Editorial

Es vergeht kaum ein Tag, an dem Elon Musk, der Milliardär, der die Kontrolle über Twitter übernommen hat, nicht Schlagzeilen macht. Seine unüberlegten und deplatzierten Handlungen könnten amüsieren, doch die jüngste Sperrung der Konten mehrerer Journalisten muss Verfechter der Pressefreiheit ernsthaft beunruhigen.

Mit der Dreistigkeit eines Gewohnheitslügners hat sich der neue Twitter-Besitzer als Ritter der freien Meinungsäusserung präsentiert. Doch seit er das Kommando übernommen hat, verhält er sich wie ein Despot, er hat die reine Willkür eingeführt. Und diese Willkür ist gefährlich für die Demokratie.

Demokratische Kontrolle

Erstaunlich? Nein. Aufmerksame Beobachter des digitalen Wandels hatten die Gefahr schon lange erkannt. Die digitalen Plattformen haben Funktionen privatisiert, die in der Welt von gestern der öffentlichen Hand unterstanden und somit in einem demokratischen System einer ebenfalls demokratischen Kontrolle unterworfen waren.

Das Gesetz, die Verfassung und die Gerichte legten fest, unter welchen Bedingungen gegebenenfalls eine Aussage verboten werden konnte. Rechtsstaaten unterwarfen jede Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit einer dreifachen Bedingung, die sich in den Rechtsordnungen fast aller Kontinente findet: Es müssen eine gesetzliche Grundlage sowie ein öffentliches Interesse vorhanden sein und der Grundsatz der Verhältnismässigkeit muss respektiert werden.

Heute haben sich die Plattformen quasi zwischen die Bürger und den Staat geschoben. Durch ihre Algorithmen sind sie in der Lage, nach ihrem Belieben zu bestimmen, welche Inhalte ihre Nutzer erhalten. Beschuldigt man sie, inakzeptable Botschaften zuzulassen? ann entfernen sie Inhalte oder sperren Konten und reagieren dabei in erster Linie wie private Wirtschaftsunternehmen, die in einer reinen Marktlogik gefangen sind und manchmal, wie Twitter derzeit, der Hybris ihrer Eigentümer unterworfen sind. Ohne Kontrolle, weder demokratisch noch gerichtlich.

Die Bürger, nicht die Plattformen

Für die Medien steht viel auf dem Spiel, da auch die journalistischen Inhalte dieser Willkür nicht entgehen – wir haben es in diesen Tagen gesehen. Wir müssen unverzüglich die Demokratie, also die Bürger und nicht die Plattformen, wieder in den Mittelpunkt dieser Prozesse stellen. Dies war der Wille von RSF, als unsere Organisation die Partnerschaft für Information und Demokratie lancierte, die von 50 Staaten, darunter der Schweiz, unterzeichnet wurde, ebenso wie ihr Forum für Information und Demokratie, das diese Partnerschaft fortsetzt und bereits eine lange Liste von Empfehlungen herausgegeben hat.

Bisher ist die Europäische Union mit ihrem Gesetz über digitale Dienste (GdD) am weitesten gegangen im Versuch, digitalen Plattformen einen rechtlichen Rahmen aufzuerlegen, der insbesondere darauf abzielt, die Verfahren zur Moderation und Entfernung von Inhalten zu regulieren. Nur die Erfahrung wird zeigen, ob diese neue Regulierung in der Lage ist, ihre Versprechen zu halten.

Der Bundesrat hat einen Bericht versprochen

Die Schweizer Regierung hat sich bisher darauf beschränkt, abzuwarten. Es ist wahr, dass es angesichts der geringen Grösse des Landes keinen Sinn ergeben hätte, als Pionier zu agieren. Der Bundesrat hat einen Bericht zu diesem Thema versprochen. Im Hinblick darauf hat die Bundesverwaltung verschiedene Studien in Auftrag gegeben, um das Terrain abzustecken. Eine der Studien war dem Autor dieser Zeilen anvertraut worden; sie befasste sich mit den verfassungsrechtlichen Grundlagen, die es dem Gesetzgeber ermöglichen oder ihn sogar zwingen, die öffentliche Online-Debatte zu regulieren.

Die Abwägungen zwischen Meinungsäusserungsfreiheit und dem Kampf gegen Informationsmanipulation und Fake News sind komplex. Die beiden Ziele können nur schwer miteinander vereinbart werden. Einige Wege zeichnen sich jedoch ab. Das Wichtigste für die Demokratien bleibt aber, herauszufinden, wie sie ihre Souveränität in Fragen wieder erlangen können, die für sie lebenswichtig sind und derzeit von der Plattformindustrie besetzt werden.

Denis Masmejan, Generalsekretär von RSF Schweiz

 

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