Editorial

Denis Masmejan, Generalsekretär Reporter ohne Grenzen (RSF) Schweiz

Kurz vor Ostern erhielt die Luzerner Journalistin Jana Avanzini gute Nachrichten vom Bundesgericht (Foto: Christian Brun/Keystone). Ihre Berufung war angenommen und ihre Verurteilung durch die Luzerner Justiz aufgehoben worden. Avanzini war wegen Hausfriedensbruchs verurteilt worden, weil sie für eine Reportage für das Online-Medium Zentralplus eine von Aktivisten besetzte ehemalige Villa im Zentrum von Luzern betreten hatte.

Auch wenn das Bundesgericht die Verurteilung eher aus formalen als aus inhaltlichen Gründen aufhob, begrüsst RSF Schweiz dieses Urteil mit grosser Zufriedenheit. Unsere Organisation war sehr schnell zu der Überzeugung gelangt, dass die Strafverfolgung der Journalistin eine Bedrohung der Pressefreiheit darstellt. Jana Avanzini wurde nämlich angeschuldigt, weil sie ihren Auftrag zur Informationsbeschaffung ausgeführt hatte. Sie war mit professioneller Gewissenhaftigkeit vorgegangen und hatte sich die Zeit genommen, vor Ort die Protagonisten zu treffen: eine Grundlage journalistischen Handwerks. Der Unterstützungs- und Solidaritätsfonds von RSF Schweiz beschloss, sie finanziell zu unterstützen, indem er sich mit 5000 Franken an den Kosten des Berufungsverfahrens vor dem Luzerner Kantonsgericht beteiligte.

Nach den Berechnungen von Zentralplus kostete die Verteidigung der Journalistin – von der Eröffnung des Verfahrens bis Anfang April 2021 – satte 39’894 Franken; den grössten Teil davon, 23’004 Franken, machten die Anwaltskosten aus. Jana Avanzini weiss noch nicht, wie viel von diesen Kosten von der Klägerin – der Firma des Milliardärs Jørgen Bodum, dem Eigentümer der besetzten Villa – erstattet wird. Denn das Bundesgericht hat den Fall an die Luzerner Justiz zurückgewiesen, damit diese über die definitive Kostenverteilung entscheidet.

Die Entschädigung, die eine erfolgreiche Prozesspartei erhält, deckt jedoch letztlich nicht alle Kosten, die für ihre Verteidigung angefallen sind. Auch das Westschweizer Online-Medium Gotham City hat damit bittere Erfahrungen gemacht. Gegründet von den Journalisten François Pilet und Marie Maurisse, berichtet es über Rechtsfälle aus dem Bereich der Wirtschafts- und der organisierten Kriminalität in der französischsprachigen Schweiz. Es ist das einzige Medium, das in diesem heiklen Bereich systematisch die online gestellten Entscheide der Bundesgerichte untersucht.

2020 wurden nicht weniger als fünf zivilrechtliche Anträge auf vorsorgliche oder sogar superprovisorische Verfügungen gegen Gotham City gestellt; sie kamen von Einzelpersonen oder Organisationen, die damit unzufrieden waren, dass ihre Namen und Fälle von Journalisten enthüllt werden sollten. In vier der fünf Fälle entschieden die Gerichte zu Gunsten von Gotham City. Dies beweist, dass sie die Pressefreiheit berücksichtigen. Doch die Entschädigungen, die Gotham City von den Gerichten zugesprochen wurde, reichten nicht aus, um die Anwaltskosten zu decken.

Gerichtsverfahren sind teuer, das weiss jeder. Aber wenn Medien mit kaum ausreichenden Ressourcen angegriffen werden, kann das Rechtssystem zwar die Pressefreiheit auf dem Papier schützen, aber in der Praxis, wie François Pilet sagt, «werden die Journalisten am Ende zögern, es zu veröffentlichen». Selbst wenn es um wahrheitsgetreue Informationen geht, die es verdienen, der Öffentlichkeit bekannt gemacht zu werden.

Es ist daher verständlich, warum die kürzlich von der Rechtskommission des Ständerats angenommenen Vorschläge alarmierend sind und warum RSF Schweiz stark darauf reagiert hat. Die Kommission hatte eine Revision der Zivilprozessordnung zu beraten und nutzte die Gelegenheit, um vorsorgliche Massnahmen gegen Medien zu erleichtern. Solche Massnahmen sind ein besonders gefährliches Instrument. Denn sie ermöglichen es jedem, der sich durch eine mögliche Publikation eines Mediums geschädigt fühlt, die Veröffentlichung zu verbieten oder vorläufig zu unterbinden. Dies geschieht in einem Dringlichkeitsverfahren, in dem die Frage, ob die strittige Veröffentlichung gut oder nicht gut begründet ist, nur sehr kurz geprüft wird und Standpunkt des betroffenen Mediums nur wenig oder gar nicht angehört wird.

Wenn heute vorsorgliche Massnahmen gegen Medien ergriffen werden, sind sie an strenge Bedingungen geknüpft. Der Gesetzgeber war sich des heiklen Charakters dieser Massnahmen bewusst, die einer Form der Zensur nahekommen. Diese strenge Regelung will die Mehrheit der Ständeratskommission nun lockern. Das Plenum des Ständerats wird diesen Vorschlag in der Juni-Session diskutieren. Die Ständerätinnen und Ständeräte werden sich zwischen diesem Vorschlag und dem der Kommissionsminderheit, angeführt von den Carlo Sommaruga (SP) und Christian Levrat (SP), entscheiden müssen. RSF Schweiz hofft, dass sich die Pressefreiheit durchsetzen wird. Wir zählen auch darauf, dass Justizministerin Karin Keller-Sutter den Ständerat davon überzeugt, der Meinung seiner Rechtskommission nicht zu folgen.

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