Elon Musk propagiert seine Plattform X als Alternative zu den herkömmlichen Medien. Unter dem Banner vermeintlich absoluter Meinungsfreiheit hat sich der Tech-Milliardär zum treuen Weggefährten von Donald Trump gemausert. Diese Allianz hat weitreichende Folgen für die Medien und den Journalismus. Nicht nur in den USA.
«You are the media now», postete Elon Musk (Foto: Keystone / MAXPPP/) am 6. November, dem Tag nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten, auf seiner Plattform X. «Nun seid ihr die Medien.»
«Ihr», damit meinte er all seine Followerinnen und Follower. Und im weitesten Sinne alle Userinnen und User von X. Dieser kurzer Post hat grosse Implikationen. Die fünf Worte stehen für einen beunruhigenden Wandel in der Informationslandschaft, dessen Folgen uns wahrscheinlich noch lange begleiten werden. Was Musk insinuiert: Die herkömmlichen Medien hätten längst ausgedient und gemeinsam mit den US-Demokraten nicht nur die Präsidentschaftswahlen verloren, sondern auch das letzte bisschen ihrer Glaubwürdigkeit. Was nun komme, sei die Dominanz der Sozialen Medien, der Plattformen, von denen Musk mit X eine der wichtigsten selbst besitzt.
Spätestens seit er Twitter 2022 gekauft und 2023 in X umbenannt hat, ist Musk zutiefst skeptisch gegenüber den Medien, gegenüber starkem Journalismus. Die Leitlinien, die sich die Medienbranche gegeben hat – und wie sie die Schweiz etwa durch den Presserat kennt – sind für Musk nur eine Form der Zensur. Zeitungen, die wichtige Arbeit wie etwa Fact-Checkings betreiben oder gegen Desinformation ankämpfen, sind für ihn Teil eines grossen «Zensur-Kartells».
Vermeintlich radikale Meinungsfreiheit
Journalistische Grundsätze wie Fairness, Redlichkeit, eine Verpflichtung zur Wahrheit, der Schutz der Menschenwürde und der Persönlichkeitsrechte oder eine Unterscheidung von Meinung und Fakten wirft der Tech-Milliardär über Bord. Seine Plattform X wird so zum Inkubator für alles, nur nicht für eine Alternative zum Journalismus. Auch wenn er den Slogan, «you are the media now», seit dem 6. November noch unzählige Weitere Mal auf seinem Account postete.
Was für Musk stattdessen zählt, ist vermeintlich radikale Meinungsfreiheit: Alle können alles sagen, wie und wo sie wollen. Egal, ob es darum geht, dass US-Vizepräsidentin Kamala Harris erschossen werden soll (gepostet am 7. Oktober), oder ob Einwanderer aus Haiti Haustiere verspeisen (gepostet am 9. September). Egal, ob Europa wegen rückläufiger Geburtenrate bald aussterben wird (gepostet am 17. November). Egal, ob das stimmt, oder nicht. Anything goes. Alles ist erlaubt.
Die britische Tageszeitung The Guardian bezeichnete Musk daher bereits früher in diesem Jahr als den «weltweit grössten Heuchler der Meinungsfreiheit». Denn was Musk in seinem «anything goes»-Kosmos eigentlich tut: Er lässt zu, dass auf X unwahre, autoritäre oder verschwörungstheoretische Inhalte grössere Reichweite erhalten als gemässigte. Das führt zu einer Informationsflut, bei der es für Userinnen und User schwieriger wird, zwischen Bots, Desinformation, künstlicher Intelligenz und journalistischen Inhalten zu unterscheiden.
Glaubhafte Informationen werden unterdrückt
Donald Trump sagt danke. Er kann die Medien nun fast kollektiv umschiffen, ja ignorieren. Interviews gab er im Wahlkampf sowieso fast keine mehr. Und die unzähligen Fact-Checkings perlten einfach an ihm ab. Seine stärkste Waffe sind nicht mehr die konstanten Lügen, die er in den Medien verbreitet. Es sind die Sozialen Medien selbst, auf denen er (unter anderem auch dank Elon Musk) tun kann, was er will. Mit grosser Wirkung, ohne echte Konkurrenz.
Es ist genau dieses Szenario, vor dem die philippinische Journalistin und Friedensnobelpreisträgerin von 2021, Maria Ressa, schon 2022 – auch im Guardian – warnte. In einem Interview sagte sie, dass die Demokratie im Jahr 2024 von der Klippe gestürzt werden könnte. Wenn glaubhafte Informationen unterdrückt und durch Lügen ersetzt werden, wenn Fakten von einem digitalen Mob angegriffen werden, wenn «top-down» entschieden wird, dass Fakten keine Rolle mehr spielen, dann hätten wir im Informationskrieg einen schweren Stand, so Ressa.
Die Medien können das Problem nicht allein lösen
Gegen diese Tendenzen muss sich der Journalismus zwingend wehren – nicht nur in den USA. Denn das, was wir in den Sozialen Medien beobachten, hat auch Auswirkungen auf Europa, auf die Schweiz. Der Journalismus muss den Menschen glaubhaft machen können, dass journalistische Inhalte mehr als je zuvor eine vertrauenswürdige, einordnende, und alternativlose Informationsquelle für die Bevölkerung sind.
Die Medien müssen Innovation beweisen, damit sie sich so weit wie möglich aus eigener Kraft finanzieren können und die Interessen der Bevölkerung abdecken. Aber allein können sie das Problem kaum lösen. Es braucht eine gesicherte Förderung der Medien – teils durch den Staat, teils durch alternative Formen wie Stiftungen oder Förderprogramme, teils durch herkömmliche Abo-Modelle. Darüber hinaus braucht es eine Regulierung der Sozialen Medien. Das ist keine Form der willkürlichen Zensur, wie Musk und Co. behaupten. Sondern Leitplanken, die einen demokratischen Diskurs auf den Plattformen ermöglichen und fördern. Nicht zuletzt braucht es darüber hinaus aber auch eine Bereitschaft der Leserschaft, sich für Qualitätsmedien zu entscheiden und für deren wichtige Arbeit zu bezahlen. Journalismus war im Kern nie ein kostenloses Gut. Und das kann er auch in Zukunft nicht werden.
Um die Worte von Thibaut Bruttin, Generaldirektor von Reporter ohne Grenzen International zu bedienen: Wenn wir in Zukunft tatenlos zuschauen, dann werden die Medien immer mehr zum nützlichen Idioten in einem politischen Kampf, der kaum zu gewinnen ist.