Editorial

Von Denis Masmejan, Generalsekretär von RSF Schweiz

Wir haben in der letzten Ausgabe unseres Newsletters (Nr. 2021-01) darauf hingewiesen:  Der Ständerat (Foto: Parlamentsdienste) hat am 16. Juni eine hitzige Debatte über vorsorgliche Massnahmen gegen Medien geführt. Er ist dann leider dem Vorschlag der Mehrheit seiner Kommission für Rechtsfragen gefolgt und hat es so den Zivilgerichten erleichtert, ein präventives Verbot der Veröffentlichung von Informationen durch Medienschaffende zu verhängen.

Dieser Entscheid wurde entgegen dem Vorschlag des Bundesrats und einer Minderheit der Kommission, die sich für die Pressefreiheit einsetzt, gefällt und ist höchst bedauerlich. Er ist nachteilig für eine freie, kritische und unabhängige Information, die diejenigen zur Rechenschaft ziehen kann, die mächtig sind und unsere Existenz bestimmen.

Der Nationalrat wird sich noch dazu äussern. Die Schweizer Sektion von Reporter ohne Grenzen wird alles daran setzen, die Argumente für die Pressefreiheit in die Debatte einzubringen.

Deshalb interviewten wir für diese Newsletter-Ausgabe Pierre Tercier. Der renommierte Jurist, ehemalige Präsident der Wettbewerbskommission und langjährige Professor für Privatrecht an der Universität Freiburg wurde in den 1980er Jahren vom Bundesrat mit dem Vorsitz der Expertengruppe betraut, die eine Neuregelung des Persönlichkeitsschutzes im Zivilgesetzbuch vorschlagen sollte.

Die Expertengruppe Tercier hat damals vorgeschlagen, die Bedingungen für die Anordnung vorsorglicher Massnahmen zu verschärfen, wenn diese gegen die Medien gerichtet sind. Damals folgten Bundesrat und Parlament diesem Vorschlag.

Pierre Tercier hat seine Meinung nicht geändert, im Gegenteil. Er ist nach wie vor der Ansicht, dass vorsorgliche Massnahmen sehr streng geregelt werden müssen, damit die Pressefreiheit nicht unrechtmässig verletzt wird. Seiner Ansicht nach besteht keine Notwendigkeit, die derzeitigen Bestimmungen zu ändern. Der Entscheid des Ständerates sei, wie er im Interview sagt, «ein gefährliches Signal für die Pressefreiheit». «Ich glaube nach wie vor fest an die Rolle der Medien in einer liberalen und demokratischen Gesellschaft wie der unseren, und es gibt immer weniger von ihnen», sagt Tercier.

Dies ist die gleiche Überzeugung, die Nils Melzer, UNO-Sonderberichterstatter über Folter, in einem völlig anderen Zusammenhang äusserte: Der Schweizer sagte das im Interview, das er uns zum Fall Julian Assange gegeben hat. Melzer hat sich intensiv mit diesem Fall befasst und die psychologische Folter angeprangert, der der Wikileaks-Gründer, den er im Gefängnis besuchen konnte, nach seiner und der Einschätzung von zwei Fachärzten ausgesetzt war.

Es ist bekannt, dass die USA von Grossbritannien die Auslieferung von Julian Assange fordern. Dieser bleibt unter Bedingungen, die seine psychische Gesundheit und sein Leben gefährden, in Haft. Während der Ausgang des Verfahrens noch offen ist, gab Nils Melzer der RSF-Vertreterin für die Deutschschweiz, der Journalistin Bettina Büsser, ein langes Interview. Er protestiert nachdrücklich gegen die Haftbedingungen des Gefangenen und unterstreicht den Präzedenzfall, den dieser Fall für den investigativen Journalismus darstellt. Er macht keinen Hehl aus seiner Enttäuschung über bestimmte Entwicklungen in den Medien, die er für zu entgegenkommend gegenüber den Mächtigen.

Unsere Organisation hat auf internationaler Ebene beschlossen, sich für die Freilassung von Julian Assange einzusetzen. Denn die rechtliche Grundlage für die Klagen gegen ihn Assange läuft darauf hinaus, ein Vorgehen zu kriminalisieren, wie es jeder investigative Medienschaffenden überall auf der Welt zeigt: alle Informationen zu veröffentlichen, die es verdienen, veröffentlicht zu werden, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt, selbst wenn sie aus einer illegalen Quelle stammen. Wir erinnern an dieser Stelle daran, dass es Assanges Vorgehen möglich gemacht hat, den absichtlichen Beschuss von Zivilisten – und sogar von verwundeten Zivilisten – durch US-Truppen im Irak, der gegen die wichtigsten Grundsätze der Genfer Konventionen verstösst, an die Öffentlichkeit zu bringen. Doch solche Enthüllungen sind in den Augen der US-Regierung ein Akt von Spionage und Verschwörung.

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