Über 130 Journalistinnen und Journalisten sind seit Beginn des Krieges zwischen Israel und der Hamas am 7. Oktober 2023 im Gazastreifen gestorben. Gemäss Untersuchungen von Reporter ohne Grenzen (RSF) wurden dabei mindestens 32 von ihnen in direkter Ausübung ihres Berufes getötet. Kein Konflikt im 21. Jahrhundert war bislang auch nur annähernd so tödlich für Medienschaffende wie dieser.

Ola Al-Zaanoun hat die ersten Monate des Krieges in Gaza hautnah miterlebt. Die palästinensische Journalistin ist Korrespondentin von RSF aus dem Gazastreifen und musste, gemeinsam mit anderen Medienschaffenden und ihrer Familie, bereits am zweiten Tag des Krieges aus Gaza-Stadt fliehen. Zuvor war ihr Büro im Zentrum der Stadt angegriffen und zerstört worden. Ohne Hab und Gut begab sie sich mit ihrem Mann, ebenfalls ein Journalist, und ihren Kindern in den Süden des Gazastreifens. Auch dort seien die Arbeitsbedingungen vom Beginn weg prekär gewesen, wie sie gegenüber RSF Schweiz sagt: «Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten von einem Krankenhaus aus, in Zelten, und haben kaum Strom oder Internet. Und Sie bewegen sich zwischen Leichen, Verletzten oder Vertriebenen, die überall im Krankenhaus auf dem Boden liegen.» Trotzdem berichtete Al-Zaanoun jeden Tag aus dem südlichen Gazastreifen und stand in engem Kontakt mit dem internationalen Hauptsitz von Reporter ohne Grenzen in Paris.

«Es gibt weder Sicherheit noch Schutzmöglichkeiten»

Darüber hinaus verletzte sich Al-Zaanoun im November am Bein, als sie infolge eines israelischen Luftschlages in Rafah aus dem zweiten Stockwerk eines Hauses springen musste, um sich in Sicherheit zu bringen. Ihren Kindern konnte sie derweil kaum noch Lebensmittel oder Medikamente bereitstellen. «Ich musste mich daher dafür entscheiden, den Gazastreifen zu verlassen, auch wenn mir das sehr schwerfiel. Aber es gab und gibt schlicht weder Sicherheit noch Schutzmöglichkeiten», sagt sie heute.

Nach monatelangen Versuchen gelang ihr schliesslich im Februar 2024 die Ausreise nach Ägypten. Im Vergleich zu vielen anderen Menschen hatte Al-Zaanoun Glück: «Der Grenzübergang in Rafah nach Ägypten ist verriegelt. Für Journalistinnen und Journalisten ist es fast unmöglich, aus- oder einzureisen.» Nur wer wie Al-Zaanoun mit ausländischen Medienagenturen oder internationalen Organisationen wie Reporter ohne Grenzenzusammenarbeitet, hatte überhaupt eine Möglichkeit, den Gazastreifen zu verlassen.

Der Welt den Alltag im Krieg zeigen

Diejenigen, die nicht ausreisen konnten oder wollten, sind geblieben. Um ihren Alltag in einer Extremsituation fortzusetzen und – im Falle der Medienschaffenden – um darüber zu berichten und die Folgen des Krieges der Welt sichtbar zu machen. Viele bezahlten dabei mit ihrem Leben. Von den über 130 getöteten Journalistinnen und Journalisten kannte Ola Al-Zaanoun viele. Zum Beispiel Rushdi Al-Sarraj, der als Journalist für ausländische Medien wie den Spiegel oder Le Monde berichtete und am 22. Oktober 2023 ums Leben kam. Oder Samer Abu Daqqa, ein Fernsehkorrespondent von Al Jazeera, der am 15. Dezember 2023 in durch einen gezielten Drohnenangriff getötet wurde. Oder Ismail Al-Ghoul, ebenfalls ein Journalist von Al Jazeera, der am 31. Juli nach einem israelischen Luftangriff starb.

«Der Gazastreifen ist kleinräumig», sagt Al-Zaanoun. «Die Journalistinnen und Journalisten kennen einander.» Es sei für sie schwer zu ertragen, wenn sie sehe, wie unterschiedslos die israelische Armee die Bevölkerung im Gazastreifen angreife. Vor allem, wenn man bedenke, dass Medienschaffende in einem bewaffneten Konflikt nicht gezielt angegriffen oder getötet werden dürften.

