Nah dabei sein – das gehört zu den Aufgaben von Journalistinnen und Journalisten. Doch Nähe bedeutet auch Risiko. Das erfahren vor allem diejenigen, die mit Kameras an Demonstrationen unterwegs sind. Seit Jahresbeginn kam es in der Schweiz gleich mehrmals zu unangenehmen bis bedrohlichen Szenen für sie (Photo Ennio Leanza/Keystone).

An Demonstrationen gibt es etwa den «Schwarzen Block», der sich immer mal wieder aggressiv gegen Medienschaffende verhält. Auch die Polizei geht manchmal unangemessen mit Journalistinnen und Journalisten um. Beides bekannte Phänomene, die schon länger zu Diskussionen führen. Neu dazugekommen sind seit 2020 Kundgebungen von Corona-Massnahmen-Gegnern und ähnliche Gruppierungen; manche von ihnen verhalten sich dabei nicht nur verbal, sondern auch physisch aggressiv. Deshalb liessen und lassen manche Medienhäuser ihre Journalistinnen und Journalisten von Sicherheitspersonal begleiten.

DROHUNGEN UND ANGRIFFE VON «MASSNAHMEN-GEGNERN»

Sprüche wie «Ihr berichtet ja eh nur Fake News», «Du arbeitest für den Satan», «Lügenpresse» hörten und hören Journalistinnen und Journalisten, wenn sie – erkennbar an ihren Kameras und Fotoapparaten – an Kundgebungen von sogenannten Massnahmen-Gegnern arbeiten. An Demonstrationen in den vergangenen Jahren kam es zu Drohungen, Anfeindungen wie auch zu physischen Übergriffen, die auch routinierte Demo-Fotografen und -Kameraleute als neues Phänomen bezeichneten und die manche schockierten.

Organisationen aus dem Umfeld dieser Massnahmen-Gegner, zum Beispiel «Mass-voll!» oder die «Freiheitstrychler», veranstalten auch heute noch Kundgebungen, etwa am 7. März eine «Mahnwache» im zürcherischen Seegräben und am 11. März eine «Friedensdemonstration» in Bern. «Unsere Redaktion hat für diese beiden Einsätze Security-Leute aufgeboten, die uns begleitet haben», sagt ein Journalist, der bei der Friedensdemonstration sah, wie einem Kollegen die Kamera aus der Hand geschlagen wurde. Bei der Arbeit sei er dauernd gefilmt worden: «Das ist bei diesen Demonstrationen immer so. Und wenn du ein Interview mit einem Kundgebungsteilnehmer führst, der ganz freiwillig mit dir spricht, wirst du sofort von mehreren Personen umringt, die ununterbrochen filmen.» Natürlich habe er auch «die üblichen Sprüche» gehört: «Für viele Leute an diesen Demos gehören wir zu den bösen ‘Mainstream-Medien’ und damit zur ‘Elite’.»

ÜBERGRIFFE AUS DEM «SCHWARZEN BLOCK»

Ob auch der «Schwarze Block» Journalistinnen und Journalisten zur «Elite» zählt? Auf jeden Fall kam es im Februar und im März an Demonstrationen seitens des «Schwarzen Blocks» zu Angriffen und Drohungen gegen Medienschaffende – am 18. Februar in Zürich an einer Kundgebung gegen die Räumung des «Koch-Areals», am 18. März in Genf an einer Kundgebung gegen die Delegiertenversammlung der SVP Schweiz in Meyrin.

Bei der Zürcher Demonstration war eine Gruppe von Fotografen und Videoreportern verschiedener Medien vor dem zuerst friedlich verlaufenden Umzug unterwegs, als Demonstrationsteilnehmer Sachbeschädigungen verübten und einige von ihnen gegen die Medienschaffenden vorgingen. Diese wurden beschimpft, bedroht und mit Gegenständen beworfen. «Sie versuchten uns einzuschüchtern, damit wir aufhören, Bilder zu machen», erzählt ein Journalist. RSF Schweiz hat diese Angriffe verurteilt.

