre Einflussmöglichkeiten auf die öffentliche Debatte zur Rechenschaft zu ziehen, hat sie ihre Verordnung über digitale Dienste, besser bekannt unter ihrem englischen Akronym DSA (Digital Services Act), verabschiedet. Sie ist im vergangenen Jahr in Kraft getreten. Die Richtlinie, die eine Verpflichtung von Plattformen einführt, Medien für die Nutzung ihrer Inhalte zu vergüten, stammt hingegen aus dem Jahr 2019. Aufgrund der Rolle, die freie und unabhängige Medien in einer Demokratie spielen, hat die Europäische Union beschlossen, ihre Vorschriften anzupassen.

Der Bundesrat liegt auf derselben Linie, auch wenn sich sein Vorentwurf in einigen Punkten von der EU-Regelung unterscheidet. Im Moment scheint die Idee in der Schweiz relativ gut anzukommen, aber man sollte sich vor dem Anschein hüten. Die grossen Verleger unterstützen sie, die Journalistenorganisationen sind mehrheitlich dafür, aber das sagt noch nichts über die tatsächliche politische Unterstützung aus, die ein solches Projekt im Parlament erreichen könnte.

Dies gilt umso mehr, als die Branche selbst nicht ganz einer Meinung ist. Der Verband Medien mit Zukunft, dem mehrere kleine, unabhängige Medien wie Republik, Zentralplus, die Wochenzeitung oder in der Westschweiz Bon pour la tête und Sept angehören, spricht sich gegen das Vorhaben aus. Er stellt fest, dass kleine Verlage stark von der Verbreitung über Plattformen profitieren und es daher aus dieser Sicht keine Ungerechtigkeit gebe, die korrigiert werden müsste. Ausserdem bestehe die Gefahr, dass die Plattformen mit einem Verzicht auf die Weiterverbreitung journalistischer Inhalte reagieren könnten. Die grossen Verlage, so die Befürchtung von Medien mit Zukunft, würden am meisten von der Einführung eines «Leistungsschutzrechts» profitieren, die auf Kosten der kleineren Verlage. Insgesamt befürchtet die Organisation, dass der Entwurf dazu beitragen könnte, die Debatte über die staatliche Unterstützung der Medien einzufrieren.

Unter dem europäischen Schirm

Diese Argumente verdienen es, diskutiert zu werden, aber keines davon ist unwiderlegbar, und zumindest eines davon erscheint etwas künstlich: Erinnern wir uns, dass die Schweiz sich in diesem Bereich unter dem europäischen Schirm bewegt, und dass kaum die Gefahr besteht, dass Plattformen darauf verzichten, journalistische Inhalte nur auf dem Schweizer Markt weiterzuleiten. Es ist wahrscheinlich, dass die Situation erst dann kritisch würde, wenn die Plattformen eine solche Drohung in der Europäischen Union wahr machen würden.

Was den Vorteil betrifft, den grosse Verlage unberechtigterweise gegenüber kleinen Verlagen erlangen könnten, ist darauf hinzuweisen, dass die vorgeschlagene Regelung einen Ausgleichsmechanismus für die Umverteilung der Vergütung enthält, die – und das ist von grundlegender Bedeutung – über eine Verwertungsgesellschaft für Urheberrechte und nicht individuell eingezogen wird. Unsere Organisation hat eine andere Formulierung dieses Mechanismus vorgeschlagen, die unserer Meinung nach für kleine Verleger günstiger ist.

Wie dem auch sei, es wäre eine Illusion zu glauben, dass das Heil nur in der staatlichen Medienförderung liegen kann. Auf Bundesebene ist diese Debatte weitgehend festgefahren und droht dies auch noch eine ganze Weile zu bleiben – unabhängig davon, ob ein Leistungsschutzrecht zugunsten der Medien eingeführt wird oder nicht.

Denis Masmejan, Generalsekretär von RSF Schweiz

 

 

 

 

 

Partagez cet article !