Der Oberste Gerichtshof des Vereinigten Königreichs hat entschieden, Julian Assange vorläufig zu erlauben, gegen seine Auslieferung aus drei Gründen Berufung einzulegen. Dies stellt die letzte Chance für die britischen Gerichte dar, Assanges Überstellung an die USA zu verhindern, wo diesem wegen der Veröffentlichung von Informationen von öffentlichem Interesse eine lebenslange Haftstrafe droht. Reporter ohne Grenzen (RSF) fordert das Vereinigte Königreich auf, zum Schutz des Journalismus zu handeln, die Auslieferung des WikiLeaks-Gründers zu verhindern und seine sofortige Freilassung aus dem Gefängnis zu ermöglichen.

In einer schriftlichen Entscheidung vom 26. März sagten Dame Victoria Sharp und Mr. Justice Johnson, dass Assange in drei der neun Gründe, auf die er sich beruft, eine «reelle Aussicht auf Erfolg» habe: Erstens in Bezug auf seine mögliche Gefährdung durch die Todesstrafe in den USA, zweitens auf die Frage, ob er sich bei einem Verfahren in den USA auf das Recht auf Meinungsfreiheit berufen könnte, sowie drittens auf die Tatsache, dass Assange als Australier nicht den im ersten Zusatzartikel zur Verfassung der USA festgeschriebenen Schutz seiner Grundrechte geniessen würde. Daher werde er nicht sofort ausgeliefert. Seine Berufung kann jedoch nicht zugelassen werden, wenn die US-Regierung «zufriedenstellende Zusicherungen» gibt, die diese drei Gründe berücksichtigen.

«Nach vier Jahren Gerichtsverfahren im Auslieferungsverfahren der US-Regierung gegen Julian Assange stellt die heutige Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, ihm die Berufung aus drei Gründen zu erlauben, eine letzte Hoffnung auf Gerechtigkeit im Vereinigten Königreich dar. Es ist jedoch besorgniserregend, dass sich die britischen Gerichte zum zweiten Mal in diesem Auslieferungsverfahren auf Zusicherungen der USA und nicht auf juristische Argumente verlassen, was den politischen Charakter des Falles erneut unterstreicht.
In der Zwischenzeit bleibt Assange im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh inhaftiert, wo seine psychische und physische Gesundheit weiterhin stark gefährdet ist. Nicht nur sein Schicksal, sondern auch die Zukunft des Journalismus steht auf dem Spiel mit dem gefährlichen Präzedenzfall, der durch seine Auslieferung und Verfolgung als erster Verleger, der nach dem Spionagegesetz angeklagt wird, geschaffen würde. Niemand sollte mit der Möglichkeit einer lebenslangen Haftstrafe konfrontiert werden, nur weil er Informationen von öffentlichem Interesse veröffentlicht. Zu diesem späten Zeitpunkt muss das Vereinigte Königreich handeln, um die Pressefreiheit zu schützen, indem es die Auslieferung von Assange verhindert und seine sofortige Freilassung aus dem Gefängnis ermöglicht.»
Rebecca Vincent, Direktorin für Kampagnen von RSF

Die USA haben bis zum 16. April Zeit, Zusicherungen zu geben. Tun sie es, wird am 20. Mai eine Anhörung stattfinden, um zu entscheiden, ob die Zusicherungen zufriedenstellend sind. Werden keine Zusicherungen gegeben oder stellen die Richter fest, dass die Zusicherungen nicht zufriedenstellend sind, wird zu einem späteren Zeitpunkt eine vollständige Anhörung einberufen, um die Begründetheit der Argumente zu prüfen, die von Assanges Verteidigern in der Anhörung am «Tag X» im Februar vorgebracht wurden.

Das Gericht informierte die Öffentlichkeit weniger als 24 Stunden vor dem Gerichtstermin über die Verkündung dieser Entscheidung. Als Berufungsgründe abgelehnt hatten die Richterinnen und Richter die Argumente, dass Assange wegen seiner politischen Überzeugungen verfolgt werde, dass er kein Recht auf ein faires Verfahren habe oder dass neue Beweise für Entführungspläne der USA für das Auslieferungsverfahren relevant seien.

Die Prüfung des Auslieferungsverfahrens der US-Regierung durch die britischen Gerichte war langwierig und turbulent. Sie begann im Februar 2020 und führte im Januar 2021 zunächst zu einer erstinstanzlichen Entscheidung zugunsten von Assange, als Bezirksrichterin Vanessa Baraitser die Auslieferung aus Gründen der psychischen Gesundheit ablehnte. Diese Entscheidung wurde im Dezember 2021 aufgehoben, als die USA ihre Berufung gewannen, nachdem sie diplomatische Zusicherungen über die mögliche Behandlung von Assange im Gefängnis gegeben hatten. Der Oberste Gerichtshof verweigerte im März 2022 die Genehmigung zur Berufung. Die ehemalige britische Innenministerin Priti Patel unterzeichnete daraufhin im Juni 2022 den Auslieferungsbeschluss, und Assanges ursprünglicher Einspruch gegen den Beschluss wurde in einer kurzen schriftlichen Entscheidung im Juni 2023 abgelehnt, was zu diesem letzten Antrag auf Berufung führte.

Bei einer Auslieferung an die USA drohen Julian Assange bis zu 175 Jahre Haft. Washington hat ihn wegen der Veröffentlichung von hunderttausenden geleakten Geheimdokumenten durch WikiLeaks im Jahr 2010, darunter Beweise für Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen, in 18 Punkten angeklagt. Assange wäre der erste Verleger, der auf der Grundlage des Spionagegesetzes ausgeliefert wird. Dieses aus dem Jahr 1917 stammende Gesetz erlaubt es den Angeklagten nicht, zu ihrer Verteidigung vorzubringen, dass sie im öffentlichen Interesse gehandelt haben. Mit der Auslieferung würde ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen, der auf jeden Journalisten oder jede Medienorganisation überall auf der Welt angewendet werden könnte. Denn mit dem gesamten Verfahren senden die USA eine unmissverständliche Warnung an Verlegerinnen und Reporter weltweit: Wer über von einflussreichen Staaten verübtes Unrecht kritisch berichtet, ist nirgendwo mehr sicher. Es wäre viel gefährlicher für Medienschaffende, brisante Materialien zu erhalten und zu veröffentlichen – selbst wenn die Inhalte im öffentlichen Interesse lägen. Die Leakerin des Materials, die ehemalige Geheimdienstanalystin Chelsea Manning, verbüsste fast sieben Jahre Haft, bevor Präsident Obama ihre Strafe umwandelte und sie als unverhältnismässig bezeichnete.

Trotz einer Reihe von Hindernissen für die Beobachtung war RSF die einzige NGO, die alle vier Jahre des Auslieferungsverfahrens gegen Assange vor Londoner Gerichten verfolgte. RSF-Vertreter erhielten auch den seltenen Zugang zu Assange im Belmarsh-Gefängnis und konnten ihn seit August 2023 bisher fünfmal besuchen, nachdem ihnen der Zugang zunächst verwehrt worden war. Parallel zum Auslieferungsverfahren in Grossbritannien hat sich RSF auch direkt an die US-Regierung gewandt und drängt die Regierung Biden weiterhin, eine politische Lösung für den Fall zu finden, um Assanges Auslieferung zu verhindern und seine Freilassung aus dem Gefängnis ohne weitere Verzögerung zu ermöglichen.

 

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