In Genf wurden die Medienschaffenden im Verlauf der Kundgebung im Parc des Cropettes von vermummten Aktivisten angeschrien, beschimpft und bedroht, einem Journalisten schlugen sie das Smartphone, mit dem er filmte, aus der Hand. «Normalerweise versucht der ‘Schwarze Block’ zu verhindern, dass wir filmen, wenn sie sprayen und Sachen beschädigen, also Straftaten verüben», sagt einer der betroffenen Journalisten. In Genf seien die Angriffe jedoch erfolgt, als die Vermummten keine Straftaten begingen. «Das ist neu, dass sie auch dann drohen. Es gibt von dieser Seite eine Feindseligkeit gegenüber Journalistinnen und Journalisten.» RSF Schweiz hat nach den Ereignissen in Zürich und Genf den Revolutionären Aufbau Schweiz um eine Stellungnahme angefragt – erfolglos. 

NÄHE «AUF EIGENE VERANTWORTUNG»?

 Nach den Angriffen in Zürich hatten mehrere Medienschaffende angegeben, sie hätten sich nicht von der Polizei beschützt gefühlt, da diese überhaupt nicht präsent gewesen sei, als sich diese Szenen abspielten. Als RSF Schweiz bei der Stadtpolizei Zürich nachfragte, wies deren Sprecher, Marc Surber, den Vorwurf zurück und ergänzte: «Wenn Medienschaffende die Nähe zu einem gewaltbereiten Demonstrationszug suchen, liegt dies in ihrer eigenen Verantwortung.»

Nähe und Distanz sind seit Jahren ein Thema zwischen der Polizei und Medienschaffenden: Journalistinnen und Journalisten müssen nahe am Geschehen sein, um es zu dokumentieren, das gehört zu ihrer Arbeit. Die Polizei hingegen will sie oft auf Distanz halten. So etwa auch an der Demonstration zum Internationalen Tag der Frau am 8. März in Basel. Nachdem die Polizei den unbewilligten Demonstrationszug eingekesselt hatte, wies sie die Medienschaffenden an, sich 50 Meter zurückzuziehen, es wurde auch ein Absperrband gezogen. «Wir sind zurückgeschickt worden, damit wir das polizeiliche Handeln nicht dokumentieren», sagt einer der damals anwesenden Journalisten. «Ich wehre mich ganz klar gegen Vorwurf, wir hätten die Medienschaffenden am Filmen und Fotografieren gehindert», sagt auf diesen Vorwurf hin Adrian Plachesi, Leiter Abteilung Kommunikation der Kantonspolizei Basel-Stadt: «Die Absperrung erfolgte, um den Persönlichkeitschutz der eingekesselten Personen zu gewährleisten. Übrigens befanden sich auch einige Medienschaffende im Kessel. Sie haben sich später bei uns gemeldet und sind dann aus dem Kessel herausgeholt worden.»

Anlässlich der Basler Demonstration zum Frauentag kam es ausserdem zu einer seltsam anmutenden Szene: Ein Journalist war «mit dem Smartphone in der Hand und dem Presseausweis vor der Brust» bei der Demo bei der Arbeit, wie er berichtet: «Da hat ein Polizist eine Taschenlampe auf mein Smartphone gerichtet und mich und das Phone geblendet, sodass ich nicht mehr filmen konnte.» Diesen Einsatz der Polizei bewertet Plachesi als «unglücklich» und «nicht berechtigt», und meint dazu: «Wir suchen in diesem Fall sicher noch das Gespräch.»

ZÜRCHER MERKBLATT UND NATIONALER AKTIONEPLAN

Gespräche werden weiterhin nötig sein. In der Stadt Zürich haben Gespräche zwischen der Polizei und Organisationen von Medienschaffenden dazu geführt, dass es seit Oktober letzten Jahres ein Merkblatt zum «Umgang mit Medienschaffenden bei polizeilichen Aktionen, Demonstrationen und Kundgebungen» gibt. Es sieht unter anderem vor, dass «sofern es die Situation verlangt und wo es möglich ist» den Medienschaffenden jeweils ein abgesperrter Bereich zur Verfügung gestellt wird, «wo sie ihrer Arbeit ungefährdet und mit Blick auf den Polizeieinsatz nachgehen können». Zudem erarbeitet das Bundesamt für Kommunikation in Zusammenarbeit mit der Medienbranche, unter anderem auch mit RSF Schweiz, einen nationalen Aktionsplan (NAP) zur Sicherheit von Medienschaffenden. Der entsprechende Bericht wird am 3. Mai, dem Internationalen Tag der Pressefreiheit, veröffentlicht.

Bettina Büsser, Koordinatorin RSF Schweiz für die Deutschschweiz

 

 

 

Partagez cet article !