Angriffe auf Medienschaffende gelten als Kriegsverbrechen

Gemäss den Genfer Konventionen gelten Medienschaffende in einem bewaffneten Konflikt als geschützte Personen, solange sie nicht selbst zu den Waffen greifen oder die Öffentlichkeit dazu aufrufen, am Kriegsgeschehen teilzunehmen. Ein gezielter Angriff auf eine solche geschützte Person stellt gemäss Art. 8 Abs. 2 Buchstabe a) Ziffer i) des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag ein Kriegsverbrechen dar.

Auch die völkerrechtlich bindende Resolution 2222 des UNO-Sicherheitsrats, die 2015 in New York in Anwesenheit des damaligen Generaldirektors von Reporter ohne Grenzen, Christophe Deloire, einstimmig angenommen wurde, hält unter anderem fest: «Journalisten, Medienangehörige und zugehöriges Personal, die in Gebieten eines bewaffneten Konflikts gefährliche berufliche Aufträge ausführen, [gelten] als Zivilpersonen [] und [sind] als solche zu achten und zu schützen []». Ausserdem fordert der UN-Sicherheitsrat in der Resolution «alle an einem bewaffneten Konflikt beteiligten Parteien nachdrücklich auf, die berufliche Unabhängigkeit und die Rechte von Journalisten, Medienangehörigen und zugehörigem Personal als Zivilpersonen zu achten.»

Der Sachverhalt im aktuellen Krieg im Gazastreifen ist eindeutig. Reporter ohne Grenzensetzt sich seit dem Morgen des 7. Oktober 2023 dafür ein, dass Medienschaffende im Konflikt geschützt werden. Am 26. September führte RSF in zehn Städten weltweit, darunter auch in Genf vor den Vereinten Nationen, eine Solidaritäts- und Sensibilisierungskampagne durch, mit einer klaren Botschaft an die Weltöffentlichkeit: «Wenn weiterhin so viele Journalistinnen und Journalisten in Gaza getötet werden, wird es bald niemanden mehr geben, der uns informieren kann.»

Darüber hinaus hat RSF bereits vier Beschwerden beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag eingereicht. Darin fordert die Organisation diesen auf, die Verbrechen gegen die Medienschaffenden in seine Untersuchungen über mögliche Kriegsverbrechen miteinzubeziehen. Der Chefankläger des IStGH, Karim Khan, hat darauf bereits geantwortet und versichert, die besagten Fälle für die Untersuchungen des Strafgerichtshofs zu berücksichtigen.

Kein Sprachrohr der Hamas

Auch ein Jahr nach Beginn des Krieges hört der Schrecken nicht auf. Für Ola Al-Zaanoun ist klar: «Die grösste Gefahr geht von der israelischen Armee aus. Sie bombardiert ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung Krankenhäuser, Schulen und Gebäude, mitsamt ihren Bewohnern, Kindern, Frauen und älteren Menschen.»

Dass die im Gazastreifen verbliebenen Journalistinnen und Journalisten allesamt die Propaganda der palästinensischen Terrororganisation Hamas verbreiten und als deren Sprachrohr dienen, weist Al-Zaanoun zurück: «Viele Medien werden nicht von der Hamas kontrolliert, vor allem kleinere nicht. Sie sind von ihr unabhängig und stehen nicht unter ihrem Einfluss.» Es gebe zudem viele Journalistinnen und Journalisten, die für internationale Nachrichtenagenturen oder für die Palästinensische Autonomiebehörde arbeiteten, sowie zahlreiche unabhängige Medienschaffende. «Diese haben nichts mit der Hamas zu tun.»

Den Gazastreifen mit ihrer Familie zu verlassen, sie die schwierigste Entscheidung ihres Lebens gewesen, sagte Ola Al-Zaanoun noch im Februar, kurz nach ihrer Ausreise. Entsprechend gerne würde sie nach Gaza zurückkehren. Die Einreise bleibt der Journalistin aber bis auf weiteres verwehrt. Und sowieso: «Dort gibt es mittlerweile keinen Platz für Leben mehr. Dieser Krieg ist der bislang schwierigste für uns alle.» Sie hätten keinerlei Schutz, keine Sicherheit, und seien der ständigen Gefahr des Todes oder des Verhungerns ausgesetzt. «Es wurden so viele Zivilpersonen und Medienschaffende getötet wie nie zuvor. Und Israel will nicht, dass die Welt Zeuge davon wird.»

Valentin Rubin, Policy & Advocacy Manager RSF Schweiz

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