Die Qualität der Medien in der Schweiz hat sich verbessert – aber nur in drei von vier Kategorien, sagt das neue Medienqualitätsrating (MQR) 2022*. Im Bereich «thematische und geografische Vielfalt» ist sie gesunken. Sorgen macht Daniel Vogler, Mitautor der MQR-Studie und Forschungsleiter des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) an der Universität Zürich, auch der Rückgang im Bereich «Medien- und Meinungsvielfalt», der sich in anderen Studien zeigt (Foto Keystone SDA). 

Das MQR attestiert den untersuchten Schweizer Medien insgesamt einen Qualitätszuwachs in den Bereichen Relevanz, Einordnung und Professionalität, stellt aber einen Qualitätsrückgang im Bereich Vielfalt fest. Was bedeutet in diesem Zusammenhang «Vielfalt» – eine Vielfalt an Medien oder eine Vielfalt an Themen? RSF Schweiz hat bei Daniel Vogler nachgefragt.

– Der Befund des MQR 2022 klingt als erstes sehr positiv: Die Medien haben sich bei drei von vier Qualitätsindikatoren gesteigert. Doch im Bereich Vielfalt ist die Qualität gesunken. Was bedeutet das?

– Daniel Vogler: Es ist grundsätzlich erfreulich, dass die drei Indikatoren Relevanz, Einordnung und Professionalität gestiegen sind. Aber die Vielfalt ist natürlich ein sehr wichtiger Indikator im Journalismus, deshalb ist dieser Qualitätsverlust schwerwiegend. Allerdings hat der Vielfaltsverlust auch mit der Corona-Pandemie zu tun, das war ja das grosse politische und relevante Thema, auf das man sich fokussiert hat. Es hat andere Themen wichtige zum Teil verdrängt. Aktuell haben wir ja auch eine tendenziell monothematische Nachrichtenlage mit dem Krieg gegen die Ukraine.

– Was wird beim Indikator «Vielfalt» gemessen?

– Wir messen bei der Inhaltsanalyse die thematische und die geografische Vielfalt. Es braucht einen gesunden Mix, weil wir ja General-Interest-Medien untersuchen. Themenvielfalt bedeutet also auch, dass das Medium neben einer einordnenden Politikberichterstattung und Wirtschaftsthemen auch Sport oder Softnews liefert. Bei der geografischen Vielfalt unterscheiden wie zwischen regionalen, nationalen und internationalen Themen. Wenn ein Medium alle Perspektiven ähnlich berücksichtigt, schliesst es gut ab. Was wir momentan leider nicht untersuchen können, ist die Meinungsvielfalt oder die Vielfalt der Akteure, die in den Medien vorkommen, da das methodisch sehr aufwändig zu messen ist.

– Wenn es um die Informationsfreiheit geht, sind die Meinungs- und damit die Medienvielfalt aber sehr wichtig.

– Genau. Wenn wir nur ein Medium hätten, das aber bei all unseren Kriterien sehr gute Qualität liefert, hätten wir keine Meinungsvielfalt. Sie ist schon ein sehr zentraler Aspekt. Das merkt man vor allem, wenn sie nicht existiert – in Ländern, in denen die Medien beispielswiese staatlich gesteuert werden.

Beim MQR fragen wir nicht danach. Aber in vielen Studien stellen wir in der Schweiz einen Vielfaltsverlust fest. Im fög-«Jahrbuch Qualität der Medien» untersuchen wir Medienqualität, Mediennutzung, Medienkonzentration und Finanzierung sowie die Entwicklung des Schweizer Mediensystems. Dabei kommen wir in den letzten Jahren immer wieder zum Schluss: Die Schweizer Medien arbeiten eigentlich gut und berichten auch relevant, sie erreichen im internationalen Vergleich eine hohe Qualität, aber im Bereich Vielfalt verlieren sie an Qualität. Das ist demokratietheoretisch besorgniserregend.

– Woran liegt das?

– Ein wichtiges Thema sind sicherlich die grossen Verbundsysteme der CH Media und der zur TX Group gehörenden Tamedia. In diesen beiden Verbundsystemen werden die Inhalte für verschiedene Tageszeitungen und ihre Online-Auftritte in Zentralredaktionen hergestellt.  Dadurch erhalten die einzelnen Artikel sehr hohe Reichweiten. Etwas zugespitzt kann man sagen, dass in der Schweiz neben SRG, NZZ und den kleinen Medien noch zwei grosse Redaktionen existieren. Wenn man von Medienvielfalt in der Schweiz spricht, ist das eine besorgniserregende Tendenz.

– Was bedeutet das für die Regionen?

– Sie kommen weniger zum Zug. Wenn der Zeitungsmantel in Aarau gemacht wird, spielen St. Gallen oder Luzern tendenziell eine weniger grosse Rolle. Die internationale Forschung zeigt, dass bei einer Zentralisierung die Redaktion in diesem Zentrum etwas gefangen ist. Sie ist dann weniger bewandert in den übrigen Regionen. Zwar gibt es nach wie vor Regionalredaktionen, aber es fehlt zum Beispiel bei Abstimmungen die kantonale Perspektive auf nationale Themen.

Und es ist natürlich auch eine grosse Machtkonzentration. Sie bestimmen mit, wer überhaupt öffentliche Beachtung findet und zu Wort kommt. Man kann sich ein Extrembeispiel vorstellen: Wenn die Tamedia oder die CH Media mit ihren hohen Reichweiten eine Kampagne gegen einen Politiker oder eine Politikerin oder eine Organisation führen würden, hätten die betroffenen Akteure wenig Chancen, zu Wort zu kommen und den Vorwürfen zu entgegnen.

– Was ist nach Ihrer Einschätzung zentral für die Informationsfreiheit in der Schweiz?

– Wichtig ist, dass der Zugang zur Publizität sichergestellt ist. Nicht nur für Akteure, die sich politisch engagieren, sondern auch für alle anderen relevanten Akteure, also NGOs, Hochschulen, Unternehmen und Einzelpersonen. Sie sollen ihre Positionen in die Öffentlichkeit bringen können. Auch Minderheiten müssen gehört werden. Im Moment sind wir in der Schweiz nach meiner Einschätzung noch in einer guten Situation, das Mediensystem funktioniert sehr gut. Aber gerade unsere Befunde zur Vielfalt zeigen auch besorgniserregende Tendenzen.

*Das Medienqualitätsrating (MQR) erscheint alle zwei Jahre. Im Auftrag des Stiftervereins Medienqualität Schweiz wird die Qualität der reichweitenstärksten Informationsmedien aus der Deutschschweiz und der französischsprachigen Schweiz in den Gattungen Presse, Radio, Fernsehen und Online gemessen. Dafür wird die Qualität der Berichterstattung mit einem inhaltsanalytischen Verfahren erfasst; für diesen Teil ist das Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) an der Universität Zürich zuständig. Gleichzeitig erheben das Departement für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung (DCM) an der Universität Fribourg und das Institut für Kommunikation und Marketing (IKM) der Hochschule Luzern mittels einer repräsentativen Umfrage die Qualitätswahrnehmung bei der Bevölkerung. Die Grundlage der Forschung bilden vier Qualitätsdimensionen: Relevanz, Einordnung, Professionalität und Vielfalt.

DAS INTERVIEW MIT DANIEL VOGLER FÜHRTE BETTINA BÜSSER, KOORDINATORIN DEUTSCHSCHWEIZ VON RSF SCHWEIZ, AM 5. OKTOBER 2022

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